Schon die Eltern von Luca Paolo Virgilio und Alfonso Morelli waren miteinander befreundet. Die beiden kennen sich also aus Kindertagen. Gemeinsam beschließen sie 2012, einen neuen Lebensabschnitt als Weinbauern zu wagen. Sie machen sich auf die Suche nach einem Stück Land.
Weil ihre finanziellen Mittel begrenzt sind, reisen sie durch die Region Abruzzen, wo Rebland noch bezahlbar ist. Der kleine Weiler Pietranico wird zur Liebe auf den ersten Blick. Hier geht es zu den historischen Popoli-Schluchten, man hat den Nordhang des Maiella-Massivs im Süden, die Reliefs des Gran Sasso im Norden und der Blick schweift weit über das Pescara-Tal im Osten. Es ist eine abgelegene Gegend, weit weg von der Hetze des urbanen Alltags.
Hier finden die beiden bezahlbares Land. 20 Hektar alter Olivenbäume, Getreide und Wald auf rund 500 m Höhe. Reben stehen hier allerdings keine. 2013 beginnen sie mit der Kultivierung ihres Landes. 2014 pflanzen sie ihre ersten Reben mitten in die
Wildnis aufgegebenen Kulturlandes.. Knapp einen Hektar Montepulciano, einen halben Hektar Trebbiano d´Abruzzo, später kommt noch eine Parzelle dazu, die sie mit der raren, uralten, lokalen, weißen Rebsorte Pecorino bestocken.
Im September 2016 ernten sie ihre ersten Trauben, ein paar Jahre später beginnen sie mit der Vermarktung ihrer ersten Flaschen Wein. 2020 schließlich können Sie mit dem Bau ihres heutigen Weingutes direkt neben jenem Montepulciano-Weinberg beginnen, mit dem ihr Wein-Abenteuer seinen Lauf nahm.
Ihre Parzellen liegen auf 300 bis 600 m Höhe, deren Reben werden vom permanenten Wind gekühlt. Sie stehen auf unterschiedlich schweren, tiefgründig kompakten Böden, die nicht einfach zu bewirtschaften sind. Mergel, blauer Ton, Kalkablagerungen. Doch ihre Vitalität und ihre Fähigkeit, Feuchtigkeit zu speichern, verleihen den Weinen nicht nur charaktervoll griffige Mineralität, sondern auch unerwartete Frische in Struktur und Mundgefühl. Eine Welt für sich.
Trebbiano d´Abruzzo
Trebbiano heißen in Italien viele weiße Rebsorten. Die meisten sind billiger Füllstoff für Italiens »fruchtig« populäres Weinerlei. Was sich hinter der Rebsorte »Trebbiano d´Abruzzo« an genetischer Verwandtschaft verbirgt, ist bis heute nicht wirklich geklärt. Manche sagen, es würde sich um Bombino Bianco handeln, andere halten sie für eine autochthone lokale Varietät. Tatsache ist, daß sie in den Abruzzen ein Eigenleben entwickelt, das sie zu einem der großen Weißweine Italiens erhebt. Bei Caprera exemplarisch zu erleben.
Weitgehend fruchtfrei, dafür kraftvoll würzig im Duft in warmen, aber auch knackig frischen gelbgrünen Anklängen; auf der Zunge griffig dicht und mundfüllend würzig, mineralisch salzig an den Zungenrändern durch die regenerative Bewirtschaftung; im Mundgefühl fast sahnig, cremig und dicht agierend in langem, straffem Zug am Gaumen, der nicht von Säure geprägt ist (trotz niedrigen pH-Wertes), sondern dem kargen Boden mit niedrigen Erträgen geschuldet ist. Trebbiano d´Abruzzo dieser Qualität reift über viele Jahre zu singulärer Qualität und Stilistik.
Historische Trebbiano-Pergola
Im Weinbau werden gerade viele Säue durchs Dorf getrieben. Die Klimakrise zeitigt ihre Folgen ...
Da werden neue Rebsorten diskutiert, sogenannte Piwis, pilzwiderstandsfähige Neuzüchtungen, für die man bisherige Anbausysteme weder überdenken noch verändern muß, man kann weiter so wirtschaften wie bisher, kommt aber mit deutlich weniger Pflanzenschutz aus.
