Anfang der 80er Jahre - es sind wilde Zeiten des Aufbruchs im Wein und in der Gastronomie - nehmen Guy und seine Frau Michèle an den ersten Salons der »Vignerons Indépendants« in Paris teil. Dort lernen immer mehr Weinliebhaber, Weinhändler und Gastronomen ihre Weine kennen. In dieser Zeit entstehen in Paris auch die ersten Weinbars wie »Les Envierges«, »Le Baratin«, »Les Pipos«, »Le Moulin à vins« und die weltberühmte »Willy´s Wine Bar«.
Guy und Michéle verbringen dort inspirierende Abende mit Weinproben mit leidenschaftlichen Weinliebhabern und diversen Winzern aus anderen Weinbauregionen Frankreichs. Aus diesen Erfahrungen heraus entsteht der Wunsch, andere, natürlichere Weine zu produzieren als die in dieser Zeit rasant aufkommenden »fruchtigen« Tropfen der modernen Kellerwirtschaft.
1994 vergrößert Vater Guy den Keller und bereitet all seine Weine nach deren Böden getrennt, vergärt sie spontan mit der wilden Umgebungshefe und verarbeitet sie zudem ohne zusätzlich zugesetzten Schwefel. Die Geburtsstunde des Naturweines, von der damals aber niemand Notiz nimmt ...
... auch weil Guy seine Weinbereitung nicht kommuniziert. In dieser Zeit entstehen alle Weine, die noch heute für das Weingut stehen. 1999 kauft Guy drei Hektar Reben in Les Estaillades in der Gemeinde Barroux und hat damit den ersten Côtes-du-Ventoux im Keller. Fünf Jahre später, 2004, hat Sohn Thomas sein Studium abgeschlossen und kauft zusammen mit dem Vater einen Weinberg in St. Hippolyte le Graveyron, also erneut am Mont Ventoux.
Jetzt übernimmt Thomas, der Sohn von Michèle und Guy, nach zwei BTS-Abschlüssen in Handel und Önologie und vielen Monaten Arbeit auf verschiedensten Weingütern in ganz Frankreich, die Verantwortung im Betrieb. Er baut 2006 jenen neuen Weinkeller, in dem seitdem zahlreiche Veranstaltungen rund um den Wein, aber auch Konzerte und Kunstausstellungen stattfinden.
Zugleich setzt Thomas die letzten önologischen Hilfsmittel im Keller ab, vergärt nur noch spontan und verzichtet auf den Zusatz von Schwefel. Er beschäftigt sich mit der Genetik seiner Reben und Unterlagen, pflanzt alte Rebsorten wie Counoise, Terret Noir, Aramon und Picpoul Noir und beginnt die Umstellung auf biodynamische Bewirtschaftung.
2020 kommt Sophie, seine Frau, dazu. Sie übernimmt den Weintourismus im Betrieb, der zu einem wichtigen Standbein wird, und kümmert sich um den ein Hektar großen, biodynamisch bewirtschafteten Gemüsegarten, aus dem die beiden die Kantinen der drei örtlichen Schulen sowie alle auf ihrem Betrieb stattfindenden Abende und Veranstaltungen versorgen.
Ein wegweisender Ausnahmebetrieb, der ohne nerviges Guru-Gehabe auskommt. Hier werden keine größeren Töne gespuckt als sich hinterher im Glas befinden. Hier entstehen in wohltuender Bescheidenheit und mit profunder Kompetenz Naturweine, die sich jeder leisten kann und für die man kein »Kenner« sein muss, um sie genießen zu können. Sie schmecken jeder und jedem und sind in ihrer kühlen und ungeschminkt natürlichen Art eine wohltuende Ausnahme an der Südrhône.
Privilegierte Lage
Die Lage des Örtchens Suzette, in dem sich La Ferme Saint-Martin befindet, ist speziell. Es liegt zwischen den berühmten Fels-Zähnen der »Dentelles de Montmirail«, dem Wahrzeichen der berühmten Weinbaugemeinde Gigondas, und dem noch berühmteren Hausberg der Südrhône, dem Mont Ventoux, auf 500 bis 700 m Höhe über dem Rhônetal (das nahe Avignon liegt, nur zum Vergleich, auf 20 m Höhe). Historisch gesehen wurden seine Weinberge zunächst als einfache Appellation, dann als Côtes-du-Ventoux, Côtes-du-Rhône, Côtes-du-Rhône Village und 1978 schließlich als Appellation Beaumes-de-Venise, einem der neuen Crus der Südrhône, klassifiziert.
