Die alkoholische Gärung
Die Umwandlung von Traubenmost in Wein bezeichnet man als alkoholische Gärung. Sie ist der entscheidende Schritt in der Weinentstehung; ein komplexer biochemischer Stoffwechselvorgang, der von den beteiligten Hefen abhängt und den Alkohol im Wein zur Folge hat.
Hier die spannende Chronologie der Entzauberung der Vorgänge rund um die alkoholische Gärung. Sie steht für 300 Jahre Interesse an einem der großen faszinierenden Prozesse der Natur. Wir verdanken ihm in weiten Teilen die Entstehung der modernen Naturwissenschaften wie der Biologie, der Mikrobiologie, der Chemie und der Physik - und im Detail beschäftigen uns viele Teilprozesse noch immer:
1659 entdeckt Franciscos Sylvius, auch Franciscus de le Boë Sylvius genannt, ein Arzt, Anatom und Naturwissenschaftler, der als Begründer der naturwissenschaftlichen Medizin und klinischen Chemie gilt, Vorgänge, bei denen Kohlensäure entsteht. Er nimmt an, dass es sich bei der Gärung um die Zersetzung von Kohlenhydraten, bei der Fäulnis um die Zersetzung von Eiweißen handelt.
1669 erkennt Johann Joachim Becher, ein deutscher Gelehrter, Ökonom und Alchemist, der als der bedeutendste unter den deutschen Merkantilisten gilt, dass eine alkoholische Gärung nur in zuckerhaltigen Flüssigkeiten stattfinden kann. Becher ist eine schillernde Persönlichkeit in der Zeit des Übergangs von der Alchemie zur modernen Chemie. Er verfasst eine Vielzahl von Büchern über chemisch-alchemistische und ökonomische Themen. Er wirbt z. B. ganz praktisch für die Einführung des Kartoffelanbaus in Deutschland.
1775 beschreibt der deutsche Chemiker Johann Christian Polycarp Erleben, zu dessen Fachgebieten die Physik, die Mineralogie, die Chemie und die Naturgeschichte gehören, die Hefezelle als lebenden Organismus, der vermutlich für die Gärung verantwortlich ist. Er sieht die Gärung verursacht durch die im Trub vergorener Flüssigkeiten vorkommenden Lebewesen (die Hefen), und bringt zwei bahnbrechende Bücher heraus: Anfangsgründe der Chemie, Dieterich, Göttingen 1775, und Anfangsgründe der Naturlehre, Dieterich, Göttingen 1794.
1789 stellt Antoine Laurent de Lavoisier, französischer Chemiker, Rechtsanwalt, Hauptzollpächter und Leiter der französischen Pulververwaltung fest, dass Zucker durch die Gärung vollständig in Alkohol zerfällt. Dem brillanten naturwissenschaftlichen Geist, der 1793 als Mitglied der Steuerpächter der Pariser Mauer als Erpresser und Steuereintreiber angeklagt und am Donnerstag den 8. Mai 1794 auf der Guillotine hingerichtet wird, gelingt mit der Entdeckung des Sauerstoffs der Bruch mit der vorherrschenden Idee der Chemie des achtzehnten Jahrhunderts: Lavoisiers Sauerstofftheorie gilt heute als der Beginn der modernen Chemie.
1810 entdeckt Joseph Louis Gay-Lussac, ein französischer Chemiker und Physiker, die gleichmäßige Wärmeausdehnung von Gasen (Gay-Lussac-Gesetz). Zusammen mit Alexander von Humboldt ermittelt er die Gasmengen bei der Elektrolyse von Wasser, entdeckt, dass bei der Reaktion von unterschiedlichen Gasen die Volumenanteile der Einzelgase in einem ganzzahligen Verhältnis stehen müssen, er entwickelt die erste Methode zur Durchführung von Elementaranalysen für organische Stoffe und führt die erste Titrimetrie (Maßanalyse) durch. Auf ihn geht auch die erstmals aufgestellte summarische Gärungsgleichung zurück, die bis heute Gültigkeit besitzt:
100 g Glucose C6H12O6 = 51,5 g Alkohol 2 C2H5OH + 48,9 g Kohlendioxid 2 CO2
Erkenntnisse der Folgejahre
Untersuchungen über den Abbau von Zucker beginnen mit der Erforschung der alkoholischen Gärung bzw. später der Milchsäuregärung.
