Kösslers freches Kästchen


Als Naturwissenschaftler (Dipl. Ing. mit Chemie- und Physik-Studium), der auch in Keller und Weinberg mitarbeitet, glaube ich unserer eigenen Branche - dem Weinhandel, dem Weinbau, der Kellerwirtschaft - längst nicht alles, was sie verlautbart. 40 Jahre Berufserfahrung lassen uns eine erschreckende Intransparenz kritisieren. 

Sie scheint nötig, weil unsere gesamte Branche vom Weinberg auf die Flasche bewußt unpolitisch, weitgehend unkritisch und vorsätzlich verbrauchertäuschend agiert. Über ihre geschmacksverändernden Manipulationen im Keller legt sie den Mantel des Schweigens. Ominöse Bewertungen, Zahlen, Klicks und schöner Schein sind ihr wichtiger als Boden und Weinbau, obwohl diese von entscheidender Bedeutung für die Mikrobiologie und Chemie des Weines sind und damit für dessen sensorische Eigenschaften. Am Boden und dessen Wasserspeichervermögen hängt immerhin die Zukunft des Weines ...

Wir von K&U wollen Ihnen, unseren Kundinnen und Kunden. reinen Wein einschenken. Wir möchten Ihnen das Gute im Wein näher bringen. Es ist unser Versagen als Fachhändler, wenn Lugana und Primitivo mit 16 Gramm Restzucker die meistverkauften Weine Deutschlands sind und der deutsche Durchschnittsweintrinker nur das kauft, was er schon kennt. Wir kämpfen für eine tolerante, an Vielfalt interessierte Wein-Kultur, die mehr kann als das geschmäcklerisch banale »schmeckt mir/schmeckt mir nicht«.

Schauen Sie hier mit uns über den Rand Ihres Weinglases hinaus. Wir ergänzen diese Rubrik laufend chronologisch von oben nach unten und danken für Ihr Interesse!

Kritik und thematische Anregungen gerne direkt an mich, Martin Kössler: martin@weinhalle.de 

Der Jahrgang 2024 und die Wahrheit im Keller

Der Jahrgang »macht« den Wein nicht, aber er gibt Möglichkeiten vor, aromatische Tönungen, physische Strukturen in Säure, Dichte oder Gerbstoffen. Es sind dann die Winzerin und der Winzer, die diese Möglichkeiten erkennen müssen, um sie das Reb-Jahr hindurch im Weinberg auszuschöpfen bzw. auf sie zu reagieren versuchen. Das kann man mithilfe der Agrarchemie machen, worauf die allermeisten Winzer noch immer vertrauen. Sie hat vielen konventionell wirtschaftenden Winzern im schwierigen Jahrgang 2024 wieder die Ernte gerettet, weil sie mit zahlreichen Spritzdurchgängen auf die großen Herausforderungen des Jahresverlaufs reagieren konnten. 

Für die biologisch wirtschaftenden Betriebe war der Jahrgang 2024 besonders schwierig zu meistern. Doch weil sie nicht reagieren, sondern vorausschauend agieren in ihren Reben, sind viele unserer Winzer trotz der herausfordernden Komplexität des Jahrgangs aber durchaus zufrieden mit der eingefahrenen Qualität. Allerdings sind die Erntemengen fast europaweit erneut viel kleiner ausgefallen, zum Teil sind sie historisch niedrig, und der Arbeitsaufwand im Weinberg, den der Jahrgang erforderte, hat bei allen handwerklich arbeitenden Betrieben die Produktionskosten in schwindelnde Höhen getrieben. Immerhin -  ihre Weine im Keller scheinen Mühe und Arbeitsaufwand draußen im Weinberg qualitativ zu belohnen. Eine allmählich zur Regel werdende Ausnahmesituation, die sich in den Preisen niederschlagen wird. Wie wird die Zukunft zeigen. Fest steht: Im Keller müssen diese Weine nicht »korrigiert« werden.

