Gattinara ist eine Appellation im Alto Piemonte, im nördlichen Hoch-Piemont. Das liegt am Fuße der Alpen bei Biella, siebzig Kilometer nördlich des Piemont, das jeder Weinkenner kennt. Barolo und Barbaresco haben es geschafft, weltweit bekannt zu sein. Lessona, Bramaterra oder Gattinara aber kennt kaum jemand. Dabei sind es uralte Weinbauregionen, die vor der Reblauskatastrophe Ende des 19. Jahrhunderts viel bekannter und größer waren als die heutige Langhe. Im Alto Piemonte wird vor allem Nebbiolo angebaut, die Rebsorte, die Barolo und Barbaresco berühmt gemacht hat. Hier heißt sie »Spanna«, ist ein anderer Klon und bringt gänzlich andere Weine hervor. Sie sind eher transparent in der Farbe, altmodisch hell rubinrot an gereiften Burgunder erinnernd, im Trunk elegant und fein, im Mundgefühl präsent seidig, aber auch wohlkonturiert in frischer, wohltuend eingebundener Säure, die in straffem Zug auf der Zunge spürbar ist. Weiche, angenehm geschmeidige, aber auch kantig präsente, körnig wirkende Gerbstoffqualität sorgt für enorme Länge am Gaumen. Die hat Nebbiolo nun mal, wenn der Wein nicht bewußt weichgespült wurde. Im Alto Piemonte gibt es nur noch wenige Weinbaubetriebe und seine einstmals stolze Rebfläche ist auf wenige hundert Hektar zusammengeschrumpft. Die spannende Region ist deshalb bis heute weitgehend unentdeckt geblieben.
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Die Azienda Vitivinicola Nervi ist der älteste Betrieb in Gattinara. Seine Renaissance verdankt das lange vor sich hindämmernde Weingut einer Gruppe norwegischer Weinliebhaber, die 2011 das Weingut kauft und nicht nur aufwendig restauriert, sondern auch klug in Keller und Weinberge investiert. Schon bald gehört es zu den leuchtenden Sternen im noch immer wenig Beachtung findenden Alto Piemonte. Dann kauft der bekannte Winzer Roberto Conterno, dessen Baroli zu den teuersten und rarsten gehören, die das Piemont zu bieten hat, überraschend das altehrwürdige Weingut im April 2018, weil sich Familie Astrup nicht sicher ist, das fast 29 Hektar große Weingut trotz monatlicher Präsenz so aus der Ferne steuern zu können, wie es sich als nötig erweist, um die Qualität weiter steigern zu können. Zwar ist kaum anzunehmen, daß die brillanten Gattinaras von Nervi nun wie warme Semmeln weggehen werden, dazu sind das Alto Piemonte und seine eher stillen Weine über Jahrzehnte hinweg zu wenig beachtet worden, doch die Weine dürften schon bald deutlich teurer werden, weil Roberto Conterno intensiv in Qualität und Vertrieb zu investieren gedenkt, um den einstmals großen Ruf des legendären Pionierbetriebes wieder aufleben zu lassen.
Die Lage der Weingärten ist so unerwartet wie spektakulär. Man kommt aus der Monotonie der Po-Ebene mit ihren riesigen Reisfeldern binnen weniger Kilometer in die grünen Hügel des Alpenvorlandes, das am Horizont von der hohen Wand des Monte Rosa begrenzt wird. Europas zweithöchster Berg bietet nicht nur Schutz vor dem Nordwind, er sorgt auch für ausreichend Regen und durchlüftet mit ständig wehendem leichten Wind die nach Süden und Westen orientierten Weingärten. Die sind fast durchgängig mit 10 bis 40 Jahre alten Nebbiolo-Reben bestockt und liegen auf ideal orientierten Südhängen auf 300 bis 420 m ü. d. M. auf vier Parzellen: Casacce, Garavoglie, Molsino und Valferana. Interessant »anders« als in der weltbekannten Langhe sind hier vor allem die Böden. Ihr Tongehalt ist hoch, aber es fehlen Kalk und Kreide. Die Böden sind hier also nicht basisch, wie im klassischen Piemont, sondern sauer, weil sie aus verwittertem Vulkangestein bestehen. Insbesondere die höher gelegenen Lagen von Gattinara erweisen sich deshalb als ideal für die Nebbiolo-Traube, die hier ein spezieller alter Klon ist, der »Spanna« genannt wird und Weine grandioser Eleganz hervorbringt, die sich signifikant von denen der südlicher gelegenen Langhe unterscheiden und den Weinen von Nervi nicht nur legendäre Langlebigkeit, sondern auch durchdringend prägnante Mineralität verleihen.
