Punkte-Bewertung


Die so beliebten Punktebewertungen haben ein großes Problem: Sie werden von einer in der Regel unbekannten Person, über deren Weinerfahrung, Urteilsvermögen, Fähigkeit zu Selbstkritik und Reflektion, Markterfahrung und technische Versiertheit man wenig oder gar nichts weiß, vergeben. Eine sachlich korrekte Beurteilung von Stil, Machart, Charakter und Qualität eines Weines würde das alles voraussetzen.

Aus langjähriger Erfahrung wissen wir, dass Bewertungen und Verkostungsergebnisse nicht mehr als Schall und Rauch sind. Egal, ob sich da Sommelièren und Sommeliers, Händler:innen oder Journalist:innen äußern, wir vertrauen ihnen nur selten. Sie mögen Ahnung haben, solange sie aber die Kriterien ihrer Beurteilung nicht fundiert deklarieren, nehmen wir ihre »Urteile« nicht ernst, sie sind so sinn- wie wertlos. 

Ungeniert wird heute oberflächlich geschmäcklerisch geurteilt, selbstverliebt werden pseudoobjektive Punkte in die Welt hinausposaunt, auf welcher Basis das geschieht weiß niemand, die angelegten Kriterien werden weder erwähnt, noch nachvollziehbar beschrieben. Trotzdem verlassen sich unzählige Konsument:innen auf derart frech publizierte Punktebewertungen oder Verkostungsergebnisse, die dann endgültig haarsträubend werden, wenn sie von Weinhandlungen in Ermangelung anderer als Eigenbewertung zitiert werden. Unglaublich, dass das funktioniert. Man muss sich das mal vorstellen: BMW preist seine Autos, Miele seine Waschmaschinen und die Allianz ihre Versicherungen mittels eigener Bewertungen an. Was dort undenkbar ist, funktioniert im Wein zuverlässig: Gib Punkte, und die Leute kaufen. Unglaublich, aber wahr.

In Bordeaux z. B. werden damit während der Subskription »en primeur« alljährlich Millionen von Euro bewegt und verdient. Ohne jeden faktischen oder kritischen Nachweis, ohne Nachvollziehbarkeit, ohne Angabe von Kriterien. Da werden »objektive« Bewertungen von Menschen postuliert, deren Kriterien niemand auch nur im Ansatz kennt. Wickeln Sie so naiv und gutgläubig auch Ihre Börsengeschäfte, Auto- oder Waschmaschinenkäufe ab? Na, dann mal los!

Wie viele Jahrgänge wurden in Bordeaux schon falsch beurteilt, von einzelnen Weingütern mal ganz abgesehen, deshalb nicht gekauft, später vergessen und natürlich niemals von denen, die sie damals falsch beurteilten, erneut verkostet und revidiert. Auch Robert Parker hat in so manchem Jahrgang seines geliebten Bordeaux grausam danebengelangt. Seine nachweislich falschen Urteile hat auch er niemals revidiert. Das kommt Verbrauchertäuschung mit Vorsatz gleich, werter Wine Advocate!

Dass inzwischen selbst die Negociants vor Ort ihre Weine nicht mehr mittels Informationen, sondern lediglich mit den Bewertungen sämtlicher einschlägiger Verkoster anpreisen, zeigt, wie unkritisch und gierig das Bordeaux-Geschäft geworden ist. Es hat uns den Run auf die immer gleichen Châteaux gebracht, hat zum Preiskampf bis aufs Messer geführt, in dem die gesuchten Châteaux gewinnen, die weniger bekannten Betriebe, der Handel und der kleine Weinfreund die zahlenden Verlierer sind, und es hat den Kauf »en primeur« ad absurdum geführt, weil jetzt die Châteaux die Marge einstreichen, sodass sich die Subskription schon lange nicht mehr lohnt, wie ein Blick in die Preislisten der einschlägigen Händler unschwer beweist. Nicht umsonst sind in Bordeaux heute viele Negociants vom Untergang bedroht. Einige wurden in den letzten Monaten bereits verkauft bzw. übernommen, weil die Preise für den Jahrgang 2016 von den Châteaux viel zu hoch angesetzt waren, sodass viele kundige Händler und alte, über Jahrzehnte gewachsene Märkte ausgestiegen sind. Die Châteaux haben ob der enorm hohen Preise ihren Reibach aber gemacht. Völlig ungeniert und von der Gier getrieben setzen Sie jetzt auf die Super-Egos der Reichen dieser Welt, die hohe Preise brauchen, um ihren Egos schmeicheln zu können, weshalb besagte Châteaux große Mengen der gesuchtesten Weine zurückgehalten haben, um mit ihnen später zu nochmals höheren Preisen absahnen zu können. So verschwindet das alte Handelssystem und Bordeaux verkommt zum Jahrmarkt der Eitelkeiten, der auf beiden Seiten des Marktes blind ist für den Inhalt der Flaschen, Hauptsache Preis, Punkte und Image stimmen. Selbst schuld, wer dieses Spiel, das selbstsüchtige Punktebewertungen über harte Fakten und reale Werte stellt, mitmacht.

