Winterweine
Der Winter braucht besondere Weine. Schließlich bestimmen die einschlägigen Wintergemüse die Küche der Saison. Sie wird von Wurzelgemüsen dominiert, von diversen Kohl-Arten, von Lauch und Rüben und winterlich deftigen Salaten. Aromatisch zeigt sie sich eher »dunkel« und würzig als »hell«, fruchtig und frisch, wirkt erdiger und setzt - organoleptisch entscheidend - vor allem auf Kohlenhydrate. Dazu passen gemütlich wärmende Wohlfühl-Weine, die entspannt den Mund füllen und die Sinne beruhigen, statt mit frischer Säure und fruchtiger Substanz an- und aufzuregen.
Hier ein paar winterliche Wein-Empfehlungen, die wir ausschließlich nach ihrer geschmacklichen Wirkung ausgesucht haben, also nach ihrem besonderen Mundgefühl, ihrer »Textur«, nicht nach ihrem Preis. Und weil der Januar inzwischen zum »Dry January« verunglimpft wird, haben wir uns besondere Mühe bei der Auswahl gegeben. Sie sollen schließlich nicht, wie die Anti-Alkohol-Bewegung uns Weintrinkerinnen und Weintrinkern unterstellt, zum Opfer der Wirkung ihres Alkohols werden, sondern sie mit allen Sinnen kundig, also mit Verstand und in Maßen, genießen können. Damit die Dosis nicht zum Gift wird.
Wein als wertvolles soziales Kulturprodukt mit Jahrtausende alter Geschichte also, statt als banal alkoholhaltiges Wirkungsgetränk, zu dem ihn die Anti-Alkohol-Bewegung pauschal degradiert. Wir setzen sinnliche Differenzierung dagegen und wünschen viel Freude und geistige Anregung mit unserer kleinen aber feinen Winterwein-Auswahl:
Chardonnay mit Wohlgefühl
Es soll ja immer noch Menschen geben, die allen Ernstes behaupten, die Rebsorte Chardonnay nicht zu mögen. Das kann man sich in Anbetracht des breitesten stilistischen Spektrums, das eine weiße Rebsorte haben kann, kaum vorstellen. Aber Vorurteile wollen gepflegt werden und so können wir diesen Menschen nur empfehlen, die Finger von diesem Exemplar zu lassen, dessen Preis-Genuß-Verhältnis fast einzigartig erscheint.
Marie und Jean-Hugues Goisot zählen zu den absoluten Kultwinzern in Frankreichs Weinszene. Doch sie agieren so leise und bescheiden, daß sie nur einer Insider-Szene bekannt sind. Ihr Betrieb liegt wenige Kilometer von Chablis entfernt und gilt damit bereits als »ab vom Schuß«. Gut für uns. Ihr Chardonnay »Corps de Garde« liefert pures Wohlgefühl. Typisch kalkig und schlank wirkt er im Mundgefühl, wie Chablis eben, tut dies aber so wohltuend seidig, kühl und geschmeidig im Mundgefühl, daß sinnliche Entspannung einsetzt, sobald man ihn auf der Zunge hat. Da zieht ihn filigrane Säure über die Zunge, steinige Mineralität reizt die Zungenrändern und man lauscht ihm gespannt hinterher, wie er am Gaumen in raffiniert seidig kühler Konsistenz ausklingt. Das kann so nur großer Chardonnay. Unsere weiße Winter-Überraschung.
2022 Bourgogne »Corps de Garde«, Domaine Goisot 21,50 €
Ein Star der Winter-Küche
Danilo Scenna aus dem Latium keltert seinen ARCARO aus einer erst seit 2010 wiederbelebten, bis dahin als ausgestorben geltenden historischen weißen Rebsorte mit dem Namen Maturano. Seine würzig weiche Fülle und natürlich leise Ausstrahlung machen ihn zum idealen Partner winterlicher Küche, als wäre er für sie gemacht. Erstaunlich verhalten im Alkohol, füllt er saftig weich und mild in der Säure den Mund mit angenehm rauchig würziger Aromatik. Vegane und vegetarische Gerichte begleitet er ebenso gekonnt, wie Kürbis, Wurzelgemüse oder auch Trüffel-Kreationen, Seefisch und hellem Fleisch verhilft er zu kulinarischem Höhenflug. Sein wohltuend seidig dicht wirkendes Mundgefühl verdankt er Reben, die in alpiner Szenerie und unberührter Natur auf über 500 m Höhe im abruzzesischen Appenin südöstlich von Rom stehen. Es macht die niedrigen Erträge buchstäblich fühlbar. Ein exzellent realisierter Naturwein, von VinNatur® und Demeter® zertifiziert. Bravo!
