Wir wünschen ein gutes, gesundes und hoffentlich friedlicher werdendes neues Jahr 2025!

Die Reife und der Wein


War früher ein großer Wein immer ein reifer Wein, singt man heute das hohe Lied der Jugend, weil sich heute selbst blutjunge Weine durch die Möglichkeiten der modernen Kellerwirtschaft schon trinkbar und zugänglich zeigen.


Durch die inzwischen fast ausschließliche Vermarktung des Weines über das Selbstbedienungsregal, aus dem seine Käufer keinerlei Information über ihn erhalten, man also weniger das Kulturgut Wein als das Wirkungsgetränk kauft, hat sich der moderne Wein in jeder Hinsicht enorm beschleunigt. So kommt heute ein Jahrgang in den Verkauf, kaum daß er auf Flasche ist - und wird dann auch prompt getrunken. So haben sich dessen Käufer eine Vorstellung von Weingeschmack antrainiert, die nur fruchtige Primärfruchtaromen kennt. Bietet ein Weinhändler mal ältere, gereifte Flaschen an, früher der Stolz eines jeden Händlers, heißt es heute dann: »Die hat er wohl nicht verkaufen können!«
So wurde zum Phänomen heutiger Tage, daß Weine, die nicht der begrenzten Erfahrung des durchschnittlichen Weintrinkers entsprechen, ohne weiteres Nachdenken über die eigene Urteilsfähigkeit als fehlerhaft, korkig oder gar als »hinüber« abgeurteilt werden. So ist für viele Weinfreunde und Weintrinker das Wort »Reife« heute negativ besetzt, weil ihnen die Erfahrung mit der Entwicklung hochwertiger Weine fehlt. So ist moderner Wein so »schnell« geworden, wie die Weinbereitung technisch beschleunigt wurde, er soll sich schließlich im Selbstbedienungsregal des Lebensmittelhandels ohne aufwendigen Input möglichst schnell drehen.

Darf Wein keine Zeit mehr haben?

Binnen weniger Jahre mutierte der Begriff der Reife im Wein vom angestrebten Qualitätsmerkmal zum mißverstandenen und nur zu oft voreilig falsch interpretierten »Fehler«. Das sogenannte »geschmackliche Optimum«, wie man die Trinkreife von Wein beschreibt, hängt also nicht nur von der technischen Beschaffenheit des probierten Weines ab, sondern maßgeblich von der persönlichen Präferenz, der Stimmung, der Trinkerfahrung und den Trinkgewohnheiten des Beurteilenden. Und so kommt es immer wieder vor, daß der erfahrene Weinfreund etwas als »reif« besonders lobt, was der weniger Erfahrene als »verdorben« beklagt.
Will ich wirklich beurteilen können, ob der Wein im Glas vor mir sein Geld wert ist, muß nicht der Wein etwas leisten, sondern ich als der, der ihn zu beurteilen versucht. Wenn ich dafür außer meinem »eigenen Geschmack« aber über keine härteren Kriterien verfüge, ist mein Urteil wertlos, denn es beruht lediglich auf antrainierten Trink- und Schmeck-Gewohnheiten, die es mir nicht erlauben, einen Wein über diese beschränkte Geschmackserfahrung hinaus im Charakter seiner Bewirtschaftung, seiner Vergärung, seiner Herkunft, seiner Entstehungsgeschichte insgesamt, und den darauf basierenden geschmacklichen Möglichkeiten erfassen und beurteilen zu können. Insofern ist das so gerne und oft zitierte »Preis-Leistungs-Verhältnis« eher eine kompromittierende Aussage über den, der es zitiert, als über den Wein, dem es angeblich gilt.
Bei der Beurteilung der Reife eines Weines gilt es zu unterscheiden zwischen der Zeitspanne, die er überstehen kann ohne chemisch/physikalisch zu zerfallen, und jenem Zeitraum, den er braucht, um sich dem geschmacklichen Höhepunkt seiner Entwicklung zu nähern.
Zuverlässige Vorhersagen bezüglich Haltbarkeit und Entwicklung sind so gut wie unmöglich geworden, weil der technische Fortschritt im Keller viele physikalische und chemische Manipulationen unterschiedlichster Weinparameter ermöglicht, doch es gibt Merkmale, an denen man die Entwicklung eines Weines abschätzen kann. So hängt z. B. die Alterungsfähigkeit von Rotwein nicht nur maßgeblich vom Gesundheitszustand und der Nährstoffversorgung seiner Trauben ab, sondern auch von der Qualität und Beschaffenheit seiner Gerbstoffe. Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, daß ein hart und unharmonisch schmeckender Roter nur lange genug liegen muß, um sich zu einem feinen Tropfen zu mausern; ebenso falsch ist die Annahme, ein schon jung angenehm trinkbarer Rotwein besitze kein Alterungspotential.

Was ist Reife im Wein?