Wir glauben, dass in Punkten zu denken und zu urteilen, lähmend, einschränkend und einengend ist, wenn wir sie in Jurys oder Wettbewerben vergeben sollen. Wir denken nicht in simplen Schemata, wir urteilen nach technischen Kriterien. Dabei versuchen wir guten und spannenden Weinen eine Seele zuzugestehen. Guter Wein soll lebendig sein, wir suchen in ihm das besondere Anderssein; wir suchen nach dem Wert hinter dem Preis, der nachvollziehbar sein muss und plausibel. Wir möchten Wein in seiner wunderbaren Individualität und Vielfalt in Stil und Machart beurteilen, möchten seiner faszinierenden Dynamik, die er derzeit durchlebt, in weiteren Grenzen als bisher gerecht werden. Kriterien wie diese lassen sich nicht in ein simpel lineares Punkteschema pressen! Wie will ich die im Mundgefühl spürbare Dichte eines Weines, wie er sie nur durch profunde Weinbergsarbeit erhält, in Punkten beschreiben? Wie soll die banale »Reinheit« und Pseudo-Frucht eines per Reinzuchthefe im Edelstahltank kalt vergorenen Rieslings aus konventionellem Anbau in Punkten beschrieben werden, im Gegensatz zu einem per Maischegärung riskant spontan vergorenen und im Holzfass ausgebauten Gegenspieler aus biologischer Bewirtschaftung? Das verlangt Kriterien, die man in Punkten denkend und geschmäcklerisch urteilend niemals nachvollziehbar machen. Ohne Worte, ohne Information, ohne nachvollziehbare Beschreibung, geht das nicht.

Punkte sollten endlich der Vergangenheit angehören. Guter Wein präsentiert sich heute in Stil, Machart und Charakter zu bunt und vielfältig, als dass man ihm mit der linearen Einfalt von Punkten gerecht werden könnte. Punkte eignen sich zur Beschreibung von Weinen, die banale Konventionen und geschmackliche Schemata erfüllen, den üblichen, simplen Rezepten des Mainstreams folgen. Für solche Weine sind sie gemacht. Auch das gehört zum Wandel im Handel. Tatsächlich haben 30 Jahre Parker-Punkte eine Bresche der Verwüstung in den Weinhandel geschlagen. Viel zu bequem ging dieser mit den Punkten auf Kundenfang, machte sie zum wesentlichen, oft einzigen Kaufargument und bemerkte nicht, wie er dabei unterwegs seine Inspiration und Kompetenz verlor. Wer Wein in anonymen Punkten erlebt, wird eigene Kriterien für Qualität, Individualität und Charakter kaum entwickeln können. Nicht umsonst war es der Handel selbst, der den Wein kritiklos der Marktmacht der bequemen Punkte unterwarf.

Der gute Wein von heute hat mehr verdient. Ihn macht erst das Wort erinnerbar. Es haucht ihm Leben ein, vermittelt ihm Wert und Wertigkeit über den Preis hinaus und zollt ihm Respekt. Es ist das Wort, das gutem Wein Persönlichkeit, Charakter, Individualität und Identität zugesteht und verleiht.

Wir wagen die eigene Meinung und versuchen den Mehrwert, den unsere Weingüter durch ihre Arbeit in ihre Weine legen, durch persönliche Worte auf Basis unserer Erfahrung und Kompetenz glaubhaft zu vermitteln.

 

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