2021 »Arcaro« Maturano del Frusinate IGT, D.S. bio 22,00 €
DER Winter-Weißwein
Er war schon unsere Empfehlung im Herbst und hat sich auch im Winter als einer der schönsten und geeignetsten Weißweine für die Jahreszeit empfohlen: Saint-Peray. Man muß sie nicht kennen, diese einst weltberühmte, nach der Reblauskatastrophe nie mehr auf die Beine gekommene, winzig kleine Weißwein-Appellation der nördlichen Rhône. Sie liegt hoch über dem Rhônetal bei Valence und liefert einen der großen Weißweine Frankreichs. Roussanne und Marsanne heißen ihre Rebsorten, die winterliches Sentiment ins gemütlich opulente Mundgefühl bringen. Die junge Biodynamik-Winzerin Laure Colombo baut sie im kleinen Holzfaß zu einem Wohlfühlwein aus, der an großen weißen Burgunder erinnert und in Stil und Charakter ein buchstäblich winterlicher Weißwein ist: Dicht gepackt im sahnig-samtigen Mundgefühl; wärmend gelb in der Aromatik; sein rauchiges Bukett erinnert an einen Spaziergang im winterlichen Wald. Samtig weich kleidet er anspruchsvoll den Mund aus, um am Gaumen in voluminöser Pracht nachzuklingen. Ein großer Weißwein, der im Gedächtnis bleibt, weil er die Sinne fordert und dabei neue Weißwein-Horizonte eröffnet. Hinreißend gut und sinnlich inspirierend als wegweisender Naturwein.
2022 Saint Peray, Domaine de Lorient 31.90 €
Antizyklisch. Mal wieder Bordeaux
Überall ist derzeit zu lesen: Bordeaux is out. Zu weit hat es die Region in ihrer Arroganz getrieben. Cabernet und Merlot sind längst nicht mehr der Maßstab aller Dinge. Zehn Prozent der Rebfläche sollen dort gerodet werden. Weil Frau und Mann heute selbstbewußter trinken und das teure Klischee für das Ego nicht mehr brauchen. Sie machen sich selbst auf die Suche.
Wir haben uns schon vor vielen Jahren aus Bordeaux zurückgezogen, obwohl wir mal einer der Import-Pioniere der Region waren. Lang ist's her. Trotzdem gibt es dort Weine, die es in dem Stil und der Qualität zu dem Preis woanders nicht gibt. Valmengaux ist so ein Wein. Seit ein paar Jahren in neuem Besitz, sehr engagiert geführt, Bio und Biodynamik im Weinberg, kleine überschaubare Produktion, gute Arbeit im Keller ohne Zusatzstoffe, alles Handarbeit, mit Herzblut bewirtschaftet. So schmeckt dieser kleine Bordeaux aus großem Jahrgang denn auch: Deftig, potent und geschmeidig; ein Maul voll Rotwein; Bordeaux, wie er einst war und wie man ihn im Winter gerne im Glas hat.
2016 Domaine de Valmengaux, Côtes de Fronsac, Bordeaux 18,00 €
Der perfekte Rotwein für den Winter
Aglianico heißt eine historische rote Rebsorte, die im Süden Italiens relativ weit verbreitet ist. Bekannt ist sie der breiten Öffentlichkeit aber kaum. Dabei gehört sie zu den edlen roten Sorten Italiens, was sie in diesem Rotwein von vulkanischem Boden in der süditalienischen Basilikata überzeugend beweist.
»Ripanero« ist ein kleiner Biobetrieb im Herzen des Anbaugebietes, dessen Weine vor Ort großen Ruf genießen. Sein in einer großen Steingut-Amphore spontan vergorener und ausgebauter Aglianico »Logos« zeigt zwar erst in 1-2 Jahren, was wirklich in ihm steckt, kündigt aber schon heute eine tiefgründig dunkelbeerige Würze an, die in ein paar Jahren verblüffend an großen alten Bordeaux aus großem Jahrgang erinnern wird. Dichte Wogen samtig präsenter Gerbstoffe schickt er, unterlegt von italienisch appetitmachender Säure, über die Zunge, die der Ausbau in der Amphore in samtig dichte Fülle und aufregende Expressivität zu zähmen versteht. Ein Rotwein für all jene, die hochkarätige Gerbstoffe suchen und mögen - und genau der richtige Rotwein für gemütliche Stunden an den kältesten Tagen des Jahres.
2019 Aglianico del Vulture »Logos«, Ripanero, Basilikata 23,90 €
In Irancy findet (fast) alles zusammen
Irancy gehört zu den aufregenden Weinwundern der Welt. Kaum einer kennt die winzige Appellation in der Nähe der Stadt Auxerre, im Norden Burgunds. Nur 250 ha sind hier mit Reben gestockt. Ihre Besonderheit ist die rote Rebsorte César, die hier auf nur 5 ha kultiviert wird und um die sich viele Märchen zu ihrer (unbekannten) Herkunft ranken. Sie wird in Irancy zu 10% dem dort vorgeschriebenen Pinot Noir zugesetzt. Weil César eine Teinturier-Sorte ist, also dunkles Beerenfleisch besitzt, färbt sie die Weine von Irancy fast schwarz und verleiht ihnen eine dichte, fast magisch samtig wirkende Fülle im Mundgefühl. »Les Mazelots« gehört Goisots (siehe oben) und ist eine der ältesten und besten Parzellen in Irancy. Sie bringt einen Wein phantastischer Konstitution hervor: Ungewöhnlich dicht und dunkelfarbig, mysteriös weich und doch fest in den Gerbstoffen, einzigartig samtig mundfüllend und reichlich exotisch intensiv und tiefgründig im Duft. Auf seine Art einzigartig, erinnert er an Burgunder aus der Zeit, bevor der Kunstdünger Burgunds Weine ruinierte. Unser besonderer Geheimtipp für sinnlich aufmerksame Winterabende.