Gibt es das »richtige« Weinglas


Viele Glashersteller brachten in den letzten Jahren eine Vielzahl an Gläsern für den »optimalen« Weingenuss auf den Markt. Manche Serien bestehen aus bis zu einem Dutzend unterschiedlich geformter Weingläser. Das ist des Guten zu viel. Wer zu jedem Wein Glasform und Typ wechselt, kann die Unterschiede in der Wahrnehmung von Rebsorte, Herkunft und Ausbau nicht richtig wahrnehmen und nicht miteinander vergleichen, weil jede Glasform etwas anderes im Wein betont oder unterdrückt.

Probieren Sie es aus: Verkosten Sie aus allen möglichen Gläsern Ihres Haushaltes, vom Zahnputzbecher bis zum Weinglas, ein und denselben Wein. Sie werden erstaunt feststellen, dass der Wein aus jedem Glas anders riecht und schmeckt. Das liegt vor allem an der Form der Gläser. Sie beeinflusst über das Verhältnis der Weinoberfläche zur Höhe des Glases und der Größe seiner Öffnung die aromatische Wirkung. Deshalb hat ein gutes Weinglas ein gewisses Volumen, eine bestimmte Höhe und eine kleinere Öffnung als den größten Durchmesser. Über diesen sogenannten Aroma-Kanal unterscheiden sich Gläser vor allem im Duft. 

Für die geschmackliche Wirkung eines Weines ist aber auch die Wandstärke der Gläser entscheidend. Die dicken Wandstärken billiger Weingläser transportieren den Wein relativ weit auf die Mitte der Zunge. Besonders dünnes Glas lässt ihn dagegen ganz vorne auf der Zungenspitze auftreffen. Dadurch nimmt man Süße und Säure, über die Gerbstoffkonsistenz auch die Konzentration und Extraktion von Rotweinen, und, über die Dichte und Substanz durch hohe oder niedrige Erträge, auch das Fließverhalten, die Dichte und Textur von Weißweinen vollständiger wahr, als bei dicker Wandstärke, die vieles davon sensorisch gar nicht möglich macht. 

Das Beste?

Nur weil man »das beste« Glas kauft, versteht man Wein nicht besser. Das »beste Glas« gibt es so wenig, wie man automatisch zur Weinexpert*in wird, wenn man sich besonders teure Gläser kauft. Ein teures Glas repariert die Mängel der eigenen Sensorik nicht. Sensorik, die Fähigkeit, riechen, schmecken und fühlen zu können, basiert auf jahrelanger Erfahrung und Beschäftigung mit den eigenen Sinnen, auf Respekt und Demut vor den eigenen Fähigkeiten, vor allem aber auf profunder Reflexion über das gesamte Thema der Wahrnehmung. Dies alles fliegt einem nicht zu in Form eines Weinglases, und sei es noch so teuer oder hochgejubelt. Wer kompetent technisch verkosten kann, der kann Wein auch aus dem Pappbecher beurteilen.

Grundsätzlich sollten Sie deshalb dem Wein im Glas mehr Aufmerksamkeit (und monetären Aufwand) widmen als seinem Servier-Gefäß. Gutem Wein kann man enorm viele Informationen entnehmen. Diese finden aber erst über das komplexe Zusammenspiel von Aroma, Geschmack und Mundgefühl im Gehirn zum finalen Erlebnis zusammen, das Weinglas ist nur der Vermittler, der Übersetzer. 

Ein gutes Weinglas sollte dünnwandig sein, fein und filigran. Es sollte leicht sein, mit Inhalt gut ausbalanciert in der Hand liegen und so groß sein, daß es den Wein mit dem Sauerstoff versorgen kann, den er braucht, um sich entfalten zu können. Ein gutes Weinglas sollte eine Haptik besitzen, die Respekt vor dem Inhalt vermittelt. Man spürt es sofort, wenn man ein gutes Glas in der Hand hält, ob es zu einem paßt, oder nicht. Und bitte verfallen Sie nicht dem Irrglauben, daß nur ein möglichst großes Glas auch ein gutes ist. Große Gläser machen kleine Weine ganz schnell noch kleiner. Kaufen Sie Gläser, die dem qualitativen Niveau und Anspruch ihrer Lieblingsweine entsprechen. Seien Sie diesbezüglich ehrlich mit sich selbst, schätzen Sie das qualitative Niveau Ihrer Wein-Vorlieben richtig ein. 

Wir machen um das Thema Glas kein Chi-Chi. Für uns tut es manchmal auch ein ganz einfaches Glas, der Genuss von Wein findet schließlich im Kopf statt, da laufen die sensorischen Fäden der Wahrnehmung zusammen. Das Glas ist für uns Werkzeug, nicht Selbstzweck. 

In Sachen Weingläsern wird viel Unsinn erzählt und, ähnlich wie beim Auto, vor allem an die Eitelkeit der Käufer appelliert. Das lenkt ab vom eigentlichen Sinn des Glases, nämlich sich intensiv und kritisch mit den eigenen Grenzen in Sachen Sensorik auseinanderzusetzen. Stattdessen suggeriert man, daß mehr PS auch den besseren Fahrer machen. Der möchte doch so gerne mitreden. Also kauft er sich doch die teuren Spitzen-Gläser - und wundert sich dann, daß ihm der Weinverstand nicht automatisch zugeflogen ist.

Unbestritten sorgt ein formschönes, dünnwandiges, schlankes und leichtes Weinglas an langem Stiel für besondere Aufmerksamkeit dem Inhalt gegenüber, für Respekt vor dem Wein und der Arbeit des Winzers über ein langes Weinjahr hinweg. Es animiert zu aufmerksamem Trinkvergnügen. Also weg mit den dicken Bleiglas-Humpen aus Omas Wandschrank, hin zu anständigen Weingläsern, die ihrem Zweck gerecht werden. Wir empfehlen

Schott Zwiesel als gute solide, preiswerte Basis. Wir verwenden sie auf unserer Hausmesse und haben sie unterwegs dabei. Sie werden aus einer besonderen Schmelze (Tritan®) gefertigt, sind besonders fest und erfüllen ihre Aufgabe allemal. Da tut es ein einziges Glas als Universalglas, das Rotweinglas Viña. Mit ihm werden Sie den allermeisten Weinen der Welt gerecht (außer Schaumweinen).

Josephinenhütte, Zalto oder Zieher produzieren sehr schöne und teure Weingläser, die aber nur Sinn machen, wenn man über entsprechende Weinerfahrung verfügt, denn sie legen alle Nuancen im Wein offen, die ihm Natur und Winzer mitgegeben haben. Sie sind deshalb vor allem für leise, raffiniert strukturierte, handwerklich hergestellte Weine optimal. Auch hier würden wir uns nur für ein Glas entscheiden, bei der Josephinenhütte, die wir auch im Einsatz haben und sehr schätzen, wie bei Zalto für das »Universalglas«, bei Zieher für das »Balanced«. 

© K&U