1837 wird durch die Forscher Charles Cagniard-Latour, Theodor Schwann und Friedrich Traugott Kützing unabhängig voneinander nachgewiesen, dass der als alkoholische Gärung bekannte Abbau von Glucose zu Ethanol durch Lebewesen, nämlich durch Hefen, verursacht wird. Dass für den anaeroben Abbau von Zuckern die Stoffwechselprozesse lebender Hefezellen verantwortlich sind, war zum damaligen Zeitpunkt noch sehr umstritten.
1845 verdeutlicht Balling in seinem Werk »Die Gärungschemie« die elementare Bedeutung der Hefen für die Gärung.
1847 entdeckt Dubrunfaut die Glycophilie der Hefen, zeitgleich beschreibt Schmidt die Bernsteinsäuregärung.
1850 entdeckt Louis Pasteur (links oben im Bild) die Spontangärung. Auslöser für sein Interesse sind Störungen des Gärverlaufes.
1858 vertritt Traube die Überzeugung, dass alle Gärungen durch Enzyme bewirkt werden. Im selben Jahr entdeckt Louis Pasteur das Glycerin als Produkt der Gärung.
1860 gelingt es Berthelot aus den Hefen ein Enzym zu isolieren, das Rohrzucker zu Traubenzucker und Fruchtzucker aufspaltet.
1860 beweist Louis Pasteur, dass durch Erhitzen des Mostes und das damit verbundene Absterben der Hefen die Gärung unterbleibt. Er beendet damit die heftig geführte Diskussion zwischen Chemikern und Biologen.
Vor allem die prominenten Chemiker Jöns Jakob Berzelius, Friedrich Wöhler und Justus von Liebig bestanden damals darauf, dass die Gärung ein rein chemischer Vorgang sei. Sie zählten zu den heftigsten Gegnern Louis Pateurs. So postulierte Liebig, dass verwesendes Material »Schwingungen« auf den zu vergärenden Zucker übertrage, welcher dadurch zu Ethanol und Kohlenstoffdioxid zerfalle. Pasteur bestätigt aber die Ergebnisse von Cagniard-Latour, Kützing und Schwann und stellt sich damit gegen Liebigs Hypothese. Er stellt zudem fest, dass der Verbrauch an Glucose unter anaeroben Bedingungen höher ist, als wenn den Hefen Sauerstoff zur Verfügung steht. Diese Beobachtung hat bis heute als »Pasteur-Effekt« Bestand.
1883 beschäftigt sich Emil Christian Hansen, ein dänischer Botaniker mit den Schwerpunkten Mykologie und Pflanzenphysiologie, mit mikrobiologischen Fragen der Hefe-Reinzucht. Als Angestellter der Carlsberg-Laboratorien in Kopenhagen entdeckt er, dass unter dem Begriff Hefe verschiedene Pilz-Organismen verstanden werden müssen, deren einzelne Stämme in Reinzucht kultiviert werden können. Er isoliert einzelne Zellen und vermehrt diese Tröpfchenkulturen in standardisierten Nährlösungen durch Sprossung. Die 1883 so erstmals von ihm beschriebene Hefe wird unter dem Namen Saccharomyces Carlsbergensis bekannt. Seine Arbeiten zur Hefereinzucht gelten als der Beginn der Reinzuchthefe-Selektion für die Weinbereitung.