Sie besitzen vergleichsweise helle Farbe, liefern aber beachtlich dichte Struktur in samtig deftiger Kraft im Mundgefühl. Ihre komplexe Aromatik erinnert in geheimnisvoll rauchigem Unterton an großen reifen Pinot Noir und ihre zunächst spröde wirkende Struktur entfaltet sich am Gaumen zu einem vornehmen, dicht verwobenen Wein, der verblüffenden Trinkfluß beweist und sich als rasant elegant entpuppt.
In den klassischen Nervi-Gattinara kommen von Hand verlesene Trauben der Lagen Casacce und Garavoglie, sowie, je nach Jahrgang, auch Molsino- und Valferana-Trauben. Im schwierigen Jahr 2014 z. B. gibt es nur einen einzigen Wein von Nervi, der dafür aber hinreißend gut gelungen ist. Die sorgfältig von Hand geernteten Trauben werden schonend entstielt und gepresst, ihr Most vergärt dann auf einer speziell angesetzten eigenen Hefe und darf nach der Fermentation noch mindestens 20 Tage in Eichenholz- und Stahlbottichen auf den Beerenschalen mazerieren. Jeder Nervi-Gattinara reift mindestens drei Jahre lang in großen Eichenfässern und kommt erst im vierten Jahr nach der Ernte auf Flasche und in den Verkauf. Auf Nervi läßt man jedem Wein die Zeit, die er braucht. Dafür reift selbst der »normale« Nervi-Gattinara mühelos über 20, 30 und mehr Jahre zu rarer Perfektion heran.
Nervi produziert zwei legendäre Lagenweine, die schon im 18. Jahrhundert großen Ruf genossen. Sie werden ausschließlich in großen Jahrgängen hergestellt: Valferana und Molsino. Ihre Trauben stammen aus den gleichnamigen Spitzenlagen.
Die Lage Valferana besitzt extrem hohen Mangangehalt, weshalb die Beerenschalen hier besonders dick ausfallen. Die Geschichte dieses einst berühmten Weinbergs läßt sich bis ins Jahr 1231 zurückverfolgen, als ein Rufinus Musso eine Urkunde unterzeichnet, mit der er seine Rebstöcke in Valferana verkauft, um die Mitgift für seine Schwester Delia bezahlen zu können. Ein Valferana-Gattinara reift mindestens vier Jahre lang in großen Eichenfässern. Deshalb zeigt sich ein junger Valferana stets verschlossen und enttäuscht eher, als daß er überzeugt. Erst nach ein paar Jahren Flaschenreife geht er auf und zeigt dann, was in ihm steckt. Valferana ist Gattinara souveräner Größe und Persönlichkeit. Rote Früchte und steinige Mineralien im Bukett, Eisen und Graphit meint man riechen zu können, trocken und kraftvoll fordert Valferana Aufmerksamkeit und Respekt heraus, braucht Erfahrung und Hinwendung. Kein »schneller« Wein, der sich sofort offenbart.
Molsino schließlich ist nicht nur eine historische, sondern auch die wertvollste Weinlage, aus der Nervi Trauben gewinnt. Molsino reift mindestens vier Jahre lang in großen Eichenfässern und präsentiert sich als intensiv rubinrot leuchtender Wein, dessen eleganter, vornehmer Duft an Kirschen und Pflaumen ebenso erinnert, wie an sommerliche Kräuter, aber auch die Requisite eines Theaters, deren geheimnisvoller Geruch unweigerlich vielfältigste Assoziationen auslöst, kommt mir in den Sinn. Geschmeidig dicht und kraftvoll morbid gleitet Molsino über die Zunge, entfaltet ein raffiniertes Wechselspiel zwischen süßer Reife und aufregend präsenter Gerbstoffqualität, und die Kraft seines Alkohols sorgt für druckvolle Komplexität am Gaumen, die in weiter Ferne wehmütig in morbider Melancholie verklingt. Ein Rotwein, der die eigene Vergänglichkeit vor Augen führt, indem er selbst fast ewiges Leben zelebriert. Mit seinem »Molsino« hat sich Nervi, wie es der Journalist Eric Pfanner in der New York Times im März 2013 treffend formuliert, »den besten Wein bis zum Schluss aufgehoben«.
