Acetaldehyd
In Likörweinen wie Port oder Sherry und in fassgelagerten Spirituosen, wie z. B. Calvados, hat man das vermutlich krebserregende Acetaldehyd mit bis zu 118 Milligramm pro Liter nachgewiesen. Nach Alkoholkonsum bildet sich Acetaldehyd im menschlichen Körper als Zwischenprodukt beim Abbau von Ethanol durch die Alkoholdehydrogenase. Acetaldehyd ist, neben anderen Stoffen, z. B. für den Kater am nächsten Morgen verantwortlich. Zwar können die Reparaturmechanismen unserer Zellen DNA-Schäden durch Acetaldehyd abfangen, doch könnten, die wissenschaftliche Bestätigung steht noch aus, schon geringe Mengen zumindest das Krebsrisiko erhöhen.
Soll man übermäßig belastete Getränke meiden?
Immerhin ergaben japanische Forschungen, dass eine Flasche Portwein das Drei- bis Vierfache jener Acetaldehydmenge enthält, die nach einem mittelschweren Besäufnis im Blut zirkuliert. Mund, Speiseröhre und Magen bekommen lokal noch deutlich höhere Konzentrationen ab. Noch höher kann die Belastung durch Acetaldehyd schon in der Flasche sein, die Hauptquelle an Acetaldehyd muss nicht der Alkoholabbau sein.
So enthält z. B. ein deutscher Obstbrand mehr als ein Gramm Acetaldehyd pro Liter, und wenn Spirituosen wie Whisky oder Calvados nicht luftdicht gelagert werden, entsteht ebenfalls zusätzliches Acetaldehyd. Besonders kritisch scheinen fassgereifte alkoholverstärkte Weine und bestimmte Spirituosen zu sein, die unter Einfluss von Sauerstoff fassgelagert werden, was die Bildung von Acetaldehyd zu forcieren scheint.
Acetaldehyd ist in Weinen aus gesundem Lesegut der wichtigste Bindungspartner der schwefligen Säure. Es entsteht mikrobiologisch durch die Hefe während der Gärung. Die entstehende Konzentration hängt dabei entscheidend vom Hefestamm und dessen Gärstärke ab.
Stark verallgemeinert produzieren langsame Gärungen mehr Acetaldehyd als zügige. Da in der Endphase der Gärung aber wieder ein teilweiser Abbau des vorher gebildeten Acetaldehyds erfolgt, der wenige Tage nach Gärstillstand vollständig abgeschlossen ist, weisen durchgegorene Weine stets niedrigere Gehalte an Acetaldehyd auf.
Doch auch im ausgegorenen Wein kann Acetaldehyd entstehen, wenn Sauerstoff hinzutritt. Solange der Wein nicht filtriert ist, kann ein Teil des Sauerstoffs zur Oxidation von Ethanol zu Acetaldehyd verwendet werden. Verantwortlich dafür ist das in der verbliebenen Feinhefe noch aktive Enzym Aldehyd-Dehydrogenase. Über dessen enzymatische Bildung hinaus ist auch die rein chemische Oxidation von Alkohol zu Acetaldehyd möglich. Phenolische Substanzen (aus Maischestandzeit) und Spuren von Schwermetallen (wie z.B. Kupfer aus dem Weinberg oder entsprechender Schönung) können als Katalysatoren wirken.
Mangelnde Hygiene bei der Herstellung, Unkenntnis mikrobiologischer und chemischer Vorgänge während und nach der Gärung durch Trockenschäden in heißen Jahren und/oder Nährstoffmangel im Most durch Bodenverdichtung, sowie nicht erkannte Aktivitäten bestimmter Bakterien können für erhöhte Acetaldehyd-Konzentrationen im Wein verantwortlich sein. Ein komplexes Thema also, das noch nicht abschließend geklärt bzw. bewertet ist, durch den Klimawandel und seine Auswirkungen auf Bodenmorphologie und Rebphysiologie aber an Aktualität gewonnen hat.
Naturwein ?
Vor allem in nicht sachgemäß bereiteten Naturweinen wird Acetaldehyd immer und immer wieder im Übermaß nachgewiesen. Gerade dort aber hat es unter dem Deckmantel des Begriffs »Natur« unserer Meinung nach nichts zu suchen. Es steht auch dort für schlechtes Lesegut, Nährstoffmangel im Most, falsche Wildehefe-Entwicklung, bakteriellen Befall, zu hohe Gärtemperatur und/oder mangelnde Kellerhygiene.
Da leider sehr viele Naturweine aus anonym zugekauften Trauben gekeltert werden (am Etikett erkenntlich, das die Flasche nicht als Erzeugerabfüllung ausweist, sondern als unterste Kategorie der Qualitätspyramide), die oft nicht mal aus biologischem Anbau stammen, werden viele Naturweine nicht als zertifiziert Bio ausgewiesen. Was gar nicht geht. Naturwein ohne ausgewiesene Bio-Zertifizierung ist ärgerliche Täuschung, ist Fake und überflüssige Makulatur. Doch genau dies erklärt viele der unangenehmen und oft auch nicht »gesunden« Weinfehler, die man in solchen »Naturweinen« entdecken kann. Es erklärt zudem auch, warum so viele angesagte Weine der Naturwein-Szene einzig von ihrer »natürlichen« Machart geprägt sind, nicht aber von Rebsorte, Jahrgang, Bewirtschaftung oder gar Boden.
Das macht sie uniform, macht sie austauschbar, langweilig und damit überflüssig. Und es macht sie unter kulturellem Aspekt fragwürdig in Bezug auf den im Namen geführten Begriff »Natur«. Die Menschheit hat Jahrhunderte gebraucht, um solchen schon damals offenkundigen und wenig beliebten Fehlern, zu deren Vermeidung man übrigens die Schwefelung erfand, aus dem Weg zu gehen. Diesen Lernprozess nennt man Kultur. Wir verdanken es also der Kultur des Weines, daß wir seine Natur mühsam zu beherrschen lernten. Wir sollten das Rad dieser Kulturgeschichte nicht zurückdrehen, sondern diese geballte kulturelle Erfahrung der Jahrtausende nutzen, um die Natur im Wein noch besser verstehen zu lernen, um sie mit neuen oder auch wiederentdeckten alten Erkenntnissen weiterentwickeln zu können. Das sollte Naturwein, wie wir ihn verstehen, leisten können. Ohne Fehler wie Acetaldehyd, flüchtige Säure etc. als geschmacklichen Populismus zu propagieren.
Das Bundesinstitut für Risikobewertung BfR zum Acetaldehyd.
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