Wir wünschen ein gutes, gesundes und hoffentlich friedlicher werdendes neues Jahr 2025!

Spontangärung  


Zur Geschichte der alkoholischen Gärung verweisen wir auf unseren entsprechenden Lexikon-Beitrag. Er zeigt, daß es bis vor etwa hundert Jahren keine Alternative zur natürlichen Gärung per Wildhefen, der sogenannten Spontangärung, gab. Man kannte die Gär-Erreger schlicht nicht.  

Erst zu Beginn und Mitte des 20. Jahrhunderts gelang es der aus der Obstwein-Produktion neu entstehenden Mikrobiologie diese Wissenslücken zu schließen. In Geisenheim entstand damals die erste Reinzucht-Hefe-Station, in der man gezielt Hefestämme züchtete, die für eine sichere Gärführung sorgen sollten. Man begann mit dem Begriff »Gärsicherheit« für den Einsatz der ersten Reinzuchthefen zu werben. 

Heute vergären die allermeisten Winzer der Welt ihre Moste schnell und sicher mittels einer der zahlreichen, auf bestimmte aromatische und gärtechnische Eigenschaften gezüchteten Reinzucht-Hefen, die allerdings Stil und Charakter der damit vergorenen Weine entscheidend in Duft und geschmacklicher Wirkung beeinflussen. Vor allem die so vergorenen Weißweine lassen sich pauschal mit dem Wort »fruchtig« beschreiben.  

Wir sind der einzige Weinhändler hierzulande, der sich seit über dreißig Jahren fast ausschließlich Weinen widmet, die mittels ihrer wilden Umgebungshefe, also spontan, vergoren werden.


Warum verzichten unsere Winzerinnen und Winzer freiwillig auf die Sicherheit und Zuverlässigkeit der Gärführung per Reinzuchthefe?  

Weil nur eine gelungene Spontangärung ihren Weinen durch das Zusammenspiel verschieden »guter« Hefestämme, die meist aus dem Weinberg kommen, wo sie aber nur nachweisbar sind, wenn die Trauben per Hand gelesen werden, jene vielschichtige Komplexität in Duft und Geschmack verleiht, die unsere anspruchsvolle Kundschaft sucht. Denn ohne spontane Gärung keine Vertikalität, also Tiefgründigkeit, im Wein; ohne sie gibt es weder eine Boden- noch eine Lagentypizität, also keinen Herkunftscharakter im Wein; ohne sie entsteht im Wein kein physisch erlebbares, räumlich anspruchsvolles Mundgefühl – weshalb die Industrie mit großem Forschungsaufwand versucht, all dies mittels entsprechender Züchtungsversuche nachzuahmen.  

Die auf der Traube natürlich vorhandenen Mikroorganismen bilden eine Mischflora aus Bakterien, Schimmelpilzen und diversen Hefestämmen, die auch Pilzkulturen sind. Je nach Jahresverlauf, Feuchtigkeit oder Trockenheit, Pflanzenschutzmaßnahmen, Schädlingsbefall und Nährstoffversorgung durch den Boden schwankt die Anzahl dieser Organismen, aber auch deren Zusammensetzung. Die Hefe-Populationen sind meist schwach gärende Apiculatus-Hefen (Hanseniaspora uvarum), ergänzt um Kahmhefegattungen und andere »wilde Hefe-Stämme«. Die reine Weinhefe Saccharomyces cerevisiae macht auf der Traube meist nur 1-3 % der Hefepopulation aus.  

Während der alkoholischen Gärung mittels dieser bunten Mischflora natürlich vorhandener Bakterien und Hefepilze entsteht nicht nur der Alkohol Ethanol, es werden auch zahlreiche weitere Stoffe gebildet, die für die aromatische Komplexität und das so andere Mundgefühl spontan vergorener Weine von entscheidender Bedeutung sind. Man nennt sie Gär-Nebenprodukte. Diese entstehen, weil während der natürlich »spontanen« Vergärung ein harter Konkurrenzkampf der vorhandenen Mikroorganismen um die Nährstoffe einsetzt, bei dem jeder einzelne Mikroorganismus mit seinem spezifischen Stoffwechsel zu einem immer breiter werdenden Spektrum an Gär-Nebenprodukten beiträgt. Erst wenn diese im Most dominierenden wilden Umgebungshefen im Verlauf der Gärung nach ein paar Tagen an Wirkung verlieren, hört die Bildung dieser Nebenprodukte auf und es kann sich jener Hefestamm durchsetzen, der die Gärung schließlich zu Ende führt (und übrigens auch in der Bierherstellung und als Backhefe Verwendung findet): Saccharomyces cerevisiae.  

Spontangärung setzt also konkrete Bedingungen voraus, damit die natürlichen Hefen die Gärung nicht nur von allein starten, sondern auch zu Ende führen können. Diese Bedingungen waren es, die uns vor über 30 Jahren dazu brachten, die spontane Gärung zum qualitativen Kriterium für unser Weinprogramm zu machen, denn nur kerngesundes und vor allem ausreichend mit Nährstoffen aus lebendigen Böden versorgtes Traubenmaterial kann eine reibungslose Spontangärung garantieren. Sie setzt also sowohl regenerativen Anbau voraus, als auch den Verzicht auf Fungizide, weil nur so eine maximal vielfältige und damit besonders geeignete Ausgangsflora auf physiologisch reifem und gesundem Traubenmaterial möglich ist. Weil ein niedriger pH-Wert im Most von unter 3,4 die »guten« Organismen während der Gärung bevorzugt, widmen wir uns seitdem auch intensiv der Bedeutung des pH-Wertes für die Mikrobiologie und Chemie des Weines.