Gattinara ist eine Appellation im Alto Piemonte, im nördlichen Hoch-Piemont. Das liegt am Fuße der Alpen bei Biella, siebzig Kilometer nördlich des Piemont, das jeder Weinkenner kennt. Barolo und Barbaresco haben es geschafft, weltweit bekannt zu sein. Lessona, Bramaterra oder Gattinara aber kennt kaum jemand. Dabei sind es uralte Weinbauregionen, die vor der Reblauskatastrophe Ende des 19. Jahrhunderts viel bekannter und größer waren als die heutige Langhe. Im Alto Piemonte wird vor allem Nebbiolo angebaut, die Rebsorte, die Barolo und Barbaresco berühmt gemacht hat. Hier heißt sie »Spanna«, ist ein anderer Klon und bringt gänzlich andere Weine hervor. Sie sind eher transparent in der Farbe, altmodisch hell rubinrot an gereiften Burgunder erinnernd, im Trunk elegant und fein, im Mundgefühl präsent seidig, aber auch wohlkonturiert in frischer, wohltuend eingebundener Säure, die in straffem Zug auf der Zunge spürbar ist. Weiche, angenehm geschmeidige, aber auch kantig präsente, körnig wirkende Gerbstoffqualität sorgt für enorme Länge am Gaumen. Die hat Nebbiolo nun mal, wenn der Wein nicht bewußt weichgespült wurde. Im Alto Piemonte gibt es nur noch wenige Weinbaubetriebe und seine einstmals stolze Rebfläche ist auf wenige hundert Hektar zusammengeschrumpft. Die spannende Region ist deshalb bis heute weitgehend unentdeckt geblieben.
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Die Azienda Vitivinicola Nervi ist der älteste Betrieb in Gattinara. Seine Renaissance verdankt das lange vor sich hindämmernde Weingut einer Gruppe norwegischer Weinliebhaber, die 2011 das Weingut kauft und nicht nur aufwendig restauriert, sondern auch klug in Keller und Weinberge investiert. Schon bald gehört es zu den leuchtenden Sternen im noch immer wenig Beachtung findenden Alto Piemonte. Dann kauft der bekannte Winzer Roberto Conterno, dessen Baroli zu den teuersten und rarsten gehören, die das Piemont zu bieten hat, überraschend das altehrwürdige Weingut im April 2018, weil sich Familie Astrup nicht sicher ist, das fast 29 Hektar große Weingut trotz monatlicher Präsenz so aus der Ferne steuern zu können, wie es sich als nötig erweist, um die Qualität weiter steigern zu können. Zwar ist kaum anzunehmen, daß die brillanten Gattinaras von Nervi nun wie warme Semmeln weggehen werden, dazu sind das Alto Piemonte und seine eher stillen Weine über Jahrzehnte hinweg zu wenig beachtet worden, doch die Weine dürften schon bald deutlich teurer werden, weil Roberto Conterno intensiv in Qualität und Vertrieb zu investieren gedenkt, um den einstmals großen Ruf des legendären Pionierbetriebes wieder aufleben zu lassen.
Die Lage der Weingärten ist so unerwartet wie spektakulär. Man kommt aus der Monotonie der Po-Ebene mit ihren riesigen Reisfeldern binnen weniger Kilometer in die grünen Hügel des Alpenvorlandes, das am Horizont von der hohen Wand des Monte Rosa begrenzt wird. Europas zweithöchster Berg bietet nicht nur Schutz vor dem Nordwind, er sorgt auch für ausreichend Regen und durchlüftet mit ständig wehendem leichten Wind die nach Süden und Westen orientierten Weingärten. Die sind fast durchgängig mit 10 bis 40 Jahre alten Nebbiolo-Reben bestockt und liegen auf ideal orientierten Südhängen auf 300 bis 420 m ü. d. M. auf vier Parzellen: Casacce, Garavoglie, Molsino und Valferana. Interessant »anders« als in der weltbekannten Langhe sind hier vor allem die Böden. Ihr Tongehalt ist hoch, aber es fehlen Kalk und Kreide. Die Böden sind hier also nicht basisch, wie im klassischen Piemont, sondern sauer, weil sie aus verwittertem Vulkangestein bestehen. Insbesondere die höher gelegenen Lagen von Gattinara erweisen sich deshalb als ideal für die Nebbiolo-Traube, die hier ein spezieller alter Klon ist, der »Spanna« genannt wird und Weine grandioser Eleganz hervorbringt, die sich signifikant von denen der südlicher gelegenen Langhe unterscheiden und den Weinen von Nervi nicht nur legendäre Langlebigkeit, sondern auch durchdringend prägnante Mineralität verleihen.
