Seit Beginn der 1900er Jahre bis 2001 stand es nicht gut um die Region Tramonti. Sie blutete buchstäblich aus. Um Hunger und Armut zu entgehen, verließen Tausende von Menschen das Land, wanderten aus, die meisten von ihnen in die USA. Darunter auch die Familie des ehemaligen Gouverneurs von New York, Mario Como. Sie stammt aus Tramonti, wo das Haus der Familie zur traurigen Ruine verfällt.
Bis zum Bau der Schnellstraße war die Costiera praktisch nur über das Meer erreichbar. Die Menschen lebten dort in den Bergen in kleinen, isolierten Dörfern. Das änderte sich erst 1877 mit dem Bau der spektakulären Höhenstrasse zum Valico di Chiunzi. Und noch heute hat man den Eindruck, daß sich hinter dem Paß eine andere Welt auftut, die die Jahrhunderte überdauert hat, werden dort doch noch immer in bäuerlich archaischer Tradition Hülsenfrüchte, Gemüse, Obst und Reben auf alte, überlieferte Art produziert. Kein Monokultur-Weinbau, keine industrielle Landwirtschaft, kein Maschinenwahn. Ein Reichtum, den die Touristen, die die berühmte Küste selten verlassen, vermutlich kaum wahrnehmen und den nur eine Kultur mit entsprechender Tradition an Küche und Geschmack wertzuschätzen weiß und so zu erhalten hilft.
Und doch - die gesamte Küstenregion samt ihrem Hinterland verdankt ihre heutige Existenz dem Tourismus. Der setzte 2001 ein, warum auch immer, und verhalf so der lokalen Landwirtschaft, der Käseproduktion, dem Weinbau, vor allem aber auch der lokalen Gastronomie und Hotellerie, zu einer Blüte, die den auch hier drohenden Kollaps so vieler südländischer Regionen gerade noch rechtzeitig verhindern half. Was der heutige Über-Tourismus diesbezüglich mit den Menschen, der Natur und der Landwirtschaft in der Region anrichtet, wird man sehen.
Mit dem aufkommenden Tourismus setzt zu Beginn der 2000er Jahre dann auch der professionelle Weinbau rund um Tramonti ein. Es sind nur wenige Winzer, die sich die
harte Arbeit per Hand an den steilen Hängen und auf den vielen kleinen Parzellen antun. Es sind nur knapp 90 Hektar Rebfläche, die sie hier bewirtschaften. Da werden nicht viele Flaschen produziert. Die meisten finden in den unzähligen Bars und Restaurants entlang der Küste ihre Bestimmung. Exportiert werden bislang nur wenige.
Auf der Azienda Agricola Reale im kleinen Weiler Borgo di Gete verwaltet der junge Luigi Reale zusammen mit seinem geschäftstüchtigen Vater und dessen Bruder ein historisches Erbe, von dem es heißt, es wären die ältesten Pergola-Reben Italiens.
Spektakulär sind sie auf jeden Fall - und alt sind sie auch, denn sie sind wurzelecht gepflanzt, in der damals typischen geringen Dichte von 1500 Reben pro Hektar. Auf zahlreichen kleinen Terrassen, die mit keiner Maschine zu bewirtschaften sind, stehen sie, die uralten, respekteinflößenden Methusalem-Reben, die sich dort auf uralten hölzernen Stützen über viele Meter hinweg ausbreiten und von Familie Reale noch im besten Sinne »traditionell« bewirtschaftet werden. Frei von synthetischen Spritzmitteln, ausschließlich mechanisch von Hand.
Eine eindrucksvolle Szenerie, mitten in den Bergen auf 600 m Höhe, mit phantastischem Blick auf die Weiler von Tramonti. Die Reben der Azienda Agricola Reale sind nordwestlich ausgerichtet, werden also gut durchlüftet vom permanent blasenden Wind, sind geschützt vor der heißen Mittagssonne, profitieren von der langen Nachmittagssonne. Alt müssen sie übrigens auch deshalb sein, weil es ausschließlich alte, anderswo längst ausgestorbene autochthone Rebsorten sind, zum Teil sogar noch rote Teinturier-Sorten, also dunkelfleischige, die ihren Weinen eine faszinierend dunkelfunkelnde Brillanz verleihen. Und alt konnten sie werden, weil sie hier, wie oben beschrieben, auf tiefgründig humosen Lava-Lehmböden aus uralten Ausbrüchen des naheliegenden Vesuv stehen, die die Reblaus gar nicht mag.
