Auf einer Konferenz über biodynamische Landwirtschaft in den 1990er Jahren in Rom lernt Carlo Noro diesen Alex Podolinsky kennen. Der bestärkt ihn darin, beeindruckt von seinem Interesse, sein Leben radikal zu verändern. Tatsächlich gibt Carlo 1996 seinen Bankjob auf und zieht in ein kleines, feuchtes Tal hinter den Hügeln von Labico im östlichen Hinterland Roms, unweit von Piglio, dem Ort seiner Geburt.
Dort stellt er fest, daß Böden und Land durch die intensive Nutzung von Agrarchemie praktisch unbrauchbar geworden sind. Alles, was er pflanzt, wird von diversen Krankheiten befallen. Mit Podolinskys Hilfe stellt er erste biodynamische Präparate her, mit denen er das Gleichgewicht der Natur auf seinen Böden wiederherzustellen versucht. Das gelingt ihm so nachhaltig, daß er schon bald von einer bemerkenswerten Vielfalt an Gemüsesorten leben kann.
Heute, nach fast 30 Jahren, kann Carlo Noro überzeugend aus der Praxis heraus den Beweis antreten, daß der agronomische Ansatz der Biodynamik zuverlässig funktioniert. Auch auf großen Anbauflächen wie z. B. den Tomatenplantagen Apuliens. Er hat seinen kleinen Betrieb zum größten Hersteller biodynamischer Präparate in Italien gemacht, baut Gemüse nur noch zu Versuchszwecken an, produziert aber famose Pasta und ein exzellentes Olivenöl und führt ein gut frequentiertes Schulungszentrum, während seine Söhne sehr engagiert Weinbau betreiben, dessen Weine das Potential haben, zu den Großen Italiens zu gehören.
Carlo Noro hat seine eigene Sicht auf Rudolf Steiners theoretische Ansätze. Er sieht die Biodynamik heute stark verändert, sieht sie eher naturwissenschaftlich faktisch, als esoterisch philosophisch, glaubt, daß sie nur erfolgreich sein kann, wenn sie Landwirtschaft und Weinbau durch den Einsatz der biodynamischen Präparate konstanten Ertrag und hohes Qualitätsniveau garantieren kann. Deshalb konzentriert sich seine Arbeit darauf, auf Prävention zu setzen, statt sich, wie die konventionelle Landwirtschaft, an den Symptomen abzuarbeiten.
Carlo Noro zitiert immer wieder die Analogie zur menschlichen Ernährung: Gute Lebensmittel sorgen für Wohlbefinden, das gleiche gilt für alle Pflanzen. Deshalb fordert er das gleiche Engagement für die Pflege der Böden, wie für den eigenen Körper. Sein Konzept der biodynamischen Bewirtschaftung zielt darauf ab, den Ausgangszustand zu verbessern, statt diesen nur zu erhalten. Er erreicht dies vor allem durch Humusbildung, die den Boden fruchtbarer und sein Mikrobiom vielfältiger macht, und so auch sein Wasserspeichervermögen verbessert.
Rudolf Steiners philosophischen Ansatz der Biodynamik hält Carlo Noro also für hinderlich, um Landwirte und Winzer von ihrem Nutzen zu überzeugen. Für ihn muß die Praxis überzeugen. Sie muß nachvollziehbar greifbare Ergebnisse liefern können. In diesem Denken hat Carlo Noro wegweisend praktikable Antworten auf die Probleme der Bodenfruchtbarkeit und des Verlustes an Biodiversität gefunden, denen man in den Weinen seiner Söhne exemplarisch nachspüren kann.
Zukunft Latium
Je mehr wir die »vergessenen« Anbaugebiete Italiens bereisen, um so mehr staunen wir über den Weinmarkt und seinen Handel. Warum beschränkt sich bei uns der Wein Italiens auf die immer gleichen Namen der immer gleichen Regionen? Als gäbe es dort nichts anderes als die Einfalt von gestern ...