Sie besitzen vergleichsweise helle Farbe, liefern aber beachtlich dichte Struktur in samtig deftiger Kraft im Mundgefühl. Ihre komplexe Aromatik erinnert in geheimnisvoll rauchigem Unterton an großen reifen Pinot Noir und ihre zunächst spröde wirkende Struktur entfaltet sich am Gaumen zu einem vornehmen, dicht verwobenen Wein, der verblüffenden Trinkfluß beweist und sich als rasant elegant entpuppt.
In den klassischen Nervi-Gattinara kommen von Hand verlesene Trauben der Lagen Casacce und Garavoglie, sowie, je nach Jahrgang, auch Molsino- und Valferana-Trauben. Im schwierigen Jahr 2014 z. B. gibt es nur einen einzigen Wein von Nervi, der dafür aber hinreißend gut gelungen ist. Die sorgfältig von Hand geernteten Trauben werden schonend entstielt und gepresst, ihr Most vergärt dann auf einer speziell angesetzten eigenen Hefe und darf nach der Fermentation noch mindestens 20 Tage in Eichenholz- und Stahlbottichen auf den Beerenschalen mazerieren. Jeder Nervi-Gattinara reift mindestens drei Jahre lang in großen Eichenfässern und kommt erst im vierten Jahr nach der Ernte auf Flasche und in den Verkauf. Auf Nervi läßt man jedem Wein die Zeit, die er braucht. Dafür reift selbst der »normale« Nervi-Gattinara mühelos über 20, 30 und mehr Jahre zu rarer Perfektion heran.
Nervi produziert zwei legendäre Lagenweine, die schon im 18. Jahrhundert großen Ruf genossen. Sie werden ausschließlich in großen Jahrgängen hergestellt: Valferana und Molsino. Ihre Trauben stammen aus den gleichnamigen Spitzenlagen.
Die Lage Valferana besitzt extrem hohen Mangangehalt, weshalb die Beerenschalen hier besonders dick ausfallen. Die Geschichte dieses einst berühmten Weinbergs läßt sich bis ins Jahr 1231 zurückverfolgen, als ein Rufinus Musso eine Urkunde unterzeichnet, mit der er seine Rebstöcke in Valferana verkauft, um die Mitgift für seine Schwester Delia bezahlen zu können. Ein Valferana-Gattinara reift mindestens vier Jahre lang in großen Eichenfässern. Deshalb zeigt sich ein junger Valferana stets verschlossen und enttäuscht eher, als daß er überzeugt. Erst nach ein paar Jahren Flaschenreife geht er auf und zeigt dann, was in ihm steckt. Valferana ist Gattinara souveräner Größe und Persönlichkeit. Rote Früchte und steinige Mineralien im Bukett, Eisen und Graphit meint man riechen zu können, trocken und kraftvoll fordert Valferana Aufmerksamkeit und Respekt heraus, braucht Erfahrung und Hinwendung. Kein »schneller« Wein, der sich sofort offenbart.
Molsino schließlich ist nicht nur eine historische, sondern auch die wertvollste Weinlage, aus der Nervi Trauben gewinnt. Molsino reift mindestens vier Jahre lang in großen Eichenfässern und präsentiert sich als intensiv rubinrot leuchtender Wein, dessen eleganter, vornehmer Duft an Kirschen und Pflaumen ebenso erinnert, wie an sommerliche Kräuter, aber auch die Requisite eines Theaters, deren geheimnisvoller Geruch unweigerlich vielfältigste Assoziationen auslöst, kommt mir in den Sinn. Geschmeidig dicht und kraftvoll morbid gleitet Molsino über die Zunge, entfaltet ein raffiniertes Wechselspiel zwischen süßer Reife und aufregend präsenter Gerbstoffqualität, und die Kraft seines Alkohols sorgt für druckvolle Komplexität am Gaumen, die in weiter Ferne wehmütig in morbider Melancholie verklingt. Ein Rotwein, der die eigene Vergänglichkeit vor Augen führt, indem er selbst fast ewiges Leben zelebriert. Mit seinem »Molsino« hat sich Nervi, wie es der Journalist Eric Pfanner in der New York Times im März 2013 treffend formuliert, »den besten Wein bis zum Schluss aufgehoben«.