Daß die Realität im Keller diesbezüglich bei vielen Betrieben düster aussieht in diesem Jahrgang, dokumentieren nicht nur die uns vorliegenden Laborberichte, die mit Empfehlungs-Listen an Zusatzstoffen versuchen, den Winzern zu helfen, um die Weine des Jahrgangs im Keller »verkaufsfähig« zu machen, sondern in aller Offenheit auch die an die Winzer verschickten Praxis-Empfehlungen der einschlägigen Lieferanten der Kellerwirtschaft. Hier nur ein Beispiel von vielen ...

Warum wird diese Wahrheit der Öffentlichkeit verschwiegen? 

Weil sonst niemand einen Wein des Jahrgangs 2024 kaufen würde. Also schweigt man und gaukelt uns vor, der Jahrgang wäre schwierig, aber man hätte ihn im Griff - dank systematischer geschmacksverändernder Manipulationen einer Industrie, die im Keller zu reparieren anbietet, was im Weinberg mißlungen ist. 

Die schreibende Zunft wird den Jahrgang wieder »geschmacklich« verkosten - und natürlich nicht berichten, wie sie zu ihrem Urteil kam und schon gar, wer womit nachhalf, damit die Weine so schmecken, wie sie es von ihnen erwarten. Daß sie dabei von den Winzern wie von der Kellerwirtschaft gezielt vorgeführt werden, wissen sie oft nicht mal - oder wollen es nicht wissen. Doch was sollen dann ihre Bewertungen? Sie sind so banal geschmäcklerisch, wie sinn- und wertlos. Zahlreiche bekannte und weltberühmte Weinbaubetriebe verdanken dieser bewußten Intransparenz ihren Ruhm und ihren Reichtum ... schöne Weinwelt. Man musste wohl treffender sagen: Geschönte Weinwelt! 

Der spannenden Dynamik auf Winzerseite wird man damit nicht gerecht. In Zukunft müssen harte Fakten wie die Art der Bewirtschaftung, der Lese und des Ausbaus im Keller als Qualitäts-Kriterien herangezogen werden, um jenen Winzerinnen und Winzern gerecht werden zu können, die in aller Offenheit und Transparenz Weine produzieren, die »anders« schmecken, weil sie grundsätzlich anders - nämlich ohne das Make up der Industrie - entstehen und deshalb auch grundlegend anders riechen und schmecken. Nur so macht eine seriös transparente und vor allem differenzierte Beurteilung und Bewertung von Wein in Zukunft Sinn. Kompetenz, statt etwas vorzugaukeln, was nicht ist. 

©10.2024

Der Jahrgang »macht« den Wein nicht, aber er gibt Möglichkeiten vor, aromatische Tönungen, physische Strukturen in Säure, Dichte oder Gerbstoffen. Es sind dann die Winzerin und der Winzer, die diese Möglichkeiten erkennen müssen, um sie das Reb-Jahr hindurch im Weinberg auszuschöpfen bzw. auf sie zu reagieren versuchen. Das kann man mithilfe der Agrarchemie machen, worauf die allermeisten Winzer noch immer vertrauen. Sie hat vielen konventionell wirtschaftenden Winzern im schwierigen Jahrgang 2024 wieder die Ernte gerettet, weil sie mit zahlreichen Spritzdurchgängen auf die großen Herausforderungen des Jahresverlaufs reagieren konnten. 

Für die biologisch wirtschaftenden Betriebe war der Jahrgang 2024 besonders schwierig zu meistern. Doch weil sie nicht reagieren, sondern vorausschauend agieren in ihren Reben, sind viele unserer Winzer trotz der herausfordernden Komplexität des Jahrgangs aber durchaus zufrieden mit der eingefahrenen Qualität. Allerdings sind die Erntemengen fast europaweit erneut viel kleiner ausgefallen, zum Teil sind sie historisch niedrig, und der Arbeitsaufwand im Weinberg, den der Jahrgang erforderte, hat bei allen handwerklich arbeitenden Betrieben die Produktionskosten in schwindelnde Höhen getrieben. Immerhin -  ihre Weine im Keller scheinen Mühe und Arbeitsaufwand draußen im Weinberg qualitativ zu belohnen. Eine allmählich zur Regel werdende Ausnahmesituation, die sich in den Preisen niederschlagen wird. Wie wird die Zukunft zeigen. Fest steht: Im Keller müssen diese Weine nicht »korrigiert« werden.

