Caprera soc. agr.

Luca Paolo Virgilio & Alfonso Morelli

Kleines Weingut, große Wirkung. Was die beiden Quereinsteiger auf Flasche bringen, gehört bereits zum Besten, was die Abruzzen abseits ihrer großen Namen zu bieten haben. Caprera macht die Abruzzen zum Hotspot seiner alten, lokalen Rebsorten, ganz im Sinne der Naturweinbewegung.

Region: L´Aquila | Abruzzen

Betriebsgröße: 4,5 ha

Boden: Mergel, Ton, Kalk

Bewirtschaftung: Biologisch

Rebsorten: Montepulciano, Trebbiano d´Abruzzo, Pecorino

Die Geschichte des kleinen Weingutes Caprera im Hinterland von Pescara beginnt mit einem Glas Wein. Luca Paolo Virgilio trinkt den ersten guten Wein in seinem Leben. Eine Flasche Rotwein aus Sizilien. Der beeindruckt ihn mächtig. So kann Wein schmecken! Dessen Winzer wird zum Freund. Luca pachtet einen kleinen Weinberg. Weinbau nur so zum Spaß. Er will wissen, was sich hinter der Magie des Guten im Wein verbirgt. 

Er besucht Kurse für biodynamische Landwirtschaft, stößt dabei auch auf die Permakultur. Er beginnt sich nun ernsthaft mit dem Anbau von Wein zu beschäftigen. Zur gleichen Zeit beginnt er mit Freunden kleine Weinmessen für handwerklich arbeitende Betriebe zu organisieren. Dabei entdeckt er nicht nur den besonderen Reiz ihrer Weine, sondern auch den Unterschied zwischen deren leisem Handwerk und dem lauten Schein der bekannten Winzer seines Landes. 

In ihm reift die Überzeugung, sein Leben zu verändern. Eines Tages sagt ihm seine innere Stimme, daß es jetzt Zeit sei, sich für ein neues Dasein als Winzer zu entscheiden. Doch der junge Luca hat weder eine landwirtschaftliche Familientradition, noch hat er Weinbau studiert. Also beginnt er Vorlesungen zu besuchen, macht Kurse und Praktika in diversen Weinbaubetrieben, diskutiert mit Bauern, Winzern und Fachleuten. »Ich lernte jeden Tag dazu«, erzählt er, »es war aufregend für mich, ein völlig neues Dasein, gedanklich sehr anregend, aber auch komplex und fordernd in den Zusammenhängen, außerdem körperlich ziemlich anstrengend. Was mich am Winzerdasein aber bis heute reizt, ist die Tatsache, daß jeder Tag anders ist, eine neue Herausforderung, wie die Natur, das Klima, die Jahreszeiten, die Ernten. Planbar ist in unserer Profession nicht viel. Ich staune immer wieder, wie sehr es im Wein auf Intuition, Feeling, Erfahrung und Glück ankommt. Erst wenn das Handwerk Grund und Boden hat, kann man im Wein von Können sprechen. Der Weg dahin ist ganz schön weit und mühsam.«

Schon die Eltern von Luca Paolo Virgilio und Alfonso Morelli waren miteinander befreundet. Die beiden kennen sich also aus Kindertagen. Gemeinsam beschließen sie 2012, einen neuen Lebensabschnitt als Weinbauern zu wagen. Sie machen sich auf die Suche nach einem Stück Land.

Weil ihre finanziellen Mittel begrenzt sind, reisen sie durch die Region Abruzzen, wo Rebland noch bezahlbar ist. Der kleine Weiler Pietranico wird zur Liebe auf den ersten Blick. Hier geht es zu den historischen Popoli-Schluchten, man hat den Nordhang des Maiella-Massivs im Süden, die Reliefs des Gran Sasso im Norden und der Blick schweift weit über das Pescara-Tal im Osten. Es ist eine abgelegene Gegend, weit weg von der Hetze des urbanen Alltags. 

Hier finden die beiden bezahlbares Land. 20 Hektar alter Olivenbäume, Getreide und Wald auf rund 500 m Höhe. Reben stehen hier allerdings keine. 2013 beginnen sie mit der Kultivierung ihres Landes. 2014 pflanzen sie ihre ersten Reben mitten in die

Wildnis aufgegebenen Kulturlandes.. Knapp einen Hektar Montepulciano, einen halben Hektar Trebbiano d´Abruzzo, später kommt noch eine Parzelle dazu, die sie mit der raren, uralten, lokalen, weißen Rebsorte Pecorino bestocken.

Im September 2016 ernten sie ihre ersten Trauben, ein paar Jahre später beginnen sie mit der Vermarktung ihrer ersten Flaschen Wein. 2020 schließlich können Sie mit dem Bau ihres heutigen Weingutes direkt neben jenem Montepulciano-Weinberg beginnen, mit dem ihr Wein-Abenteuer seinen Lauf nahm.  