All diese Voraussetzungen können in der Praxis nur besonders kompetente und engagierte Winzerinnen und Winzer garantieren. Das Risiko der Bildung von flüchtiger Säure und ungewollter bakterieller Mikroorganismen ist bei der Spontangärung allgegenwärtig.  

Viele Winzer haben durch die Herausforderungen der Klimakrise heute schon Probleme, die Gärung per Reinzuchthefe reibungslos durchlaufen zu lassen oder ihre Milchsäurebakterien kontrollieren zu können. Sie müssen auf sichere Technik setzen, damit ihre Weine sicher und schnell durchgären, weil sie nicht nur schnell auf den Markt kommen sollen, sondern auch möglichst billig angeboten werden können.  

Spontane Gärung kann dagegen je nach Jahrgang, Nährstoffversorgung und Population der natürlichen Hefestämme schnell, aber auch langsam ablaufen. Auf jeden Fall reifen ihre Weine langsamer im Faß oder im Tank und benötigen deshalb viel mehr Zeit, um ihre Trinkreife zu erlangen. Weil eine gelungene spontane Gärung maßgeblich vom Gesundheitszustand der Trauben, der Beschaffenheit der Moste und deren Gehalt an Zucker und Nährstoffen, aber auch von der Kontamination mit Spritzmitteln und anderen Umwelteinflüssen abhängt, sowie von der Art und Vielfalt der Hefepopulation, der Gärtemperatur und der Gebindegröße, in der vergoren wird, entscheidend beeinflußt wird, ist sie für uns ein hartes Qualitätskriterium geworden, das nur Winzerinnen und Winzer erfolgreich erfüllen, die ihr Metier vom Boden bis auf die Flasche wirklich beherrschen.

Wenn sie über mehrere Jahre erfolgreich in ihrem Keller spontan vergären konnten, gewinnt mit der Zeit die sich dort gebildete Hefeflora über die Multi-Kulti-Flora aus dem Weinberg die Oberhand, weil sie sich in der Zwischenzeit so an die Mostbedingungen anpassen konnte, daß sie zunehmend Start und Verlauf der Gärung übernimmt. In einem solchen Keller ist die spontane Gärung dann weitgehend risikobefreit.  

Unser Konzept »Wein radikal anders« hat die Spontangärung zum wesentlichen Qualitätskriterium für die Aufnahme in unser Programm gemacht, denn  

- Sie läuft nur mit chemisch nicht kontaminiertem, kerngesundem und gut mit Nährstoffen versorgtem Traubenmaterial von allein problemlos durch, sorgt für grundlegend eigenständige Stilistik und nur sie macht ausgeprägten Herkunfts-Charakter in ihren Weinen möglich, den die Vergärung mit Reinzuchthefe so niemals liefern kann.  

- Spontane Gärung ist in industriellen Großbetrieben weder zu praktizieren noch zu kontrollieren, sie setzt beherrschbar humane Dimensionen in der Betriebsgröße voraus, ein weiteres wichtiges Qualitätsmerkmal für uns, das kaum erwähnt wird, aber in Zeiten der Klimakrise fast schon existentielle Bedeutung erlangt hat.  

- Eine gekonnt umgesetzte Spontanvergärung manifestiert sich in vielschichtig frisch duftendem Bukett, das aber weit weniger »fruchtig« und intensiv oder gar laut ausfällt als bei Reinzuchtvergärung.  

- Im Mund sind spontan vergorene Weine nie bitter, weisen am Zungengrund eine weiche, saftige Rundung auf, sind lang, cremig und harmonisch im Mund, besitzen innere Dichte bei gleichzeitig präziser, oft mineralisch salzig agierender Frische und verblüffen bei meist moderatem Alkoholgehalt (weil bei der spontanen Gärung bis zu 1,5 Vol.% veratmet werden) mit deutlich intensiverem Geschmack im Vergleich zum eher verhaltenen Duft. 

- Spontan vergorener Weißwein ist mit Weißwein, der kalt und per Reinzuchthefe vergoren wurde, nicht vergleichbar. Im Weißwein ist der Unterschied zwischen diesen beiden Welten stilbildend und radikal.  

- Es verwundert uns nach 30 Jahren der intensiven Beschäftigung mit der spontanen Gärung schon sehr, daß auf den grundlegenden Unterschied in Stil und Charakter der beiden Weinwelten bis heute weder im Handel noch in der Sommellerie eingegangen wird. Schließlich sind nur spontan vergorene Weine in der Lage, Jahrgang und Charakter der Herkunft nachvollziehbar abzubilden; 

- und sie reifen weit besser und konstanter als ihre reinzüchtigen Gegenspieler, sind zudem wesentlich sauerstoffstabiler im Glas, sollten also stets, weiß wie rot, dekantiert werden, und trotz meist nur minimaler Schwefelung verblüffen viele unserer Weine, wichtig für die Gastronomie, mit oft tagelanger positiver Entwicklung, wenn ihre Flaschen geöffnet, aber nicht ausgetrunken wurden.   

Über Jahrtausende hinweg ließ man Most mittels Naturhefen zu Wein vergären. Wir führen diese Tradition aus Überzeugung und mit Überzeugung kompromißlos für Sie fort.

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