1894 gründet Julius Wortmann als Nachfolger von Professor Hermann Müller (Thurgau) und Leiter der Pflanzenphysiologischen Versuchsstation in Geisenheim die erste Hefe-Reinzucht-Station, die später Hugo Schanderl fortführt, der mit seinem Lehrbuch „Die Mikrobiologie des Weines«, das 1950 erscheint, als Begründer der modernen Mikrobiologie gilt. Wortmanns Forschungsschwerpunkt ist die Gärungsphysiologie. Er sieht in der wissenschaftlich fundierten Gärungskunde die Zukunft im Wein und gründet besagte Hefereinzuchtstation, die er bis zum Jahr 1924 leitet. 1903 wird er zum Professor ernannt und wird Vorstand der Versuchsstation. Ihm verdankt die Weinwirtschaft grundlegende Erkenntnisse über Herkunft und Verbreitung der Hefen, er entdeckt die Dominanz der Nicht-Saccharomyceten über die Saccharomyceten zu Beginn der Gärung und beschreibt, wie sich die Verhältnisse bis zum Durchsetzen der Saccharomyceten während des Verlaufs der Gärung verändern.
Julius Wortmanns Arbeiten verdankt die Weinwirtschaft die Kenntnis der gezielten mikrobiologischen Steuerung alkoholischer Gärungen und Hugo Schanderl verdankt sie die moderne Mikrobiologie, die viele Prozesse der alkoholischen Gärung zusammenfassend erklären kann.
Schanderl steht noch für eine beobachtende Wissenschaft, die sich der Komplexität der natürlichen Vorgänge respektvoll zu nähern versucht. Sein didaktisch brillantes Buch zur Mikrobiologie des Weines besitzt nach wie vor große Aktualität, steht in einigen Punkten zwar gegen heutige Lehrmeinung, erweist sich aber genau darin als visionär, weil aktuelle Forschung viele seiner Erkenntnisse bestätigt. Es ist 1959 noch einmal aufgelegt worden. Seinen wegweisenden Arbeiten und seiner besonderen Sicht der Dinge, die noch nicht dem modernen Glauben an industrielle Sicherheit und Reinheit im Wein verfallen war, droht deshalb das Vergessen. Im Lehrbuch »Mikrobiologie des Weines« von Dittrich und Großmann von 2010 (4. Aufl.), das auf Schanderls Lehrbuch aufbaut, wird er nur noch peripher erwähnt, dafür singt man dort das hohe Lied der Starterorganismen für »sauberen« Wein, dem die heutige Realität der Naturweinbewegung entgegensteht.
(Auf Otto Warburgs Arbeiten zum Mechanismus der Gärung geht übrigens die sogenannte Warburg-Hypothese zur Krebsentstehungzurück. Bei seinen Beobachtungen an Krebszellen stellte er ungewöhnlich hohe Laktatwerte in diesen fest. Milchsäure ist ein typisches Gärprodukt und so entstand aus seinen Beobachtungen eine Hypothese zur Krebsentstehung. Sie besagt, dass Krebszellen bevorzugt ihre notwendige Energie aus der Milchsäuregärung von Traubenzucker gewinnen und daher Sauerstoff nicht für das Krebswachstum notwendig sei. Eine Störung der Funktion der Mitochondrien in Krebszellen sei der Hauptgrund für das Auftreten von Krebs. Krebszellen würden Traubenzucker hauptsächlich vergären und nicht verbrennen. Der Warburg-Effekt könnte Ausgangspunkt für zukünftige glykolysehemmende Medikamente zur Therapie von Krebs sein. Mehrfach konnte belegt werden, daß durch entsprechende Medikation die Energieversorgung (= Glykolyse + Glutaminolyse) von Tumorzellen inhibiert und dadurch der Warburg-Effekt verifiziert werden konnte.)
© Jakob 1979 | Lexikon der Önologie. Verlag und Druckerei Meininger GmbH Neustadt an der Weinstraße.
© Dittrich 1987 | Mikrobiologie des Weines. Handbuch der Lebensmitteltechnologie. Ulmer Verlag Stuttgart.
© Großmann 2005 | Mikrobiologie des Weines. Handbuch der Lebensmitteltechnologie. Ulmer Verlag Stuttgart.
© Hans Euler & Paul Lindner 1915 | Chemie der Hefe und der alkoholischen Gärung. Salzwasser Verlag.
Bild Pasteur
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