Kaum wurde das Verfahren ab 1910 publik, begann in ganz Europa die Sekt- und Schaumweinindustrie zu boomen. In Deutschland entstanden in Wachenheim und im Rheingau die bekannten Sekt-Betriebe, im Veneto begann der Prosecco seine Karriere, in der Emilia Romagna erblickte der Schaum im Lambrusco das Licht der Welt. Seitdem schäumt er rund um die Welt, der Lambrusco. Schon sehr früh begann man ihn mit Restzucker abzufüllen, um ihn auch einer größeren, unerfahrenen Trinkerschaft schmackhaft zu machen. Der Erfolg ließ nicht auf sich warten. Justus von Liebig hatte den Kunstdünger erfunden, nun wurde kräftig gedüngt, die ertragsfreudige Rebsorten-Familie Lambrusco produzierte prompt was das Zeug hielt. Die Mengen wurden immer größer, man begann zu exportieren und fand im amerikanischen Markt einen Abnehmer, der unersättlich schien. So ging das bis in die späten 1990er Jahre. Dann drehte sich der Markt und das so erfolgreiche Massenwein-Business fiel in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Viele der großen Handelshäuser und einst so erfolgreichen Abfüller meldeten Insolvenz an und verschwanden vom Markt. Wein und Region litten lange heftig unter schlechtem Image - bis vor wenigen Jahren eine qualitative Rückbesinnung einsetzte, die derzeit in vollem Gange ist.
Familie
Dieses leider etwas verpixelte Bild der offensichtlich tragenden Mitglieder von Familie Manzini, das wir deren aus den frühen 2000er Jahren stammenden Homepage entnahmen, zeigt, was man in Italien noch immer unter »Famigila« versteht. Nur eine Frau ist auf dem Bild, Marika. Sie verantwortet den Agritourismus, ist Sekretärin, hilft bei der Abfüllung und ist für die Traubenselektion während der Ernte zuständig. Die anderen Damen des Hauses, die wir selbst nie sahen, von denen wir aber annehmen, daß es sie bei der Anzahl von Männern geben könnte, stehen wahrscheinlich am Herd, bügeln, putzen und kümmern sich anderweitig und weniger bedeutsam um den Wohlstand der Familie, als die hier fröhlich aus Zahnputzbechern zechenden Herren. Eine so wundersame wie wunderbare Szenerie, die so viel sagt, ohne es zu sagen.
In einer solchen Familie hat jede ihre und jeder seine Aufgaben. Die Homepage der Familie listet sie namentlich auf. So könnte man erklären, warum sich Manzinis so herrlich altmodisch und »traditionell« rückwärtsgewandt geben. Ihre Etiketten sind von vorgestern. Ihr Geschmack in Sachen Flaschenausstattung und Marketing abenteuerlich »italienisch«. In Sachen Nachhaltigkeit und Ökologie ist nur schwer zu argumentieren, die Jungen wollen, die Alten lassen sie nicht. Ihre Weine sind im besten Sinne traditionell und handwerklich sauber, ehrlich und ungeheuer zuverlässig in Qualität und Machart. Dynamisch und agil sind sie nicht. Wir arbeiten schon sooo lange zusammen und haben bis heute keinerlei Veränderung, keine Perspektive für einen auch nur irgendwie gearteten Wandel feststellen können. Reicht das den Jungen?
»Wir haben das immer so gemacht, und so machen wir es auch heute«. Das ist schade, denn eigentlich müßten auch die älteren Herren auf diesem Bild das Wort »konservativ« so verstehen, wie es gemeint ist: Bewahrend. Die Natur bewahrend, die Böden bewahrend, die Umwelt bewahrend, die Nachwelt für die Kinder bewahrend. Stattdessen haben sie sich der Wahrung ihres kleinen Wohlstandes verschrieben, der trügerisch ist in Zeiten der Klimakrise. Rund um Bologna und Modena wird das Trinkwasser knapp. Die landwirtschaftlichen Fläche sind ausgeräumt, die Böden offen, katastrophale Wind- und Wassererosion sind die Folge, die Feinstaubbeasatung hat dadurch auch hier enorm zugenommen. Die Böden trocknen aus, halten kein Wasser mehr, es fehlt dessen Verdunstung, infolge dessen entsteht kein Wetter, keine Wolken und damit auch kein Regen. Daß Boden Wetter machen kann, sollten die Alten der Familie wissen. Das war damals selbstverständliches, bäuerliches Erfahrungswissen. Damals versuchte man deshalb zu bewahren, was einem die Natur gegeben hatte. La famigila Manzini: Apprezziamo molto i vostri vini, ma dopo tutti gli anni in cui abbiamo lavorato insieme, dovreste iniziare a muovervi, altrimenti ci muoveremo noi ...