Daß die Realität im Keller diesbezüglich bei vielen Betrieben düster aussieht in diesem Jahrgang, dokumentieren nicht nur die uns vorliegenden Laborberichte, die mit Empfehlungs-Listen an Zusatzstoffen versuchen, den Winzern zu helfen, um die Weine des Jahrgangs im Keller »verkaufsfähig« zu machen, sondern in aller Offenheit auch die an die Winzer verschickten Praxis-Empfehlungen der einschlägigen Lieferanten der Kellerwirtschaft. Hier nur ein Beispiel von vielen ...

Warum wird diese Wahrheit der Öffentlichkeit verschwiegen? 

Weil sonst niemand einen Wein des Jahrgangs 2024 kaufen würde. Also schweigt man und gaukelt uns vor, der Jahrgang wäre schwierig, aber man hätte ihn im Griff - dank systematischer geschmacksverändernder Manipulationen einer Industrie, die im Keller zu reparieren anbietet, was im Weinberg mißlungen ist. 

Die schreibende Zunft wird den Jahrgang wieder »geschmacklich« verkosten - und natürlich nicht berichten, wie sie zu ihrem Urteil kam und schon gar, wer womit nachhalf, damit die Weine so schmecken, wie sie es von ihnen erwarten. Daß sie dabei von den Winzern wie von der Kellerwirtschaft gezielt vorgeführt werden, wissen sie oft nicht mal - oder wollen es nicht wissen. Doch was sollen dann ihre Bewertungen? Sie sind so banal geschmäcklerisch, wie sinn- und wertlos. Zahlreiche bekannte und weltberühmte Weinbaubetriebe verdanken dieser bewußten Intransparenz ihren Ruhm und ihren Reichtum ... schöne Weinwelt. Man musste wohl treffender sagen: Geschönte Weinwelt! 

Der spannenden Dynamik auf Winzerseite wird man damit nicht gerecht. In Zukunft müssen harte Fakten wie die Art der Bewirtschaftung, der Lese und des Ausbaus im Keller als Qualitäts-Kriterien herangezogen werden, um jenen Winzerinnen und Winzern gerecht werden zu können, die in aller Offenheit und Transparenz Weine produzieren, die »anders« schmecken, weil sie grundsätzlich anders - nämlich ohne das Make up der Industrie - entstehen und deshalb auch grundlegend anders riechen und schmecken. Nur so macht eine seriös transparente und vor allem differenzierte Beurteilung und Bewertung von Wein in Zukunft Sinn. Kompetenz, statt etwas vorzugaukeln, was nicht ist. 

©10.2024

Kennen Sie die 17 SDGs der UN?

Dahinter verbergen sich die Sustainable Development Goals (= Nachhaltige Entwicklungs-Ziele), abgekürzt SDGs, der Vereinten Nationen UN, die sich in der Umsetzung dieser so wichtigen siebzehn globalen Nachhaltigkeits-Ziele allerdings schwer tun, weil sie dabei (außer in Afrika) von der Politik kaum nennenswert unterstützt werden.

Wenn man bedenkt, wieviele Jahre aufwendiger Detail- und Überzeugungsarbeit in diesen so erstrebenswerten, aber offensichtlich zu hoch gesteckten Zielen für die Zukunft der Menschheit stecken, in wie vielen Treffen hochrangiger Politiker aus aller Welt (z. B. Welt-Klimakonferenz in Paris 2015) sie diskutiert und schließlich sogar gemeinsam verabschiedet wurden, dann ist die Umsetzung in Praxis und Kommunikation ein Armutszeugnis für die Denkungsart der globalen Politik und Unternehmerschaft. Wertloses Lippenbekenntnis, wie man es von Politik, Handel und Industrie in Sachen Nachhaltigkeit und Umwelt kaum mehr anders gewohnt ist.