Ihre Parzellen liegen auf 300 bis 600 m Höhe, deren Reben werden vom permanenten Wind gekühlt. Sie stehen auf unterschiedlich schweren, tiefgründig kompakten Böden, die nicht einfach zu bewirtschaften sind. Mergel, blauer Ton, Kalkablagerungen. Doch ihre Vitalität und ihre Fähigkeit, Feuchtigkeit zu speichern, verleihen den Weinen nicht nur charaktervoll griffige Mineralität, sondern auch unerwartete Frische in Struktur und Mundgefühl. Eine Welt für sich.

Daß es in den Abruzzen auch sehr kalt werden und im Winter schneien kann, glaubt man kaum, wenn man dort im Frühjahr oder im Sommer unterwegs ist. Doch das Klima kann hart sein, im Sommer heiß und trocken, im Winter feucht und grau oder aber windig, neblig, kalt und verschneit wie hier auf dem Bild.

Trebbiano d´Abruzzo

Trebbiano heißen in Italien viele weiße Rebsorten. Die meisten sind billiger Füllstoff für Italiens »fruchtig« populäres Weinerlei. Was sich hinter der Rebsorte »Trebbiano d´Abruzzo« an genetischer Verwandtschaft verbirgt, ist bis heute nicht wirklich geklärt. Manche sagen, es würde sich um Bombino Bianco handeln, andere halten sie für eine autochthone lokale Varietät. Tatsache ist, daß sie in den Abruzzen ein Eigenleben entwickelt, das sie zu einem der großen Weißweine Italiens erhebt. Bei Caprera exemplarisch zu erleben.  

Weitgehend fruchtfrei, dafür kraftvoll würzig im Duft in warmen, aber auch knackig frischen gelbgrünen Anklängen; auf der Zunge griffig dicht und mundfüllend würzig, mineralisch salzig an den Zungenrändern durch die regenerative Bewirtschaftung; im Mundgefühl fast sahnig, cremig und dicht agierend in langem, straffem Zug am Gaumen, der nicht von Säure geprägt ist (trotz niedrigen pH-Wertes), sondern dem kargen Boden mit niedrigen Erträgen geschuldet ist. Trebbiano d´Abruzzo dieser Qualität reift über viele Jahre zu singulärer Qualität und Stilistik. 

Historische Trebbiano-Pergola

Im Weinbau werden gerade viele Säue durchs Dorf getrieben. Die Klimakrise zeitigt ihre Folgen ... 

Da werden neue Rebsorten diskutiert, sogenannte Piwis, pilzwiderstandsfähige Neuzüchtungen, für die man bisherige Anbausysteme weder überdenken noch verändern muß, man kann weiter so wirtschaften wie bisher, kommt aber mit deutlich weniger Pflanzenschutz aus.
Man diskutiert neue Arten der Reberziehung, denkt über Mykorrhiza-Einsaaten und entsprechende Bäume und Hecken im Weinberg für Beschattung und besseres Feuchtigkeitsspeichervermögen im Boden nach. Man diskutiert Humus- und Bodenaufbau und erinnert sich an traditionelle Reberziehungsmethoden wie das Gobelet, die Buschrebe, die sich rund ums Mittelmeer über Jahrhunderte bewährte - bis man maximale Erträge billig mechanisch erwirtschaften wollte. Sogar die historische Pergola legt ihr schlechtes Image ab und erlebt eine Renaissance. Das Denken im Wein verändert sich, weg von maximal effizienter Ausbeute für möglichst billigen Wein, hin zur Adaption der Rebe an Standort und Klima für möglichst guten Wein. Auf Caprera erfolgreich praktiziert.     

Montepulciano d´Abruzzo

Die Rebsorte Montepulciano darf nicht verwechselt werden mit dem Anbaugebiet des Vino Nobile de Montepulciano in der Toskana. In immerhin 20 der 95 italienischen Provinzen wird sie angebaut und liefert einen der beliebtesten Verschnittweine Italiens, der zahlreichen Rotweinen dort zu mehr Farbe, Körper und Fülle verhilft. Oft legal, sehr oft aber auch illegal ...

Nur in den Abruzzen bringt die Rebsorte, dort reinsortig verarbeitet, einen überraschend hochwertigen Rotwein hervor. Tiefdunkel in der Farbe, saftig säurearm und extraktreich, liefert er zu noch freundlichem Preis den Inbegriff authentisch italienischen Rotweingenusses. Damit dieser hochwertig ausfällt, müssen allerdings die üppigen Erträge der Rebsorte massiv gezügelt werden. Dann wiederum fordert sie sensiblen Ausbau, weil ihre dicken Beerenschalen nur über schonende Extraktion entsprechend freundliche Gerbstoffwirkung ermöglichen. Wenn Traubenqualität und Verarbeitung im Keller wie bei Caprera zusammenpassen, entsteht ein opulent dimensionierter Rotwein mit süßlich wirkendem, an Rumtopf erinnernden Bukett und kraftvoll mundfüllendem, saftig deftigen Geschmack.