Piglio in der Provinz Frosinone liegt an einem Ausläufer des Apennin und ist nicht nur die malerisch schöne Heimat einer der edelsten und eigensinnigsten roten Rebsorten Italiens, des Cesanese di Affile, die Region steht auch für die qualitative Revolution des Weinbaus im Latium. Gut ausgebildete junge Leute haben dort vielfach die von der Aufgabe bedrohten landwirtschaftlichen Betriebe ihrer Eltern übernommen und produzieren im Wind des Aufbruchs aufregend originelle und charaktervoll hochwertige Weine. Diese entstammen, wie gerade fast überall, dem Geist der Naturwein-Bewegung, sind kompetent umgesetzt und deshalb über jeden Zweifel erhaben. Reintönig, aber tiefgründig und komplex zeigen sie den unverwechselbaren Charakter ihrer Herkunft. Die Weine von Danilo Scennas D.S.Bio und seiner Freunde Valerio und Simone Noro stehen dafür.
Boden als Kriterium
Bis heute werden Weine nach ihrem »Geschmack« bewertet. Schmecken sie »gut«, werden sie gut bewertet, passen sie nicht in das Geschmacks-Schema ihrer Verkoster, fallen sie durchs Raster. Nicht umsonst gelten Charakter und Eigenart im Wein heute als Manko. Doch die Industrie kann jeden Wein über die Kellerwirtschaft in jedem Preisbereich »gut« schmecken lassen, weshalb heute so viele Weine so hoch bewertet werden, wie sie uniform »schmecken«.
Doch jetzt droht ein Bruch. Wie Valerio und Simone Noro verzichten immer mehr Winzerinnen und Winzer auf die geschmacksverändernden Zusatzstoffe der Industrie. Dadurch prägen Art und Morphologie ihrer Böden nun direkt und unmittelbar Stil und Charakter ihrer Weine; sie fühlen sich im Mund völlig anders an als jene aus konventioneller Bewirtschaftung und Vergärung mittels Reinzuchthefen. Den Beweis liefern Valerio und Simone Noro exemplarisch: ihre radikal ungeschminkten Weine machen ihre nährstoffreichen, lebendigen Böden zum entscheidenden Geschmacks- und Qualitätskriterium. Ein Wandel, der die Weinwelt und deren Wertvorstellungen nachhaltig verändern wird.
Reiz der Rebsorte
Uns fasziniert die ungeheure Vielfalt der Rebsorten. Jede einzelne von ihnen lädt zu einer Reise zu unbekannten Geschmacks- und Sinneserlebnissen ein. Es sind die unterschiedlichen Eigenschaften der Rebsorten, die Wein erst spannend machen vor dem Hintergrund der Geschichte seiner Herkunft, welcher Boden und welches Wetter ihn wie geprägt haben, kurz: warum er so schmeckt, wie er schmeckt.
Valerio und Simone Noros Rotweine schickten uns schon mit dem ersten Schluck auf eine Reise, deren Reiz und Wirkung uns mächtig beeindruckten. Wir kannten ihre raffiniert eigensinnige Rebsorte Cesanese di Affile von anderen Weinen aus der Region. Hier präsentiert sie sich einmalig eindrucksvoll anders: Überraschend in ihrem samtig weichen Mundgefühl; kühl und seidig in der Substanz, von kerniger Physis umhüllt; aufregend würzig und potent fruchtig in ihrer vulkanischen Mineralität; wohltuend entspannend in ihrer souveränen Ruhe und Unaufgeregtheit. Eine unbekannte, aber edle Rebsorte begeisternd ursprünglicher Eigenart, die den Großen des Piemont und der Toskana allemal Paroli bieten kann. Ihre Entdeckung unbedingt wert.
Kulturgut Wein
Wenn man mit Simone und Valerio Noro durch die Weinberge geht und sie erzählen, wie die verschiedenen Böden ihrer acht Parzellen deren Reben sehr unterschiedlich wachsen lassen und mit Feuchtigkeit und Nährstoffen versorgen, was sich unmittelbar in Start und Verlauf ihrer spontanen Gärungen bemerkbar macht, und damit dann auch im späteren Wein entsprechende Spuren hinterläßt, dann spürt man, daß hier zwei Menschen am Werk sind, die Wein aus seiner Jahrtausende alten Kultur heraus verstehen. Deshalb bearbeiten die beiden auch nur 5 Hektar. Alles andere wäre zu groß, um die Reben das Rebjahr hindurch so betreuen zu können, wie sie es für nötig erscheinen lassen. Selbstbeschränkung, Bescheidenheit, Erfüllung und eine stille Kompetenz, die auf der raren Fähigkeit beruht, beobachten zu können, um zu verstehen, was man beobachtet hat. Archaische Weinkultur.