Wir stellen Ihnen hier die 17 SDGs der UN vor, weil wir sie für die Zukunft unserer globalen Gemeinschaft als so wichtig erachten, daß wir sie hier wenigstens mal zur Kenntnis bringen möchten. 

Zehn Riesling GGs des VDP mit 100 Punkten? 

Ende August trifft sich die Crème de la Crème der internationalen Weinverkoster stets in Wiesbaden, um in einer spektakulären Vergleichsprobe dem neuen Jahrgang der »Großen Gewächse« des VDP, dem Elite-Verband der deutschen Prädikatsweingüter, auf den Zahn zu fühlen. 

Wir selbst haben von Beginn an an dieser phantastisch organisierten Probe teilgenommen und sehr viel daraus für uns gelernt. Doch jetzt staunen wir über Bewertungen, die so kaum sein können: Zehn mal vergaben verschiedene Verkoster 100 Punkte für Riesling GGs des Jahrgangs 2023?!? 

Daß der ein oder andere Wein dieses charmanten Jahrgangs eine perfekte Bewertung rechtfertigen mag, stellen wir nicht in Abrede. Eine derartige Punkte-Orgie ist aber beim besten Willen nicht ernst zu nehmen. Sie scheint wohl vor allem der Euphorie der einschlägigen Verkoster zu verdanken, die wir alle persönlich kennen und deren Beschreibungen zu den Bewertungen doch eher Zweifel am Gehalt ihrer Urteile wecken.     

Zehn mal 100 Punkte. Zehn perfekte Weine. Das beste, was in Sachen Wein möglich ist. Ist das euer Ernst? 

Dann beschreibt das bitte so, daß auch der Laie nachvollziehen kann, was für euch Perfektion in einem Wein bedeutet. Abseits eurer persönlichen Geschmacksvorlieben. 100 Punkte müssen rechtfertigt werden. En Detail, verständlich, nachvollziehbar in Struktur, Mundgefühl, Anbau, Herkunftscharakter. Einfach nur 100 Punkte vergeben kann jeder. Sie zu rechtfertigen muß ein Kraftakt sein, der der perfekten Bewertung gerecht wird. Dazu müssen die Kriterien für eine solche Bewertung transparent und verbal präzise offen gelegt sein, vom Anbau bis ins Glas. Über den bloßen Zeitgeist und persönliche stilistische Vorlieben hinaus. Ohne deklarierte Beurteilungskriterien ist jede Bewertung in Punkten wertlos, wird zur ärgerlich geschmäcklerischen Beliebigkeit. Wie jene Huldigung, die Verkoster Stuart Pigott, der für den amerikanischen Punkte-Sammler James Suckling unterwegs ist, seinem 100-Punkte-Urteil zur Seite stellt: »Es fällt mir schwer, auch nur den ersten Eindruck dieses delikaten Giganten zu begreifen, aber dann folgt auch noch der fast endlose Abgang, der tiefe mineralische Details aufweist. Und für einen Moment hat man das Gefühl, aus dieser Welt herausgetreten zu sein.«  

Wir wissen, warum wir Punktebewertungen prinzipiell weder beachten, noch zitieren.

Trinkwasserschutz vorerst gestrichen    12.9.2024

Jahr für Jahr gelangen abertausende Tonnen gefährlicher Agrarchemiegifte in unsere Umwelt. Ende 2022 kündigte das Bundeslandwirtschaftsministerium deshalb ein Pestizidreduktions-Programm an. Mit großer Verzögerung stellte es Landwirtschaftsminister Cem Özdemir letzte Woche unter dem euphemistischen Titel »Zukunftsprogramm Pflanzenschutz« vor. Zwar bleibt er auf dem Papier bei seinem Ziel, den Pestizideinsatz bis 2030 zu halbieren – ein erfreulich klares Bekenntnis zur offiziellen europäischen Farm-to-Fork-Strategie. 