Gesunde Trauben, spontane Gärung, Hefe und viel Zeit

Das neue Weingutsgebäude von Caprera wurde erst 2020 bezogen. Um im neuen Keller trotzdem spontan vergären und eine Atmosphäre natürlicher Hefestämme aufzubauen zu können, leitet Luca die Gärung mit einem Pied de Cuve ein.
Dazu keltert er eine kleine Menge Trauben kurz vor der Ernte zu natürlich »wild« gärendem Most. Mit dessen Hefestämmen, die aus dem Weinberg stammen, impft er dann die zu vergärenden Partien.
Damit deren natürliche Gärung auch reibungslos durchlaufen kann, müssen Trauben und Most ausreichend mit Nährstoffen versorgt sein. Das geht nur über die nachhaltige Bewirtschaftung lebendiger Böden draußen im Weinberg. Es ist diese Art der Vergärung, die eine grundlegend andere Stilrichtung im Wein zur Folge hat. 
Im Bild der Abzug der nach langer spontaner Gärung im Betontank abgesetzten natürlichen Gärhefe des weißen Trebbiano d´Abruzzo von Caprera. Er verdankt sein kraftvoll griffiges Mundgefühl nicht nur niedrigen Erträgen, sondern auch dem langen Ausbau auf der Vollhefe. Natürliche Hefe als Stilmittel.

Kleine Parzellen, Biodiversität, ökologische Nischen

Im Kataster von Pietranico wurde 1748 nahezu jeder Familie im Dorf der Besitz eines eigenen Weinberges bescheinigt. Die meisten davon befanden sich in der Gemarkung »Caprera«, die schon damals als besonders gute Lage galt. Unter diesem Namen und mit Etiketten, die lokale historische Motive zitieren, möchte das Weingut Caprera von heute die für den Ort so wichtige Weinbauvergangenheit würdigen. 
Heute findet man nur noch wenige Weinberge an den Hängen rund um Pietranico. Verwilderte Kulturlandschaft mit Olivenhainen und Getreide dominiert das Landschaftsbild.
Oliven und Getreide haben auch Luca und Alfonso im Anbau. ihre Pasta aus der alten Saragolla-Varietät und ihr Olivenöl aus typischen Varietäten der Abruzzen sind von begeisternder Qualität. Leben müssen die beiden aber von ihren knapp 5 Hektar Reben, die sie auf alten, im Kataster erwähnten Lagen gepflanzt haben. Mehr Wein wollen sie vorläufig nicht produzieren. Sie haben schließlich Caprera auch gegründet, um Weinbau im Einklang mit der Natur zu praktizieren. Das geht nur, wenn man klein bleibt.

Historische Steinkeltern, vergessene Vergangenheit

In der Contrada Vasca, wo das Weingut Caprera liegt, befindet sich auch Italiens größte Ansammlung historischer Steinkeltern. In ihnen quetschte man den Saft mit den Füssen aus den Trauben. 
Diese »Palmenti« sind Zeugnis einer Vergangenheit, in der der Weinanbau für die Menschen der Region sehr wichtig war. In der Antike legte man sie stets in der Nähe der Weinberge an. Ihr Ursprung geht vermutlich auf die Zeit der griechischen Kolonisierung Süditaliens zurück. »Palmenti« folgen einem System aus separaten Wannen mit Kanälen zum Ablassen und Auffangen des Mostes; an einigen brachte man schon damals Schneckenpressen an, um sich die Arbeit zu erleichtern. 
Im 18. Jahrhundert wurde der in den Palmenti gewonnene Most in benachbarte Städte transportiert, um dort weiterverarbeitet und schließlich in andere Regionen Italiens verschickt zu werden. Die aus der Römerzeit stammenden Steinkeltern sind heute staatliches archäologisches Kulturgut, das an die Mühen, aber auch an die Bedeutung des Weinbaus in den Abruzzen in vergangenen Zeiten erinnert.

Bella Italia? 