Diversifikation
Familie Manzini weiß die Tiefen des italienischen Steuersystems wohl zu nutzen. Demnach wird dort die ausgewiesene landwirtschaftliche Fläche besteuert. Was darauf noch Geld abwirft, vom Hotel bis zum Restaurant, aber nicht. Also versucht jeder Weinbaubetrieb sein Angebot zu diversifizieren. Manzinis machen das über ein stets ausgebuchtes, gutes Restaurant mit lokalen Spezialitäten, sowie einem sehr netten, ebenfalls gut gebuchten Hotel. Und natürlich mit ihrem Weingut, dessen 10 Hektar Rebfläche der Familie ein offensichtlich gutes Auskommen garantieren. Jedes Familienmitglied hat eine Position im Betrieb, damit eine gesicherte Zukunft und ein sicheres Einkommen. In Italien, dem einzigen Land in der EU, in dem seit 1990 die Bruttogehälter sinken, und das zudem die niedrigsten Gehälter in der gesamten EU bezahlt, allen voran in der Landwirtschaft, nicht alltäglich.
Die Reben
Corte Manzini gehört mit 10 ha Weinbergen zu den kleinen Produzenten der Region. Besagte Brüder oben im Bild kauften das Weingut 1978, zuvor hatten sie es bereits über Jahrzehnte in Pacht bewirtschaftet. Es umfaßt, damals wie heute, 25 Hektar, von denen 10 unter Reben stehen, die an einem langen Hang hoch über einem Tal in der traditionellen Pergola-Erziehung, die im Ertrag gezügelt werden will, sich in Zeiten der Klimakrise aber als gut adaptiert erwiesen hat.
Der Schatz des Weingutes ist eine Parzelle mit 70 Jahre alten Lambrusco-Grasparossa-Reben, die man oben im Bild sieht. Sie gehören zu den ältesten der Region und werden von Hand gehegt und gepflegt. Ihre Trauben gehen vorwiegend in Manzinis trockenen Spitzen-Lambrusco L'Acino, dem sie neben fröhlichem Spiel vor allem jene potente Dichte im Mundgefühl verleihen, die diesen Wein so süffig und wohlfeil macht.
Die Qualität eines Lambrusco entscheidet fast ausschließlich der erzielte Ertrag. Setzt man ihn zu hoch an, fällt der Wein dünn und sauer aus (und »braucht« dann Zucker). Reduziert man ihn, gewinnt der Wein an Körper, Frische, Dichte und Struktur. Eigentlich ganz einfach.
Ein Stil
Die Lambrusci der Brüder Mancini sind durchweg Frizzante, werden also nach der populären Methode Charmat oder Martinotti versektet. Immer wenn genügend Bestellungen eingetroffen sind, wird frisch versektet, man bekommt also stets den aktuellen Jahrgang, der aber nicht ausgewiesen wird.
Familie Manzinis bäuerlich rustikale Lambrusci weisen den Weg in eine handwerkliche ehrliche und solide Zukunft des Lambrusco. Nicht umsonst gelten ihre Schaumweine als Aushängeschild des Lambrusco Grasparossa. Sie sind weit über die Region hinaus bekannt und zählen zur Spitze ihrer Appellation. Einziges Malus: Manzinis bewirtschaften ihre Reben noch immer konventionell. Wir arbeiten daran, dies zu ändern ....
Enrico Manzini, im Bild oben, in der Familie verantwortlich für den Vertrieb, hat den dunkelfarbigen, trockenen Grasparossa »L'Acino« zum geschmacklichen wie zum stilistischen Wegweiser in der Region gemacht, der sich mit seiner dunklen Farbe und niedrigen Säure stilistisch grundsätzlich von den stets säurebetonteren und hellfarbigeren »Lambrusco di Sorbara« aus der Nachbarschaft unterscheidet.
Das Getränk
Ob trocken oder als »Amabile« wohltuend lieblich, Grasparorra duften nach frischen Himbeeren, Kirschen und dunklen Beeren und bescheren mit ihrer einmaligen Art unkomplizierten Weingenuss.
Irgendwie nicht wirklich ernst zu nehmen und doch ernsthaft fröhlich und beschwingt. Auf jeden Fall dezent und angenehm mild sprudelnd, durchaus »fruchtig«, zugleich aber auch herzhaft würzig. Aber nicht haltbar. Kaufen, trinken. Und wenn die Flasche offen ist, ebenfalls trinken, die Perlage hält nicht lange.
Parma und Modena sind nicht weit. Also liegt feinster Schinken auf dem Teller und Wurstwaren, von denen wir hier nur träumen können (auch wenn die armen Schweine meist aus dem Norden kommen. Irgendwie wissen die Italiener sie aber so zu verarbeiten, daß sie eben doch »typisch italienisch« schmecken). Zu dieser köstlich fetten lokalen Kost reicht man ihn vor Ort, den sprudelnden Lambrusco, stets angenehm kühl serviert, und schon scheint alles wie geschmiert zu laufen. Auf seine Art ähnelt Lambrusco seinem französischen Pendant, dem Beaujolais. Dem wird in der Wurststadt Lyon in ähnlich fetter Tradition ähnlich fröhlich gehuldigt.