Die optimale Reife von Wein
Eine gereifte Flasche Wein zu öffnen ist stets ein Abenteuer. Eine spannende Reise in Vergangenheit und geschmackliche Erinnerung. Die Faszination der Zeit im Wein. Große Weine entwickeln erst nach Jahren auf der Flasche ihr fulminantes aromatisches Potential. Den Zeitpunkt ihres Reifehöhepunktes anzugeben ist aber unmöglich, denn es ist ausschließlich die persönliche Trinkerfahrung, die bestimmt, was man als »trinkreif« empfindet. Was dem einen gerade trinkreif erscheint, ist dem anderen schon zu alt.
Edelstahltank, Reinzuchthefe und Kaltvergärung als der Standard heutiger Weinbereitung haben zu einer Veränderung des Publikumsgeschmacks hin zu leicht verständlichen, eindimensional »fruchtigen«, jung zu trinkenden Weinen geführt. So werden viele Weine, die eigentlich ein paar Jahre Lagerung verdient hätten, heute viel zu jung getrunken. Die deshalb zunehmende geschmackliche Fixierung auf Fruchtnoten hat viele Weinfreunde jeglicher Neugier auf und Offenheit für die so anderen, ungewöhnlichen und oft komplexen Aromen der Reife beraubt. Sie lehnen alles, was nicht »fruchtig« nach Gletscherbonbons, Kaugummi, Ananas, Zitrone oder Pflaume riecht, als »zu alt«, »korkig« oder »umgekippt« ab.
Die heute den Markt dominierenden, gezielt »fruchtig« ausgebauten Weine haben – ob weiß oder rot - kein Entwicklungspotential. Sie verlieren schon nach wenigen Jahren Charme und Frische, werden leer, schal und langweilig. Anspruchsvolle Weine dagegen, die auf der wilden Hefe vergären und lange auf ihr, am besten in traditionellen Holzfässern, ausgebaut werden, können je nach Rebsorte und Herkunft - egal ob weiß oder rot - mühelos 10 und mehr Jahre reifen.
Was kaum bekannt ist: Viele der von uns angebotenen Weißweine neuer Generation können durch den Anbau auf lebendigen, aktiven Böden mit entsprechender Spontangärung und schonend langem Ausbau auf der Voll- oder Feinhefe (auch ohne korrigierende Eingriffe der Kellerwirtschaft) trotz nur minimaler oder gar keiner Schwefelung sehr viel besser, konstanter und zuverlässiger reifen, als viele Rotweine.
Sie sollten stets dekantiert serviert werden und entwickeln sich manchmal nach dem Öffnen über viele Tage hinweg auf der Flasche oder in der Karaffe zu perfektem Trinkzustand (das untrügliche Merkmal optimaler Nährstoffversorgung der Trauben durch lebendigen Boden, denn der antioxidative Schutz durch zugesetzten Schwefel fällt ja weg...).
In der Phase der Reife (der Sekundärphase) entwickeln gute Weine Intensität, Tiefe und anspruchsvoll komplexes Geschmacksgefühl im Mund. Sie gewinnen an Dichte und Harmonie, verändern dabei aber ihren Duft, der spürbar würziger wird, vielfältiger und vielschichtiger und damit »anstrengender« und fordernder. Das ist der Zustand, den wir als »Reifehöhepunkt« sorgfältig zu prognostizieren versuchen.
Im Stadium der Vollreife (der sogenannten Tertiärphase) schließlich ist jede Art von Frucht verschwunden, die Aromen der Zeit werden schmeckbar, je nach Weintyp und Qualität mehr oder weniger intensiv. Dann entwickeln Weißweine im Bukett Noten von Bienenwachs, reifem Obst, oxidierten Apfel- oder Birnenschalen, bekommen dunkle Würze, die gelb, aber auch braun wirken kann, aber auch an Erde wie an edle Hölzer, Leder, Karamell oder Curry erinnern kann.
Bei Rotweinen polymerisieren vor allem die Gerbstoffe während der Reife. Sie werden durch die längeren Gerbstoffketten weicher, wirken länger und damit feiner und süßer, verlieren aber auch signifikant an Farbintensität, die ins karminrote oder gar dezent bräunliche geht, und im Bukett dominieren dann würzige, ledrige und erdige Aromen.
In unserer Deklaration geben wir als »Reifehöhepunkt« jenen Zeitpunkt an, ab dem ein Wein nach unserem Verständnis voll genussreif ist. Das bedeutet nicht, dass Sie ihn vorher nicht trinken können oder sollen! Dazu geben wir den Zeitpunkt, ab dem wir ihn für trinkreif halten, explizit an! Trinkreife und Reifehöhepunkt sind also zwei völlig verschiedene Dinge! Wer es gewohnt ist, seine Weine einzulagern, bevor er sie trinkt, kann sich am Reifehöhepunkt orientieren. Wer es gewohnt ist, die Weine zu trinken, die er kauft, für den ist die Trinkreife die entscheidende Angabe. Beide zusammen wollen Ihnen Anhaltspunkt sein für die Entwicklungsfähigkeit des Weines. Dabei kennzeichnen wir mit <, > oder + vor bzw. hinter der Angabe des Reifehöhepunktes, ob wir ihn für besonders entwicklungsfähig halten.
Das »geschmackliche Optimum« ist keine simple Standardgröße!
Es hängt, abgesehen von technischen Parametern, ganz maßgeblich von Ihren persönlichen Vorlieben und Trinkerfahrungen ab. Dabei scheinen die meisten Angaben zum Reifehöhepunkt eher der Beruhigung der Käufer:innen zu dienen; sie sollen sie in Sicherheit wiegen. Den Reife- und Entwicklungsverlauf eines Weins präzise vorherzusagen, ist technisch unmöglich und verkaufstechnisch unseriös. Viele Angaben dazu, wie sie in Katalogen und Weinbewertungen zu lesen sind, erweisen sich als so unverbindlich und zuverlässig wie Horoskope. Das gilt vor allem für besonders hoch bewertete Weine, denn Journalisten leisten sich Vorlieben, die einschätzbar und bekannt sind, und so sind viele der von ihnen besonders geschätzten Weine wegen zu hoher pH-Werte oft viel schneller tot als vorhergesagt.
Unsere Angaben zum Reifehöhepunkt sind dagegen bewusst konservativ gehalten und sie verstehen sich als technische Näherung, basierend auf unserer Kenntnis der Weinbereitung und Erfahrung mit Winzer und Wein. Trauen wir einem Wein besondere Haltbarkeit oder ungewöhnliches Reife- und Entwicklungspotential zu, weisen wir in seiner Weinbeschreibung ausdrücklich darauf hin. Auch dann aber können wir nicht gewährleisten, dass er sich so entwickeln wird, wie wir es ihm unterstellt haben ...
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