Doch Papier ist geduldig und wirksame Maßnahmen sowie Zeitpläne zur Umsetzung fehlen. Es wird wieder nur auf Freiwilligkeit gesetzt, was, wie Vergangenheit und Gegenwart zeigen, gar nichts bringt, und ordnungsrechtliche Vorgaben wie Verbote für besonders schädliche Stoffe enthalt das Papier gar nicht mehr. Wichtige Punkte wie der verbesserte Schutz unseres Trinkwassers vor Pestiziden wurden sogar komplett aus dem Programm gestrichen. Damit hat sich die Agrarchemie- und Bauernverbands-Lobby einmal mehr durchgesetzt, das »Zukunftsprogramm« wurde dem »weiter so« der sogenannten »Konservativen« geopfert. 

Die kaum mehr abschätzbaren Kosten dieser umwelt- und gesundheitsfeindlichen Landwirtschaft werden wieder auf zukünftige Generationen abgewälzt. Dabei beweisen über 35.000 Bio-Betriebe in Deutschland, daß Landwirtschaft ohne chemisch-synthetische Pestizide möglich ist. Sie erwirtschaften stabile Erträge auf kleinteiligen, vielfältigen Strukturen in regionalen bäuerlichen Wirtschaftsmodellen.

Die Krise der konventionellen Bewirtschaftung

6.9.2024

Landwirtschaft und Weinbau scheinen jede Veränderung, die in ihre bestehenden Systeme eingreift, beharrlich zu verweigern. Ein Umdenken ist aber unausweichlich, ansonsten fahren Landwirtschaft und Weinbau ungebremst an die Wand. Wassermangel, versinterte Boden, die zu massiver Erosion führen, Nitratauswaschungen ins Grund- und damit ins Trinkwasser, Pestizidbelastungen mit schon heute unbezahlbaren, weil hochkomplexen Folgen für Böden, Wasser, Klima und unsere Gesundheit (die niemand angeht, weil der Lobby-Druck den politischen Handlungsspielraum einschränkt), zwingen zum handeln.  

Der Ausweg wäre einfach und ist wissenschaftlich längst bewiesen (auch wenn es Wissenschaftler gibt, die das bestehende System als das einzige Wahre sehen, vermutlich, weil es sie proper ernährt): Die Umstellung auf regenerative Bewirtschaftung auf einer langen Zeitachse würde Böden, Klima, Wasserwirtschaft und Steuerzahler nachhaltig entlasten. Böden sind regenerierbar, solange sie nicht durch Versiegelung zerstört sind.  Mehr dazu hier.

Sobald Böden gesunden, verbessert sich ihr Wasserspeichervermögen; die Photosynthese einer entsprechenden Begrünung baut Kohlenstoff in die Böden ein und verhindert Erosion, Wasser kann wieder einsickern und das Grundwasser auffüllen, die Luftqualität verbessert sich und steigende Verdunstungsraten haben unmittelbare Auswirkungen auf das lokale Klima, etc. etc. 

Internationale Langzeitversuche über 25 Jahre hinweg zeigten, daß die Umstellung auf regenerative Bewirtschaftung durch den Verzicht auf synthetischen Dünger zunächst niedrigere Erträge bedingt, die über längere Zeiträume aber durchschnittlich höher, weil konstanter ausfallen als bei konventioneller Bewirtschaftung. Das Argument, daß nur sie durch noch mehr Dünger und Chemie in der Lage sei, die Weltbevölkerung zu ernähren, ist damit eindeutig widerlegt. Die Permakultur mit ihren hohen Erträgen durch lebendige Böden und intelligentes Wirtschaften beweist ganz praktisch das Gegenteil. 

Was in der ganzen Diskussion keine Berücksichtigung findet und von Teilen der Wissenschaft nur sehr widerwillig untersucht wird, ist die Tatsache, daß lebendige Böden Lebensmittel mit viel wertvolleren Inhaltsstoffen liefern (sekundäre Pflanzenwirkstoffe und Spurenelemente, die für unsere Gesundheit wesentlich sind). Es ist wissenschaftlich erwiesen, daß zwischen Lebensmitteln aus Bio- und jenen aus konventioneller Bewirtschaftung ein wesentlicher, unsere Gesundheit direkt beeinflussender Unterschied in den Nähr- und Wirkstoffen festgestellt werden kann (Artikel von Christin Jones et. al.).  