La Ferme Saint-Martin besitzt Lagen in drei Appellationen: In der Côtes du Rhône, in Ventoux und in Beaumes-de-Venise. Aus jeder dieser Appellationen bieten wir einen Wein an. Von den 30 Hektar, die das Weingut umfasst, sind knapp 20 Hektar mit Reben bepflanzt, den Rest nehmen mediterrane Garrigue und Wald ein.
Côtes du Rhône
»Les Romanins« stammt zum größten Teil von Reben, die 15 Jahre alt sind. Sie entsprechen noch nicht dem Anspruch des Crus »Beaumes-de-Venise«. Der Wein kommt jedes Jahr von anderen Parzellen, die aber alle auf den Lehm- und Kalkböden von Beaume de Venise aus der Trias-Zeit stehen, einer sehr alten geologischen Epoche, die dem Weine seine pfeffrig würzige Noten verleiht. Der weiße »Austral« stammt von tiefgründigen Lehm-Kalk-Böden mit grauem Mergel.
Ventoux
»La Gérine« liegt in Saint-Hippolyte. Seine Böden sind Ton mit vielen Kieseln, die im Zusammenspiel mit Thomas Jullien schonender Extraktion einen hinreißend geschmeidigen Rotwein liefern, der jung getrunken werden sollte und dessen Gerbstoffe wie kühle Seide über die Zunge gleiten.
Beaumes de Venise
10 Hektar sind seit 2005 als »Cru« klassifiziert, die Spitze der Südrhône. »Les Terres Jaunes« stammt von dort. Seine Reben stehen auf Ton- und Kalkstein aus der Trias-Epoche, sie sind 15 bis 40 Jahre alt und liefern ein dunkelwürziges, raffiniert kühl wirkendes Konzentrat, das pfeffrig-würzig duftet und Potential für Jahre der Reife verspricht.
Die Klimakrise sorgt durch Trockenheit und Hitze für sinkende Erträge aus kleinen Beeren, deren Schalen immer dicker werden. Thomas Jullien beherrscht auch unter den zunehmend schwierigen Bedingungen sein Metier meisterhaft. Es gibt nicht viele Winzer an der Südrhône, deren Weine ähnlich kühl, fein und geschliffen ausfallen, was seiner ungewöhnlich schonenden Extraktion zuzuschreiben ist. Unter »normalen« klimatischen Bedingungen produzieren Sophie und Thomas Jullien etwa 100.000 Flaschen pro Jahr.
Anbau
Im Anbau, also in der Arbeit draußen im Weinberg, stecken die Antworten auf die Herausforderungen der Klimakrise. Ausschließlich hier wird entschieden, ob Wein Zukunft hat oder nicht.
Thomas Jullien bewirtschaftet seine vielen kleinen Parzellen, die sich zum Teil auf schmale Terrassen mit wenigen Rebzeilen verteilen, mittels einer speziellen, schmalen Raupe, um Bodenverdichtung zu vermeiden. Statt wie früher zu pflügen, mulcht er die Oberfläche seiner Rebzeilen, wenn dies nötig ist. Wenn es heiß wird, walzt er die Begrünung, um Verdunstung zu verhindern und die Feuchtigkeit im Boden zu halten. Mit vielen kleinen, wohlüberlegten Schritten versucht er den Herausforderungen durch Trockenheit und Hitze zu begegnen und zudem möglichst viel Feuchtigkeit in seinen Böden zu speichern, ihr Wasserhaltevermögen zu verbessern.
Ernte
Wer wie Sophie und Thomas Jullien Naturweine produzieren will, die nicht »nur Natur« sind, sondern auch »gut« schmecken, bedient sich der Jahrtausende alten Kultur des Weines, die nichts anderes ist als eine Geschichte des Lernens aus Fehlern.
Wichtigste Voraussetzung: Individuelle Weinqualität ist ohne Handlese nicht möglich. Nur sie garantiert ein Lesegut, das die Freiheit aller möglichen Weinbereitungsarten läßt. Dazu tut Thomas Jullien im Weinberg alles, um gesunde Trauben zu produzieren. Diese werden nach einer ersten Vorsortierung im Weinberg auf einem Sortiertisch erneut überprüft, weil nur kerngesunde und nach seinen Vorstellungen chemisch reife Trauben sich schwefelfrei zu »gesunden«, also fehlerfreien Naturweinen verarbeiten lassen - entsprechende Sauberkeit im Keller vorausgesetzt.