Und die Schule des Vaters. Schon von Kindesbeinen an waren sie mit ihm draußen in der Natur, um Gemüse, Getreide und Oliven anzubauen und zu ernten. Das Wissen um den lebendigen Boden haben die beiden mit der Muttermilch aufgesaugt. Als Vater Carlo nach der Jahrtausendwende ein Projekt mit Michele Lorenzetti beginnt, kommt der Wein in die Familie. Lorenzetti ist als studierter Biologe nicht nur einer der gefragtesten Spezialisten Italiens für biodynamische Vitikultur, er betreut als studierter Önologe auch viele herausragende Weinbaubetriebe Italiens. Es kommt, was kommen muß: 2010 starten Carlos Söhne mit Lorenzettis Hilfe ihr eigenes Weinprojekt. Sie können in Piglio, dem Zentrum des Anbaus der großen roten Rebsorte Cesanese, vier Hektar Reben kaufen. Auf drei steht Cesanese, auf einem die weiße lokale Sorte Passerina di Frusinante. Ihre acht kleinen Parzellen sind geologisch unterschiedlich: Die weiße Passerina steht auf Kalk, der Cesanese im auf vulkanischer Asche bzw. Gestein.
Die damals aufkeimende Naturwein.Bewegung inspiriert auch Simone und Valerio: Sie bewahren die Qualität ihrer biodynamischen Bewirtschaftung draußen durch minimale Intervention im Keller. Außer einer winzigen Dosis an Schwefel fügen sie ihren Weinen bis heute nichts hinzu. Buchstäblich nichts. Sie vergären spontan, schönen nicht, filtrieren nicht und lassen ihren Weinen im Keller viel Zeit auf der Voll- oder Feinhefe. Das archaische Kulturgut Wein, wie es natürlicher nicht sein kann.
Erfahrung statt Wissen
Wir bombardieren Sie hier mit viel Text und Information. Das scheint uns nötig, weil Carlo Noro und seine Söhne den überzeugenden Beweis liefern, daß biodynamische Bewirtschaftung kein esoterisches Hexenwerk ist, das jeder wissenschaftlichen Erkenntnis widerspricht, sondern eine auf über Jahrhunderte angesammeltem Erfahrungswissen basierende landwirtschaftliche Bewirtschaftungsmethode ist, die sich der derzeitigen Ausrichtung der Naturwissenschaften vorläufig entziehen mag, die aber funktioniert (im Bild der Raum, in dem sie ihre Präparate produzieren).
Es wird nicht mehr lange dauern, dann wird die sich derzeit rasant entwickelnde Mikrobiom-Forschung dazu beitragen, daß überkommene Erkenntnisse singulärer Naturwissenschaften interdisziplinär revidiert werden müssen. Dann wird sich die biodynamische Betrachtung der Natur als durchaus naturwissenschaftlich erklärbar erweisen. Welcher Wissenschaftler hätte vor zehn Jahren gedacht, daß in einem Kubikzentimeter lebendigen Bodens mehr Lebewesen nachzuweisen sind, als auf der Erde leben! Eine sehr aktuelle Erkenntnis, die die Naturwissenschaften quer durch alle Disziplinen enorm beschäftigt und der Mikrobiom-Forschung massiven Auftrieb verschafft hat. Welcher Naturwissenschaftler hätte vor wenigen Jahren zu prophezeien gewagt, daß die Medizin der aufkeimenden Mikrobiom-Forschung derart heftigen Wandel verdankt! Dort ist inzwischen allgemeine Erkenntnis, daß Art und Qualität unserer Ernährung das Mikrobiom unseres Darmes direkt beeinflussen, was nicht nur unerwartet direkte Auswirkungen auf unsere Gesundheit hat, sondern das Darm-Mikrobiom scheint auch auch viele Prozesse in unserem Gehirn steuern und verändern zu können, bis hin zu Alzheimer und Depression. Nur zwei Beispiele von vielen.
Wegweisende Vordenker wie Alex Podolinsky, Carlo Noro und Michele Lorenzetti haben die Biodynamik vom esoterischen Lametta befreit und sie der harten landwirtschaftlichen Praxis zugeführt. Über Jahrzehnte hinweg können sie ihre Wirkung praktisch belegen. Wenn jene Gedanken zu Boden und Natur Anerkennung fänden, die die Biodynamik postuliert, die bis heute aber noch nicht »wissenschaftlich« bewiesen sind, könnten Biodynamik und Permakultur dabei helfen, uns Menschen von der lebensfeindlichen Agrarchemie zu befreien.
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