Das können wir mit unseren Weinen übrigens beweisen! Es sind nämlich nur gesunde, lebendige Böden in der Lage, die Reben und deren Beeren über komplexe Transportmechanismen wie Mykorrhiza-Pilzkulturen etc. mit jenen Nährstoffen zu versorgen, die für eine reibungslose spontane Gärung durch die natürlich vorhandenen Hefestämme unabdingbar sind. Da diese Verbindungen, die meist anorganische Salze sind, nur bei der komplexen spontanen Wildgärung auch im späteren Wein - zumindest teilweise - nachweisbar sind, schmecken diese Weine auch anders. Die vielfältig zusammengesetzten Salze erhöhen nämlich die elektrochemische Leitfähigkeit im Mund und intensivieren so die geschmacklichen Reize in entsprechend an- und ausgebauten Weinen.  

Einen überzeugenderen Beweis für den Nährstofftransport aus lebendigen Böden in die Beeren, der direkt analog auch auf die Lebensmittelproduktion übertragbar ist, dürfte es kaum geben. Politischer Sprengstoff allererster Güte: Gesündere Lebensmittel durch lebendige Böden ... 

Wie desaströs die Lage in der konventionellen Landwirtschaft wirklich ist, beweist der hier unten angehängte Katalog aller möglichen Zusatzstoffe zum Wein von einem kalifornischen Lieferanten für Kellerwirtschaft, der fast vollständig alle möglichen, legalen Zusatz- und Korrekturstoffe zum Wein in ihrer Wirkungsweise und Anwendung erläutert. Sein Studium lohnt sich!

Dieser informative Katalog aus den USA enthält das, 

was Sie über Wein nicht wissen möchten

Die Rebe ist, im Gegensatz zu fast allen anderen Agrarprodukten, die meist einjährig sind, eine langjährige Standkultur. Sie kann damit zeigen, welche Auswirkungen ihre Bewirtschaftung  über lange Zeiträume hat. Die konventionelle Bewirtschaftung in Weinbau und Landwirtschaft hat jahrelang ertragreich funktioniert. Die Sicherung der Erträge ist ihr vorrangiges Ziel. Maximale Effizienz für möglichst billige Preise. Dazu hat die globale Agrarchemie über die letzten 50 Jahren äußerst effizient einen Kreislauf an Agrarchemie-Produkten installiert, der Alltag und Einkommen von Landwirten und Weinbauern auf der ganzen Welt sichern soll.

Am Beispiel des Weines läßt sich exemplarisch zeigen, welche Folgen die weitgehend chemische Bewirtschaftung der Böden über lange Zeiträume hat. So macht das 2004 Winemaking Handbook von Scott keinen Hehl daraus, daß es die systemisch zerstörten Böden sind, die seiner Firma den Umsatz bringen. Seine vielen (hier übrigens vorbildlich erklärten) Zusatzstoffe ermöglichen es den Winzern der Welt erst, erfolgreich verkaufbare Weine produzieren zu können. 

Dazu listet er all jene geschmacksverändernden Zusatzstoffe auf, mit denen sie im Keller geschmacklich korrigieren können, was sie im Weinberg mittels der teuer erkauften Agrarchemie erfolgreich zerstört haben. Damit dokumentiert dieser Katalog den Aufwand, der nötig ist, um aus dem einstigen Naturprodukt Wein das zu machen, was »modernen« Wein heute ist: Ein getränketechnologisches Erzeugnis, das so erwartbar die Klischees , die seine Käufer von ihm erwarten. 