Wie die drei von Caprera hier nach getaner Arbeit in die Kamera blicken, mag fröhlich wirken, in Wahrheit ist die wirtschaftliche Situation in der italienischen Landwirtschaft eine Katastrophe. Die Gehälter sind niedrig und seit 30 Jahren weitgehend unverändert, während sie in Deutschland und Frankreich um 33,7 % bzw. 31,1 % gestiegen sind. Knapp 35.700 Euro jährlich verdient ein Italiener im Schnitt. Zum Vergleich: Das jährliche Durchschnittseinkommen in Deutschland liegt bei rund 50.000 Euro (Stand 2020, OECD). Schlechte Bezahlung hat in Italien Tradition, vor allem in der Landwirtshaft. Dort liegt der Bruttostundenlohn oft deutlich unter neun Euro - Italien hat sich als einziges G7-Land dem Mindestlohn verweigert. Auch deshalb lag die Jugendarbeitslosigkeit in der Altersgruppe bis 24 Jahre im März 2023 laut Istat bei 22,3 Prozent - Platz drei in der EU nach Spanien (29,5 Prozent) und Griechenland (24,2 Prozent). Die Folgen werden das Land teurer zu stehen kommen: Dem italienischen Innenministerium zufolge leben inzwischen 1,8 Millionen Italienerinnen und Italiener unter 34 Jahren im Ausland; allein in den Jahren 2021 und 2022 verließen 80.000 von ihnen das Land.  

Im Weinbau sind zwei divergierende Weinwelten die Folge

Melonis ultraliberale Wirtschaftspolitik bevorzugt die großen Strukturen in Landwirtschaft und Weinbau. »Wer produziert, darf nicht gestört werden«, propagiert die Regierungschefin. »Più assumi, meno paghi« ist ihr Motto: Je mehr (billige) Arbeitskräfte man einstellt, desto weniger Steuern zahlt man. Deshalb sind viele der bekannten Weinbaubetriebe Italiens inzwischen ziemlich groß, ihre Weine entsprechend »geschmacklich berechenbar« konzipiert. In der Saison setzen sie unter oft unsäglichen Bedingungen auf Billigarbeitskräfte (meist aus Afrika), im Alltag erwirtschaften billige (und deshalb häufig wechselnde) Angestellte den Glanz ihrer Weingüter über nicht zimperliche Margen. Die moderne Kellerwirtschaft mit ihren Zusatzstoffen, entsprechende Mechanisierung und viel Agrarchemie garantieren Absatz und Gewinn. 

Doch seit ein paar Jahren erodieren die Strukturen im italienischen Weinbau. Jetzt ziehen kleine Weinbaubetriebe wie Caprera, deren wenige Hektar Reben von wenigen fair bezahlten Mitarbeitern bearbeitet werden, die Aufmerksamkeit des Marktes auf sich. Die Betriebsgröße wird zum Qualitätskriterium. Es ist der in Italien gut organisierten Naturweinbewegung zu verdanken, daß in vielen Weinbauregionen des Landes engagierte kleine Familienbetriebe, aber auch viele junge Neugründungen wie Caprera, mit Weinen von sich reden machen können, die nicht »billig« sein können, weil sie auf wenigen Hektar Fläche von Hand produziert werden. Sie präsentieren den Charakter ihrer Herkunft in einer Individualität, wie man sie aus Italien bisher kaum kannte. Es formiert sich ein selbstbewußter Gegenpol zu jenen uniform marktkompatibel designten Hochglanz-Tropfen der immer gleichen großen Namen, für die Italiens Wein nach wie vor weitgehend steht. 

Eine Entwicklung, deren Auslöser das desolate Lohngefüge Italiens ist. Hier die von der Politik hintenherum subventionierten Wein-Größen des Landes, die sich aber seit Jahrzehnten qualitativ und stilistisch im Kreis drehen, weil ihre Önologen ihre Weine jenen Klischees anpassen müssen, die ihre Käufer von ihnen erwarten; dort jenes quirlig-dynamische alternative Wein-Italien, das es so unabhängig, so lebendig, so innovativ, engagiert und ambitioniert  bisher nicht gegeben hat.   

Daß man mit kleinen Naturwein- und Biobetrieben nicht reich werden kann, hindert deren Betreiberinnen und Betreiber nicht daran, sich einem Lebensziel zuzuwenden, das in nachhaltiger Landwirtschaft und im Verzicht auf überkommene Wachstumsideologien Erfüllung findet. Sie sehen ihre Zukunft in einer neuen Generation von Weintrinkerinnen und Weintrinkern auf der ganzen Welt, die auf große Namen, neureichen Promi-Protz und teure Etiketten pfeift. Für sie zählt das Authentische, das Originäre, das Echte im Wein, weil es ein anderes, so aktives wie persönliches Erleben von natürlicher Qualität im Wein möglich macht. Über viele kleine Messen und die immer populärer werdenden Naturweinbars verschafft sich diese Szene nachhaltig Gehör. Caprera steht für diese aufregende Entwicklung.

Caprera Soc. Agr. | S.S. 80 km 2,190 18/A | I-67100 L'Aquila | Erstinverkehrbringer: Gebr. Kössler & Ulbricht GmbH & CoKG

Inhalt: 0.75 l (23,87 €* / 1 l)

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