Trinkreife


Wann ist ein Wein trinkreif?

Die sogenannte Trinkreife eines Weines ist keine technische Standardgröße. Sie hängt nicht nur von der Art der Bewirtschaftung und der Beschaffenheit des Bodens im Weinberg ab, sondern auch von der Art der Herstellung und Verarbeitung im Keller, ist also ganz maßgeblich auch eine Frage der Qualitäts-Philosophie des Weingutes, ganz abgesehen von Stil, Charakter und Anspruch.

Vor allem aber - und das wird gerne vergessen - ist sie eine Frage der persönlichen Präferenz und der individuellen Trinkgewohnheit und -erfahrung.

Für Fachleute ist die Trinkreife ein definierter Zustand in der Entwicklung eines Weines. Für »normale« Weintrinker:innen aber ist sie das augenblickliche, das spontane und subjektive Erleben von Wein auf der Basis persönlich gemachter, erlebter und entsprechend erinnerter geschmacklicher Erfahrung.

Außerdem ist die Trinkreife höchst volatil und dynamisch dem Zeitgeist und seinen geschmacklichen Moden unterworfen. Suchte man bis vor ein paar Jahren im Weißwein den jungen, spritzigen, eher leichten »harmlos fruchtigen« Typ, hat sich der Weißwein seitdem enorm gewandelt. Er hat an Profil und Qualität gewonnen, ist nicht nur spannender und anspruchsvoller geworden, sondern vor allem auch breiter und vielfältiger in Stil und Charakter als Rotwein.

Vielleicht wenden sich deshalb so viele Weinfreunde heute wieder mehr dem Weißwein zu und erwarten nun auch von ihm mehr Anspruch und Vielschichtigkeit, auf jeden Fall mehr als nur die banale »Frucht« von gestern. Wenn es nach ihnen geht, kann, darf und soll Weißwein heute möglichst anspruchsvolle Struktur im Mundgefühl aufweisen und ein Potential für Entwicklung zeigen, das die »Fruchtbomben« aus Hochertrag und technischem Ausbau von gestern niemals haben konnten.

Bei den Rotweinen geht der Trend heute in Richtung natürlicherer, ehrlicher Gerbstoffqualität, die aus schonendem Ausbau und kürzerer Extraktion Weine liefert, die farblich etwas heller ausfallen als die Monsterbomben von einst, und sich oft schon zu Beginn ihrer Entwicklung mit erstaunlichem Vergnügen und Genuss trinken lassen. Dabei bedeutet frühere Trinkreife nicht, dass die Weine weniger anspruchsvoll wären.

Sie sind einfach nur anders bereitet, nämlich sehr viel schonender (und kürzer) aus sehr viel gesünderen und nährstoffreicheren Trauben extrahiert als noch vor wenigen Jahren. Sie geben so viel mehr Spielraum in der Weinbereitung, und damit in Stil und Charakter. Viele Betriebe wurden in den letzten Jahren ganz bewusst verkleinert, um wieder persönlich im Weinberg stehen und diesen handwerklich bewirtschaften zu können, für bessere Phenolreife, für gezielte Begrünung, zur Vermeidung von Trockenstress und für problemlos natürliche Wildhefe-Vergärung. Sie können so auf jene korrigierenden Eingriffe in die Weinwerdung verzichten, die Stil und Charakter so maßgeblich prägen und banalisieren.

Die kompetente handwerkliche Verarbeitung guter Rotweine ermöglicht heute schon im frühen Stadium der Entwicklung einen Trinkgenuss, der die Weine nicht nur jung schon besser schmecken lässt, sondern sie auch  gleichmäßiger, zuverlässiger und länger reifen lässt. Dieses neue, andere Herangehen an den Wein hat den Begriff der »Trinkreife« von Grund auf radikal verändert.

 

Die Angabe der Trinkreife kann nur eine Näherung sein

Die Erfahrung zeigt, dass Trinkreife einerseits der optimale Trinkfluss mit Frucht, Frische und der Vibration der Jugend ist, während sie andererseits bedeutet, dass sich ein Wein bereits als entspannt erweist, mehr Würze als Frucht aufweist und die ersten Spuren der Zeit in ihm zu entdecken sind.

Wir geben als Trinkreife den Zeitpunkt an, ab dem ein Wein nach unserer Erfahrung beginnt, technisch »reif« zu schmecken, ab dem er also mit Genuss zu trinken ist, ohne deshalb »optimal reif« zu sein. Er zeigt dann schon fast alles, was in ihm steckt, hat den Schock der Abfüllung hinter sich und den fruchtigen Babyspeck der Gärung und des Ausbaus abgelegt. Sollten wir ihm zutrauen, dass ihn weitere Entwicklung entscheidend verbessert, deklarieren wir dies in der Angabe des Reifehöhepunktes.


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