Fast alle Hersteller dieser Zusatzstoffe kommen aus Europa, wo sie von den allermeisten Winzern auch eingesetzt werden. Hier ein deutschsprachiger Önologie-KatalogNicht mit uns. Weil wir im Sinne der Naturwein-Bewegung dagegen argumentieren, müssen wir genau wissen, worüber wir schreiben ...

Nicht sauber recherchiert

Die Süddeutsche Zeitung, die wir schätzen und deshalb täglich lesen, schreibt unter dem Titel »Wie sich teure Lebensmittel einfach ersetzen lassen« (Paywall) am 21.8.2024::

»Auf den Auberginenscheiben glänzt das Olivenöl, auf den Spaghetti türmen sich der Parmesan und auf den Salatblättern die Pinienkerne – was für viele Menschen lange selbstverständlich war, ist zuletzt immer schwieriger geworden, denn Nahrungsmittel sind in Deutschland in den vergangenen vier Jahren um rund 30 Prozent teurer geworden, hat das Statistische Bundesamt ermittelt. Besonders drastisch fiel das bei etwa Olivenöl auf, dessen Preis sich seit 2020 mehr als verdoppelt hat. Die Gründe sind unterschiedlich: Dürren, Engpässe für Futter, hohe Energiepreise. Internationale Konflikte wie der Krieg in der Ukraine, Arbeitskräftemangel, aber auch Hersteller, die die Gunst der Stunde nutzen und einfach so die Preise erhöhen .....«

Daß unsere Lebensmittel empfindlich teurer geworden sind, ist leider Stand der Dinge. Aber daß sich Olivenöl, wie hier pauschalisierend dargestellt wird, seit dem Jahr 2020 im Preis verdoppelt hat, entspricht nicht den Tatsachen. Zwar gab es 2023 eine der schlechtesten Olivenernten der letzten Jahre und die Klimakrise macht den Olivenbäumen in ihren Herkunftsländern mächtig zu schaffen, die erwähnten Preissteigerungen aber, die schon die Stiftung Warentest bemängelte, die zudem pauschal behauptet, daß Olivenöl schlechter geworden sei, treffen nur auf bestimmte Olivenöle zu. Jene nämlich, die in den Supermarktregalen stehen. Sie sind in der Tat, gemessen an ihrer fragwürdigen »Qualität«, skandalös teuer geworden. Dagegen haben sich unsere Spitzenöle aus ökologischer Produktiondie derzeit leider weitgehend ausverkauft sind (die neue Ernte kommt Ende November), seit 2020 tatsächlich nicht verteuert! 

Es ist schade, daß manche Journalisten, wie auch die Stiftung Warentest, diese Differenzierung nicht aufbringen und so den Eindruck erwecken, Olivenöl sei pauschal »zu teuer« geworden. Kennen Sie vielleicht die Spitze der Oliven-Öle nicht, weil diese nur noch in der Nische des spezialisierten Handels angeboten werden? Rapsöl ist zwar ein geschmacklich interessantes Öl, ein Ersatz für die wertvollen Polyphenole hochwertigen Olivenöls neuer Generation aber ist es nicht, von dessen geschmacklicher Faszination ganz zu schweigen. 

Kork und seine Kultur

Viel wird über ihn diskutiert. Hart wird er von alternativen Verschlüssen bedrängt. Der Naturkork.

Nun hat, ganz aktuell, das Nachrichten-Magazin »Der Spiegel« in seiner Onlineversion einen Artikel über die Bedeutung der Korkeichen für Ökologie und regionalen Landschaftsschutz publiziert, den wir für lesenswert halten, weil er den Blick auf den Naturkork als nachwachsendem Flaschen-Verschluss schärft und die Bedeutung der Korkeiche aus kritischer Perspektive zwischen Klimakrise und kapitalistischer Ausbeutung der Natur beleuchtet.

Spiegel-Online, 18.8 2024: »Portugal kämpft um seinen Superbaum«

Die in dem Artikel erwähnte Firma AMORIM, Weltmarktführer in der Verarbeitung von Naturkork, hat auf ihrer Homepage ein Kork-Lexikon publiziert, das wir hier zur Information verlinkenUnd hier ein Video des »Business Insider« aus den USA über Armorim und die Korkproduktion.