Man diskutiert neue Arten der Reberziehung, denkt über Mykorrhiza-Einsaaten und entsprechende Bäume und Hecken im Weinberg für Beschattung und besseres Feuchtigkeitsspeichervermögen im Boden nach. Man diskutiert Humus- und Bodenaufbau und erinnert sich an traditionelle Reberziehungsmethoden wie das Gobelet, die Buschrebe, die sich rund ums Mittelmeer über Jahrhunderte bewährte - bis man maximale Erträge billig mechanisch erwirtschaften wollte. Sogar die historische Pergola legt ihr schlechtes Image ab und erlebt eine Renaissance. Das Denken im Wein verändert sich, weg von maximal effizienter Ausbeute für möglichst billigen Wein, hin zur Adaption der Rebe an Standort und Klima für möglichst guten Wein. Auf Caprera erfolgreich praktiziert.
Montepulciano d´Abruzzo
Die Rebsorte Montepulciano darf nicht verwechselt werden mit dem Anbaugebiet des Vino Nobile de Montepulciano in der Toskana. In immerhin 20 der 95 italienischen Provinzen wird sie angebaut und liefert einen der beliebtesten Verschnittweine Italiens, der zahlreichen Rotweinen dort zu mehr Farbe, Körper und Fülle verhilft. Oft legal, sehr oft aber auch illegal ...
Nur in den Abruzzen bringt die Rebsorte, dort reinsortig verarbeitet, einen überraschend hochwertigen Rotwein hervor. Tiefdunkel in der Farbe, saftig säurearm und extraktreich, liefert er zu noch freundlichem Preis den Inbegriff authentisch italienischen Rotweingenusses. Damit dieser hochwertig ausfällt, müssen allerdings die üppigen Erträge der Rebsorte massiv gezügelt werden. Dann wiederum fordert sie sensiblen Ausbau, weil ihre dicken Beerenschalen nur über schonende Extraktion entsprechend freundliche Gerbstoffwirkung ermöglichen. Wenn Traubenqualität und Verarbeitung im Keller wie bei Caprera zusammenpassen, entsteht ein opulent dimensionierter Rotwein mit süßlich wirkendem, an Rumtopf erinnernden Bukett und kraftvoll mundfüllendem, saftig deftigen Geschmack.
Gesunde Trauben, spontane Gärung, Hefe und viel Zeit
Dazu keltert er eine kleine Menge Trauben kurz vor der Ernte zu natürlich »wild« gärendem Most. Mit dessen Hefestämmen, die aus dem Weinberg stammen, impft er dann die zu vergärenden Partien.
Im Bild der Abzug der nach langer spontaner Gärung im Betontank abgesetzten natürlichen Gärhefe des weißen Trebbiano d´Abruzzo von Caprera. Er verdankt sein kraftvoll griffiges Mundgefühl nicht nur niedrigen Erträgen, sondern auch dem langen Ausbau auf der Vollhefe. Natürliche Hefe als Stilmittel.
Kleine Parzellen, Biodiversität, ökologische Nischen
Historische Steinkeltern, vergessene Vergangenheit
Bella Italia?
Wie die drei von Caprera hier nach getaner Arbeit in die Kamera blicken, mag fröhlich wirken, in Wahrheit ist die wirtschaftliche Situation in der italienischen Landwirtschaft eine Katastrophe. Die Gehälter sind niedrig und seit 30 Jahren weitgehend unverändert, während sie in Deutschland und Frankreich um 33,7 % bzw. 31,1 % gestiegen sind. Knapp 35.700 Euro jährlich verdient ein Italiener im Schnitt. Zum Vergleich: Das jährliche Durchschnittseinkommen in Deutschland liegt bei rund 50.000 Euro (Stand 2020, OECD). Schlechte Bezahlung hat in Italien Tradition, vor allem in der Landwirtshaft. Dort liegt der Bruttostundenlohn oft deutlich unter neun Euro - Italien hat sich als einziges G7-Land dem Mindestlohn verweigert. Auch deshalb lag die Jugendarbeitslosigkeit in der Altersgruppe bis 24 Jahre im März 2023 laut Istat bei 22,3 Prozent - Platz drei in der EU nach Spanien (29,5 Prozent) und Griechenland (24,2 Prozent). Die Folgen werden das Land teurer zu stehen kommen: Dem italienischen Innenministerium zufolge leben inzwischen 1,8 Millionen Italienerinnen und Italiener unter 34 Jahren im Ausland; allein in den Jahren 2021 und 2022 verließen 80.000 von ihnen das Land.