Gerbstoffe, auch Tannine genannt, sind komplexe chemisch-physikalische Ketten-Verbindungen, die schnelle Oxidation verhindern helfen. Sie gelangen bei der Weinbereitung aus den Traubenschalen, den Kernen und möglicherweise auch den Stielen in den Wein, stammen als externe Gerbstoffe aber auch aus dem Holz bei entsprechendem Faßausbau.
Die Weinbereitung entscheidet über die Extraktion der Beerenschalen über Wirkung und Qualität dieser Gerbstoffe. Der Kontakt des Mostes mit den Beerenschalen, die sogenannte Maischegärung, will also wohldosiert sein und muß in der Extraktion z. B. den Einfluß des Jahrgangs auf die Beschaffenheit der Beerenschale berücksichtigen, um die Gerbstoffstruktur und das Mundgefühl eines Rotweines angenehm und damit hochwertig beeinflussen zu können.
Wein wird erst dann zum Meistertrunk, wenn ein erfahrener Winzer einen Jahrgang entsprechend sorgfältig umzusetzen versteht. Es ist also nicht der Jahrgang, der für Qualität sorgt im Wein, sondern der Winzer, der das Potential des Jahrgangs in entsprechend geschmackliche Weinqualität umzusetzen versteht. Das wird nur zu gerne vergessen. Tatsächlich gibt es iel mehr schlechte Winzer als schlechte Jahrgänge.
Während der Flaschenreife verändern sich die Gerbstoffe eines Rotweines durch Verlängerung ihrer Molekülketten mit der Zeit so, daß sie geschmacklich zunehmend reif, ‚lang’ und süß erscheinen. Genau das passiert im Kleinen auch beim Dekantieren eines Rotweines. Der Wein verliert dann durch die zunehmende Polymerisation der kurzen Gerbstoffketten, die sich physikalisch durch den Sauerstoffeinfluß verlängern, die Ecken und Kanten seiner Jugend, schmeckt zunehmend rund und angenehm, klingt immer länger am Gaumen nach.  
Doch Vorsicht! Rotweine, die in ihrer Jugend  übermäßig rauh, adstringierend und bitter schmecken, werden dies auch im Alter tun; sie mögen mit der Zeit etwas freundlicher wirken, Qualität wie ein sorgfältig extrahierter Rotwein werden sie nie entwickeln.  
Ein qualitativ guter Rotwein schmeckt auch in seiner Jugend schon erkennbar gut. Man ahnt da sozusagen, was kommt. Mit zunehmender Reife kleidet er dann den Gaumen seidig und in sich stimmig schmeckend buchstäblich aus, beladen mit länger wirkenden Gerbstoffketten, die man als vielschichtig würzige Wirkung im Mund wahrnimmt, die fein, nobel, kühl und lange nachklingen.
Es kommt also auf die Qualität der Inhaltsstoffe an, ob ein Rotwein haltbar oder schnell verblühend ist. Es geht dabei um Dichte und Extrakt aus möglichst niedrigen Erträgen, die man unschwer als texturdichte im Mundgefühl erfühlen kann. Es geht um es Konzentration, die sich aus Dauer und Temperatur der Maischegärung und der biologischen Beschaffenheit der Beerenschalen ergibt. Es geht um die Qualität und Art der Säuren und die Balance aller geschmacklich wirksamen Komponenten. Sie alle zusammen definieren die Qualität eines Weines. Zu deren Abschätzung ist, das werden Sie nach dieser kurzen Abhandlung zugestehen, profunde Trinkerfahrung nötig.  
Optisch läßt sich der Entwicklungsprozeß eines Rotweines an seiner Farbe ablesen. Sie verliert im Laufe des Reifeprozesses ihre ursprünglich bläuliche bzw. jugendlich intensive Tönung und durchläuft mit zunehmender Reife alle Rotschattierungen bis zum Rubinrot, um schließlich ins Orange-bräunliche überzugehen. Das kann, je nach Traubensorte, Machart und Lagerbedingungen, schon nach wenigen Jahren, im Idealfall aber auch erst nach Jahrzehnten eintreten, ist dann aber sicheres Zeichen für sein qualita tives Ende.  
Unsere trockenen Weißweine aus regenerativem Anbau besitzen, man mag es kaum glauben, besseres und zuverlässigeres Alterungspotential als Rotweine. Ihre verschiedenen Säuren und vielfältigen Inhaltsstoffe aus der Vergärung per natürlicher Wildhefe, für die lebendige Böden mit ihrer Nährstoffversorgung verantwortlich sind, scheinen für ihre Haltbarkeit eine große Rolle zu spielen.
Ein Weißwein scheint um so länger und besser reifen zu können, je höher seine Weinsäure und seine Extraktwerte sind, also je niedriger die Erträge sind. Die Säure steuert die Rebsorte bei, allerdings verändert sich das Verhältnis der Säuren während der Reife am Stock. Ein guter Winzer steuert über die Physiologe der Rebe das Verhältnis von Äpfel- zu Weinsäure in der Traube. Je höher die Weinsäure, um so niedriger der pH-Wert, um so »gesünder« der Gärverlauf, um so zuträglicher der Wein, weil während der Gärung bei niedrigen pH-Werten kaum biogene Amine entstehen können, die für Kopfweh etc. verantwortlich sind.
Grundsätzlich gelten Weißweine, die vor der Flaschenfüllung mit Sauerstoff in Berührung kamen (beispielsweise durch langsame spontane Vergärung und Ausbau auf der Hefe im Holzfaß), als erheblich stabiler (oxidativer Ausbau), als jene, die unter systematischem Luftabschluß z. B. per Reinzuchthefevergärung im Edelstahltank hergestellt wurden (reduktiver Ausbau). Also die Art des Ausbaus und der bewußte Kontakt mit Sauerstoff bestimmen ganz maßgeblich das Reifevermögen. 
Auch gibt es besonders alterungsfähige weiße Rebsorten. Riesling, Chardonnay, Carignan und Grenache blanc, Grüner Veltliner oder Chenin Blanc, Greco und Fiano und viele andere können bei entsprechender Ausgangsqualität und Weinbereitung hervorragend reifen. Nach Jahren oder gar Jahrzehnten verströmen ihre besten Exemplare dann ein faszinierend komplexes Feuerwerk reifer Düfte und würziger Sekundär- und Tertiäraromen, deren Genuß allerdings entsprechende Trinkerfahrung voraussetzt.

