Szamorodni - süßer Wein aus Tokaj, der kaum bekannt ist
Tokaj ist die historisch bedeutendste Weinbaregion Ungarns. Dort bringen vulkanische Böden einige der besten Süßweine der Welt. Die Lage am Zusammenfluss von Bodrog und Theiß bietet den Trauben genau das richtige Klima, um die hier willkommene Edelfäule »Botrytis cinerea« zu entwickeln, wenn dafür bestimmte Bedingungen im Herbst herrschen. Der weltberühmte Tokaji Aszú, der auch »Wein der Könige und König der Weine« genannt wird, stammt aus dieser Weinregion und ist der Wein, auf dem der Ruhm von Tokaj beruht.
Es gibt jedoch noch einen weiteren »kleinen« Star unter den süßen, von der Edelfäule geprägten Weinen der region, der seit Jahrhunderten zu den Hauptstützen von Tokaj gehört - den Szamorodni (Sam-oh-rod-nee), der allerdings außerhalb Ungarns kaum bekannt ist.
In der Region war er als »főbor« bekannt, als »Hauptwein«, was viel über seine traditionelle Bedeutung in und für Tokaj sagt. Sein heutiger Name leitet sich von »samorodno« ab, wie er von jenen Händlern genannt wurde, die den Wein auf den durstigen polnischen Markt exportierten. Wie der Aszú wurde auch er am polnischen Hof ausgeschenkt. Sein Name bedeutet so viel wie »so wie er kommt« oder »so wie er gewachsen ist«, was sich auf die Tatsache bezieht, daß die von m Edelfäulepilz befallenen Beeren nicht wie beim Aszú einzeln ausgelesen werden, sondern als ganze Trauben der zugelassen Rebsorten Furmint, Harslevelű oder anderen zusammen geerntet und dann, nach sechs- bis zwölfstündiger Standzeit auf Schalen und Stielen ohne weitere Auslese der Beeren gemeinsam gekeltert werden.
Die Süße des Saftes und des fertigen Weines hängt also davon ab, wie viele edelfaule Beeren in den Trauben vorhanden sind. Je mehr »verschrumpelte«, rosinierte Beeren vorhanden sind, desto höher ist der Zuckergehalt.
Szamorodni existiert deshalb in zwei Varianten: süß (édes) und trocken (száraz).
Die süße Variante hat in der Regel 50 bis 100 Gramm Restzucker, ähnlich wie eine deutsche oder österreichische Beerenauslese (BA), und reift mindestens zwei Jahre lang (davon ein Jahr in Fässern) in den alten, von schwarzem Schimmel überzogenen Kellern von Tokaj, der dort dafür sorgt, daß Temperatur und Feuchtigkeit stabil sind. Dort entwickelt er seine faszinierende Aromatik nach Honig, kandierten Orangen und süßen Gewürzen. Seine frische Säure läßt einen guten Szamorodni frischer weil weniger süß und konzentriert als einen Aszú wirken.
Die trockene Variante ist vielleicht noch interessanter, wird aber kaum noch produziert. Sie wird aus spät geernteten, sehr reifen Trauben mit etwas Botrytis hergestellt und dabei bewußt unter einer Flor-Schicht (einem Hefeschleier, der sich auf der Oberfläche des Weins bildet, wenn die Umgebungstemperatur im Keller ansteigt) solange vergoren, bis der Wein trocken ist. Es entsteht ein Tokajer, der trockenem Sherry wie Fino oder Manzanilla ähnelt. Diese biologische Reifung verleiht dem Wein ganz besonderen Charakter, der auch mit Vin Jaune aus dem französischen Jura vergleichbar ist. Durch den Flor bleibt der Wein frisch, schmeckt spürbar salzig am Gaumen und entwickelt durch die Oxidation den typischen Rancio-Charakter mit Aromen von Tabak, Nüssen und getrockneten Aprikosen.
Der berühmte Aszú wird nicht jedes Jahr hergestellt. In Jahrgängen mit geringem Botrytisbefall wäre es für die Pflücker zu unwirtschaftlich, die Weinberge auf der Suche nach den kostbaren Aszú-Beeren immer wieder zu durchforsten. In einem solchen Jahr wird dann nur Szamorodni hergestellt. Das sind dann die Jahrgänge, in denen ein Szamorodni glänzen kann, weil die besten Aszú-Beeren mitgekeltert werden.
Ein Szamorodni steht einem Aszú in nichts nach. Auch er ist komplex, geschmacksintensiv, mit pikant frischer Säure und potentem Alterungspotenzial. Mit zunehmender Reife verändert er seine Farbe von Zitronengelb über Gold bis hin zu Bernstein und entwickelt grandiose Tertiäraromen, die an geröstete Nüsse, getrocknete Feigen und frischen Karamell erinnern. Wir empfehlen, Szamorodni gekühlt als Aperitif zu Salzigem zu servieren, zu leichten Obstdesserts oder zu Blauschimmelkäse.
K&U®2023