Regionalität
Ein Begriff, der längst inflationär verwendet wird. Als wäre Regionalität ein Wert an sich. Als wären regionale Produkte automatisch gute Produkte. Zunehmend dient »Regionalität« aber auch einem neuen Geist der Ausgrenzung, einer diffusen Angst vor dem Fremden. Die Region verkommt zum Schutzwall gegen das Unbekannte, das Fremde und das böse Globale, wird zum banalen Rückzug ins Bekannte, Bewährte und Bequeme - und damit banal.
Vergessen die Tatsache, dass es für Reisen keinen Ersatz gibt: Zu Hause sind die anderen die Fremden, unterwegs sind wir es selbst. Ist es nicht genau dieses Fremdsein in der Fremde, das uns bereichert und inspiriert? Erst durch den Vergleich mit dem Anderen, dem Unbekannten, dem vermeintlich Besseren oder Schlechteren, lernen wir unsere Heimat wertzuschätzen. Überspitzt könnte man sagen, dass es ohne Fremde keine Heimat, keine Identität gibt.
So hat sich unsere deutsche Küche erst entwickelt, als wir sie für neue, uns fremde Impulse aus Frankreich, Italien, Spanien, Asien und dem Rest der Welt öffneten. Nur so lernten wir andere, uns bis dahin unbekannte Gar- und Kochtechniken, neue Produkte und Zubereitungen kennen. Bis dahin war uns die Pizza so fremd wie der Döner, die Paella oder der Hamburger. Schade, dass wir gleichzeitig die Küche unserer Regionen banalisiert und verindustrialisiert und das Gefühl für Heimat auf dem Teller, für selbstbewusste regionale Qualität im Sinne hochwertiger Produkte, weitgehend verloren haben. Auch und gerade in der Küche manifestiert sich die Identität einer Nation. In Frankreich ist die Alltagsküche und das gemeinsame Essen, mit entsprechender Ruhe und Zeit, wichtiges Bindemittel der Gesellschaft. Über dem Essen schwinden die sozialen Unterschiede. Man speist und genießt gemeinsam, diskutiert dabei, redet miteinander, nimmt sich die Zeit, sich auszutauschen, Dinge zu besprechen. Und das Tag für Tag. Mittagszeit ist Essenszeit. Mahlzeit im besten Sinne. Wo bleibt er, wo ist er, der selbstbewusste Stolz auf unsere Regionalität und deren Produkte?
Wir wollen es nicht wahrhaben, doch auch das neue deutsche Weinwunder verdankt sich de facto »fremden« Weingütern aus Übersee, die uns zeigten, dass Wein, der schonend aus reifen, gesunden Trauben gekeltert wird, besser schmeckt als das, was wir bis dahin für Wein hielten. Unsere einzigartigen deutschen Lagen und deren Weincharaktere haben wir erst im Spiegel des »Fremden« auf dem globalen Weinmarkt wiederentdeckt und schätzen gelernt. Die rasante Dynamik auf dem Biersektor, die das ausschließlich für den Preis produzierende deutsche Brauwesen quasi in letzter Minute vor dem qualitativen wie ökonomischen Exodus bewahren wird, verdanken wir sicher dem großen Ruf unseres deutschen Bieres im Ausland, seine Qualität freilich war kaum noch konkurrenzfähig. Es waren »Fremde« im Ausland, die mit ihren innovativen Bier-Ideen dafür sorgten, dass auch bei uns wieder Bewegung in den Markt kommt. Bleibt zu hoffen, dass wir dadurch in Zukunft wieder qualitativ ambitioniertere und geschmacklich buntere weil vielfältigere Biere werden genießen können.
»Regionalität« kann nur der bewusste Bruch mit der globalen Lebensmittel- und Weinindustrie sein. Nicht mehr, nicht weniger. Ziel muss es sein, nachvollziehbar produzierte, unverfälschte und authentisch frische Nahrungsmitteln sowie handwerklich hergestellte Weine zu konsumieren. Sie stehen automatisch für regionale Artenvielfalt und unverwechselbaren Charakter. Das müssen allerdings nicht zwingend Produkte aus der Region sein. Auch »fremde« Produkte können, wenn sie mit Anspruch, Wertigkeit und Charakter handwerklich in humaner Dimension produziert wurden, den Charakter ihrer Herkunft widerspiegeln und damit unverwechselbar sein im globalen Einerlei. Das ist die Regionalität, von der wir lernen können.
In diesem Sinne sind (fast) alle unsere Weine regional (also bewusst nicht global in Machart und Charakter). Sind sie es nicht, weisen wir in der jeweiligen Weinbeschreibung darauf hin.
© K&U