Tramonti. Paradies ursprünglicher Natur
Wenige Kilometer vom Meer und seiner berühmten Küste entfernt, wähnt man sich hier im Gebirge. Im Bild die typische Landwirtschaft mit ihrer archaischen Mischkultur. Rechts im Bild eine Reihe von Eßkastanien, aus deren Früchten man noch heute das Mehl für das »Brot der Armen« gewinnt. Unten in der Senke alte Pergola-Reben, die Blätter braun vom falschen Mehltau, der die Reben hier erst spät im Jahr befällt, je höher die Terrassen liegen, um so weniger. Es ist Mitte Oktober, hinter uns werden im winzigen Keller der Azienda gerade die letzten Trauben des Jahrgangs gekeltert.
Die Reben stehen hier auf vielen kleinen Terrassen, eingebettet in die natürliche Topographie der Natur, wie im visionärsten Agroforst-Anbau. Hier nennen sie es, was es ist: Tradition. Eine organische Form der Landwirtschaft und des Weinbaus, die es mit sich bringt, daß die Reben kaum »Pflanzenschutz« benötigen, außer ein bißchen Kupfer und Schwefel, die hier, wenn es denn wirklich nötig erscheint, mit kleinen Rückenspritzen von Hand ausgebracht werden. Ein Paradies der Natur, das zeigt, daß es auch anders geht, wenn man Qualität produziert, die ihren Preis haben darf, weil sie nicht »billig« sein muß.
Das Weingut
Wegen des Weingutes muß man die Azienda Agricola Reale nicht besuchen. Es besteht aus zwei kleinen Räumen neben der Küche ihrer weithin bekannten Osteria. Es bewirtschaftet 2,5 ha Reben, wovon die Hälfte alte Pergola-Parzellen aus dem letzten Jahrhundert sind, die andere Hälfte wurde 2007 je nach Standort in unterschiedlicher Reberziehung gepflanzt. Das Weingut ist biologisch zertifiziert, weist die Zertifizierung aber nicht aus. Wir dürfen es deshalb nicht deklarieren.
Zusätzlich zu den eigenen Reben verarbeitet Familie Reale auch die Trauben kleiner Parzellen, die Familien im Dorf gehören. Ungefähr ein weiterer Hektar. So füllt ihr Betrieb ca. 12 .000 Flaschen pro Jahr ab. Nur ein paar Tausend Flaschen gibt es von jedem Wein. Sie gehen vornehmlich in der Osteria und den Restaurants der Region über den Tisch. Eine kleine Menge geht auch in den Export..
Eine hochagile alternative Winzerschaft bricht in Italien gerade jene träge Hochglanz-Szene auf, die Wein und Winzer in selbstgefälligem Tiefschlaf verharren ließ. Sie erweckt alte Reben und Rebsorten, das große Potential des Landes, zu neuem Leben und übersetzt vom »Fortschritt« vergessene Traditionen in aufregend ungeschminkte Weinqualität, wofür Familie Reale mit ihren historischen Pergolen exemplarisch steht.
Alte Reben - Alte Sorten
Alte Rebstöcke können ihren Weinen eine Intensität und Tiefe in Dichte, Aroma und Struktur vermitteln, die ihresgleichen sucht. Sie tragen die Faszination der Zeit in sich, machen in nicht mehr existenter Genetik ihre Geschichte und längst vergangene Zeiten schmeckbar. Wenn Rebstöcke über 40 Jahre alt sind, sinken deren Erträge auf ein angeblich unwirtschaftliches Niveau, dem sie ihren so besonderen Charakter verdanken. Winzer, die für diesen physischen Mehrwert keine höheren Preise realisieren können, erklären sie deshalb für wertlos (und roden sie nur zu oft). Beim Versuch, deren Erträge mit Mineraldüngung zu steigern, wachsen deren Wurzeln nach oben, wo die Nährstoffe herkommen, und die Weine verlieren ihren einmaligen Charakter.
Familie Reale bewirtschaftet neben jungen Reben auch jene historischen Pergolen, die zwischen 1900 und 1929 wurzelecht gepflanzt wurden, also nicht auf amerikanische Unterlagen aufgepfropft sind; es sind ausschließlich lokale, autochthone Prä-Phyloxera-Rebsorten, darunter eine Teinturier-Färbe-Sorte, deren Fruchtfleisch Farbe abgibt, weshalb die beiden Reale-Rotweine in magisch dunkler Farbtönung im Glas stehen.
Die Pergola als Kultur
Im Weinbau gilt die Pergola als Hochertrags-Erziehung, weshalb sie schlechten Ruf genießt. Historisch steht sie für arme Regionen, in denen die Bauern wenig Anbaufläche zur Verfügung hatten und so eine zweite Ernte, meist Getreide, unter dem Laubdach der Pergola erwirtschaften konnten. In Zeiten der Klimakrise erweist sich die Pergola als ideale Anbauform, die sogar in Regionen, in denen es sie nie gab, wieder gepflanzt wird.