Die Trinkreife eines Weines ist also eine sehr subjektiv erlebte Angelegenheit, zumal sich der Begriff der Reife eines Weines in ständigem  Wandel befindet: Bis vor kurzem suchte man beim Riesling z. B. noch den jungen, fruchtbetonten, spritzigen, eher leichten und harmlosen Typ, heute dreht sich alles um einen spruchsvolleren, gehaltvolleren Typus von Riesling mit Struktur, Klasse und Extrakt, der natürlich ein ganz anderes Reifepotential besitzt, als das Sechzigerjahre-Moseltröpfchen aus Hochertrag. 

Die Weinbranche pflegt viele Mythen und Märchen. Darunter zählen wir vor allem die üblichen Angaben zu beginnender Trinkreife und optimaler Reife. Wir nennen Ihnen lieber faktische Rahmenbedingungen, die vielleicht zu besonderer Haltbarkeit und Reife ohne Enttäuschung führen – aus eigener Erfahrung. Alles andere halten wir für unseriös. Wir haben schon die wundersamsten Überraschungen erlebt. Unsere Angaben zur optimalen Reife möchten Sie deshalb bitte als technische Näherung ansehen, die übrigens voraussetzt, daß Ihre Weine unter geeigneten Lagerbedingungen reifen.

Optimale Reife. Kann es sie geben?

Alter Wein übt auf Kenner eine unwiderstehliche Anziehungskraft aus. Jahr für Jahr werden auf Auktionen Rekordsummen für Wein-Antiquitäten bezahlt. Daß der Inhalt dieser teueren Flaschen sein Geld immer wert ist, darf allerdings bezweifelt werden. Zum einen besitzen weitaus weniger »moderne« Weine als gemeinhin propagiert das Potential für jahrzehntelange Reife, zum anderen ist der Reifeprozeß eines Weines von vielen Unwägbarkeiten begleitet. Die immer wieder bei Händlern und Journalisten großzügig angegebenen Vorhersagen zu Haltbarkeit und optimaler Trinkreife mögen der Beruhigung ihrer Leser dienen, der Realität in der Flasche entsprechen sie nur zu oft nicht.
Obwohl Wissenschaftler unterschiedlichster Fachrichtungen immer wieder den Wein und seine vielfältigen, bislang nur ansatzweise erforschten Inhaltsstoffe im Visier haben, ist das Alterungspotential vergorenen Traubenmostes nach wie vor keine technisch erfaßbare, geschweige denn meß- und definierbare Standardgröße, die präzise vorhersagbar wäre. Das bestätigen unsere Erfahrungen der letzten vierzig Jahre.  
Es ist deshalb bemerkenswert, mit welcher Unverfrorenheit z. B. Bordeauxweine für irres Geld an unkundige und gutgläubige Kunden verhökert werden, die erst nach vielen Jahren geduldigen Wartens dazu kommen, die wahren Qualitäten der blindlings gekauften Weine begutachten zu können. Bis dahin haben sie längst vergessen, bei wem sie die oft traurigen Tropfen gekauft haben. Weder ein berühmter Name noch ein angeblicher Kultstatus sind Garantie für lange Lebensdauer des Flascheninhalts, geschweige denn für den erhofften (meist teuer bezahlten) Genuß.  

Wir möchten Ihnen die schmerzliche Erfahrung umgekippter Weinleichen im Keller ersparen. Deshalb sind wir vorsichtig mit entsprechenden Vorhersagen, auch wenn viele unserer Kunden immer wieder danach verlangen. Ihnen scheinen die Angabe dieser Parameter eine entscheidende Einkaufshilfe zu sein. Damit das funktioniert, sollten sie sich mit dem Thema Reife intensiv beschäftigen, um in die Lage versetzt zu werden, den Zustand der Reife eines Weines in eigener Erfahrung erleben und dann auch beurteilen zu können.