Ausbau
Bei Julliens geht es wohltuend unaufgeregt und bescheiden zu im Keller. Gesunde, nährstoffreiche Trauben sind hier wichtiger als aufwendige Kellertechnik. Die üblichen Betontanks der Region (oben im Bild), ein paar alte Glasfasertanks, in denen die verschiedenen Partien zu den fertigen Assemblagen verschnitten werden, ein paar alte, ein paar neue Holzfässer unterschiedlicher Größe, das war's.
Thomas Jullien vergärt seine Moste spontan, setzt keinerlei önologische Produkte zu und schwefelt seine Weine je nach Jahrgangs-Chemie nur leicht oder gar nicht, und wenn dann erst bei der Abfüllung. Seine besonders schonende Extraktion unterscheidet seine Rotweine spürbar von jenen rustikal konzentrierten Weinen, die im Rhônetal noch immer die Regel sind. Sie zeigen sich fein und kühl in den Gerbstoffen und wirken dadurch delikat und edel.
Freiheit im Denken
Thomas Jullien denkt weiter. Er sieht seine Arbeit im großen Kontext, will seinen Teil zur Erhaltung der Vielfalt der Natur beitragen. Entsprechend konsequent läßt er seine Weine aus seiner Arbeit im Weinberg entstehen. Er weiß also nicht schon vor der Ernte, wie sie hinterher schmecken werden, sondern läßt sich wagemutig jedes Jahr aufs Neue auf den Charakter des Jahres ein, baut jede Parzelle getrennt aus, um sie verstehen zu lernen, und verzichtet auf Technik und Önologie, um ausschließlich Beeren und Böden sprechen zu lassen. Dazu riskiert er die natürlich wilde Gärung und eine Weinbereitung, die Stil und Charakter so wenig wie möglich prägt, sondern nur schonend begleitet.
Dafür muß er die chemischen und biologischen Eigenschaften seines Lesegutes genau kennen, will er seine Weine im Sinne seines Verständnisses der Natur im Wein ohne Zusatzstoffe, Schönung, Aufsäuerung und zusätzliche Schwefelung ausbauen und abfüllen können. Derart natürliche Weinwerdung setzt nicht nur souveräne Kompetenz, sondern vor allem auch selbstkritische Freiheit im Denken voraus.
Freiheit im Handeln
Vor allem neureiche Weinguts-Besitzer lassen ihre Weine meist aus globalen Leit-Rebsorten keltern, egal wo ihre Weingüter stehen, und von renommierten Önologen zu Nobel-Klischees verarbeiten, die Aufmerksamkeit bei einer Kundschaft erregen sollen, die bereit ist, dafür teuer zu bezahlen, weil sie nichts anderes erwartet, nichts anderes kennt und auch nur dieses akzeptiert.
Freiheit im Handeln bedeutet, frei zu sein von den Zwängen zu solchen Klischees; nicht Kunden dienen zu müssen, die nur Erwartungen erfüllt sehen wollen; frei zu sein für Weine, die selbst frei sind im Wandel des Klimas und der Antworten darauf. Thomas Jullien nimmt sich diese Freiheit im Handeln, weil er seiner Arbeit und seinem Denken vertraut. Er ist kein elitärer Naturwein-Guru, der hohe Preise mit viel Marketing-Lärm rechtfertigen muß, er ist ein hart arbeitender Winzer, der bezahlbare Naturweine produziert, die auch Menschen erfreuen sollen, die der Natur im Wein bislang skeptisch gegenüber stehen. Das versucht er mit ungeschminkt ehrlichen Weinen, die nicht das bequeme Klischee, sondern den Charakter ihrer Herkunft zur Diskussion stellen.
La Ferme Saint-Martin ist mehr als nur Wein ...
... denn Sophie und Thomas Jullien sind nicht nur höchst engagierte Winzerin und Winzer, sie sind auch engagierte Gastgeber. Nebenbei sind sie noch Eltern, Galeristen und Unterhalter, sie bewirtschaften einen ein Hektar großen Gemüsegarten und vermieten eine schöne Ferienwohnung auf ihrem Weingut (bei Kommunikations- und Sprachproblemen helfen wir gerne).
Inhalt: 0.75 l (19,33 €* / 1 l)
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