Die Pergolen von Familie Reale sind spektakuläre Wunder der Natur. Sie flößen Respekt ein vor ihrem Alter und stehen für ein ganzheitliches Verständnis von Natur, das uns abhanden gekommen ist. Sie stehen auf kleinen Terrassen, über viele kleine Parzellen verstreut, inmitten von Kastanien, Eichen und Nussbäumen, umgeben von Hecken und Gemüsegärten. Biologische Diversität, die dazu beiträgt, daß die Reben kaum behandelt werden müssen. Schwefel und Kupfer in minimaler Dosierung, von Hand ausgebracht. Die Bodenqualität unter den Pergolen spricht für sich, hier waren noch nie Maschinen im Einsatz. Die Böden sind dauerbegrünt, weich und voller organischer Masse, sie federn vor Mykorrhiza-Kulturen und duften entsprechend. Da will man nicht mehr weg .....
Die Familie
In Italien spielt Familie eine tragende Rolle im Wirtschaftsleben. Ohne sie gebe es auch die Azienda Agricola Reale nicht. Gaetano ist für die Küche der Osteria zuständig. Bruder Gigino kümmert sich als Familienoberhaupt um Organisation und Service, ist für die Zimmer und, zusammen mit Sebastiano Fortunato, dem Önologen, für die Weinbereitung zuständig. Gigino ist es auch, der uns empfängt und schaut, wer die Tedeschi sind, um uns dann an Sohn Luigi zu übergeben, der die Reben und Pergolen bewirtschaftet und ein sehr interessierter und trotz jugendlichen Alters auch sehr kompetenter Gesprächspartner ist.
Ihre Weine haben Familie Reale in den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit beschert. Sie gehen in kleinen Mengen inzwischen in den Export und selbst im Norden Italiens findet man sie in vielen Weinbars und auf den Karten engagierter Restaurants.
Trotzdem könnte Familie Reale vom Wein allein nicht leben. Ihren Lebensunterhalt verdient sie mit ihrer Osteria, die in der Region so bekannt ist, daß man in der Saison ohne Reservierung Mittags wie Abends kaum einen Tisch bekommt.
Das Erbe
Über fast zwei Jahrzehnte hinweg versuchte Italiens führender Weinführer, der Gambero Rosso, die Winzer des Landes zu überzeugen, sich doch den edlen Rebsorten der Welt zu widmen. Nur in ihnen liege die Zukunft. Sie sollten sich der wertlosen, weil dem weintrinkenden Weltenbürger nicht zumutbaren, einheimischen Rebsorten entledigen.
Lang ist's her und nur die Üblichen folgten damals dem Mainstream. Dennoch fielen dem zeitgeistigen Unsinn hunderte Hektar unwiederbringlicher Genetik zum Opfer. Heute gelten Italiens rund 600 alte autochthone Rebsorten als einmaliger Schatz, der von einer neuen Winzer-Generation mit Enthusiasmus entdeckt und großem Engagement gehoben wird.
Darüber sprechen wir auch mit Luigi. Er bestätigt, daß auch in seiner Familie die alten Pergola-Reben ob ihrer aufwendig händischen Bewirtschaftung als Last galten. Um so bewußter bewirtschaftet er heute das wertvolle Erbe »mit großem Aufwand für wenig Ertrag«, wie er meint. Finanziell trage sich der Aufwand aber, weil das Interesse an seinen Weinen der alten Reben und Sorten inzwischen sehr groß sei.
Der Keller
Das, was Sie auf diesem Bild sehen, ist das Herz des Weingutes. Ein kleiner Raum, in dem die Trauben gekeltert werden und die Moste gären. In einem noch kleineren Raum links davon liegen ein paar Holzfässer und ein paar Tanks, in denen die Weine nach der Gärung auf der Hefe reifen. Das war's.
Die Weine der Azienda Reale sind keine Naturweine. Ihr so brillanter wie rarer Weißwein »Aliseo« ist sauber und duftig, trotz der Spontangärung auf der wilden Umgebungshefe aromatisch intensiv, ja fast fruchtig. Mit seiner milden südländischen Säure präsentiert er sich mundwässernd süffig und hinreißend frisch.
Die Rotweine von Reale sind konzentriert und dunkelfarbig, ohne schwer oder gar warm zu wirken. Die alten Rebsorten dominieren ihren Charakter, prägen sie attraktiv schlank und kühl im Mundgefühl, zugleich aber mundfüllend dicht und konzentriert in geschliffen wirkender, geschmeidig agierender Gerbstoffqualität. Durchaus eigen und unbekannt in Duft und Geschmack, aber unkompliziert und verständlich in eigenständiger Persönlichkeit, die Italiens Süden von der charmanten Seite zeigt.
Bildergalerie
Inhalt: 0.75 l (29,33 €* / 1 l)