Im Weinbau sind zwei divergierende Weinwelten die Folge
Melonis ultraliberale Wirtschaftspolitik bevorzugt die großen Strukturen in Landwirtschaft und Weinbau. »Wer produziert, darf nicht gestört werden«, propagiert die Regierungschefin. »Più assumi, meno paghi« ist ihr Motto: Je mehr (billige) Arbeitskräfte man einstellt, desto weniger Steuern zahlt man. Deshalb sind viele der bekannten Weinbaubetriebe Italiens inzwischen ziemlich groß, ihre Weine entsprechend »geschmacklich berechenbar« konzipiert. In der Saison setzen sie unter oft unsäglichen Bedingungen auf Billigarbeitskräfte (meist aus Afrika), im Alltag erwirtschaften billige (und deshalb häufig wechselnde) Angestellte den Glanz ihrer Weingüter über nicht zimperliche Margen. Die moderne Kellerwirtschaft mit ihren Zusatzstoffen, entsprechende Mechanisierung und viel Agrarchemie garantieren Absatz und Gewinn.
Doch seit ein paar Jahren erodieren die Strukturen im italienischen Weinbau. Jetzt ziehen kleine Weinbaubetriebe wie Caprera, deren wenige Hektar Reben von wenigen fair bezahlten Mitarbeitern bearbeitet werden, die Aufmerksamkeit des Marktes auf sich. Die Betriebsgröße wird zum Qualitätskriterium. Es ist der in Italien gut organisierten Naturweinbewegung zu verdanken, daß in vielen Weinbauregionen des Landes engagierte kleine Familienbetriebe, aber auch viele junge Neugründungen wie Caprera, mit Weinen von sich reden machen können, die nicht »billig« sein können, weil sie auf wenigen Hektar Fläche von Hand produziert werden. Sie präsentieren den Charakter ihrer Herkunft in einer Individualität, wie man sie aus Italien bisher kaum kannte. Es formiert sich ein selbstbewußter Gegenpol zu jenen uniform marktkompatibel designten Hochglanz-Tropfen der immer gleichen großen Namen, für die Italiens Wein nach wie vor weitgehend steht.
Eine Entwicklung, deren Auslöser das desolate Lohngefüge Italiens ist. Hier die von der Politik hintenherum subventionierten Wein-Größen des Landes, die sich aber seit Jahrzehnten qualitativ und stilistisch im Kreis drehen, weil ihre Önologen ihre Weine jenen Klischees anpassen müssen, die ihre Käufer von ihnen erwarten; dort jenes quirlig-dynamische alternative Wein-Italien, das es so unabhängig, so lebendig, so innovativ, engagiert und ambitioniert bisher nicht gegeben hat.
Daß man mit kleinen Naturwein- und Biobetrieben nicht reich werden kann, hindert deren Betreiberinnen und Betreiber nicht daran, sich einem Lebensziel zuzuwenden, das in nachhaltiger Landwirtschaft und im Verzicht auf überkommene Wachstumsideologien Erfüllung findet. Sie sehen ihre Zukunft in einer neuen Generation von Weintrinkerinnen und Weintrinkern auf der ganzen Welt, die auf große Namen, neureichen Promi-Protz und teure Etiketten pfeift. Für sie zählt das Authentische, das Originäre, das Echte im Wein, weil es ein anderes, so aktives wie persönliches Erleben von natürlicher Qualität im Wein möglich macht. Über viele kleine Messen und die immer populärer werdenden Naturweinbars verschafft sich diese Szene nachhaltig Gehör. Caprera steht für diese aufregende Entwicklung.
Inhalt: 0.75 l (23,87 €* / 1 l)
Inhalt: 0.75 l (23,87 €* / 1 l)
Inhalt: 0.75 l (29,20 €* / 1 l)