Wir Deutschen. Die Bio-Knauserer Europas 

Wir Deutschen gelten in der Welt gemeinhin als Vorreiter in Sachen »Bio«. Zumindest glauben ganz viele außerhalb Deutschlands, daß wir das wären. Tatsächlich hängen wir total hinterher und erweisen uns in Sachen »Bio« nicht nur einmal mehr in unserer Ernährung als geizig, sondern auch als erschreckend rückständig in Sachen Nachhaltigkeit und kulturlos in Sachen Lebensmittel-Qualität.

441,- € gibt jeder Schweizer statistisch pro Jahr für Bioprodukte aus, 369,- € jeder Däne, 287,- € jeder Österreicher. Wir Deutschen knausern mit 184,- € pro Kopf.

Kein Wunder, daß der Absatz der Biobranche im Jahr 2023 stagnierte. Zwar stieg der Umsatz in Deutschland im vergangenen Jahr um fünf Prozent auf 16 Milliarden Euro (es waren vor allem Butter, Fleischersatzprodukte und Gemüse, die weniger gekauft wurden als 2022, Käse, Fleisch und Wurstwaren dagegen häufiger), ein neuer Rekordwert, doch scheint dieser sich vor allem höheren Preisen zu verdanken. Die verkaufte Menge an Bio-Lebensmitteln lag nämlich auf dem Niveau des Vorjahres. 

Einst eine Domaine des Naturkost-Fachhandels, werden heute schon über 40 % der Bio-Umsätze von den Discountern und Drogeriemärkten getätigt, die ihre Bio-Sortimente in den letzten Jahren kräftig erweiterten. 

Weniger Betriebe bewirtschaften mehr Fläche

Jeder siebte deutsche Landwirt ist ein Bio-Bauer. Insgesamt gibt es gut 36.500 zertifizierte Bio-Betriebe hierzulande, doch ging deren Zahl im letzten Jahr um ein Prozent zurück. Um 4,3 % gewachsen ist aber die von ihnen bewirtschaftete Gesamtfläche von 1,94 Millionen Hektar. Sie bauen dort vorwiegend Getreide und Futter an, aber auch jede fünfte Obstfläche, sowie 14 % der bundesdeutschen Rebfläche sind offiziell bio-zertifiziert. Insgesamt liegt der Bio-Anteil am Landbau in Deutschland bei knapp 12 %. Agrarexperten erwarten, dass dieser Anteil langfristig weiter steigen wird, von den ambitionierten Zielen der Bundesregierung und der EU ist man hierzulande aber meilenweit entfernt. 

Denn: Bis 2030 soll ein Viertel der landwirtschaftlichen Flächen in der Europäischen Union biologisch bewirtschaftet werden. Aktuell liegt der Kontinent gerade mal bei 10 %. Österreich und Spanien sind die einzigen EU-Länder, die schon heute über 25 % ihrer Anbaufläche biologisch zertifiziert bewirtschaften. Für Estland, Frankreich, Griechenland, Italien, Portugal und Schweden scheint das Ziel noch erreichbar, für Deutschland mit seinen knapp 12 % kaum. 

Obwohl die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag die ehrgeizige Marke von 30% Flächenanteil bis zum Jahr 2030 festgeschrieben hat! Doch es fehlt an klaren politischen Zielvorgaben und es fehlt am Geld, um diese Transformation anzugehen und einzuleiten. Vermutlich aber fehlt es vor allem am Willen, weil CDU/CSU und FDP als Dauer-Blockierer in Sachen ökologischen Wandels kein großes Interesse am Thema Klimakrise und den komplexen Konsequenzen daraus haben. 

Dabei haben Fachleute längst die Gegenrechnung aufgemacht: Allein die ökologischen Folgekosten einer verfehlten Landwirtschaftspolitik lägen nach einer Berechnung der Boston Consulting Group bei rund 90 Milliarden Euro. Von den Belastungen des Gesundheitssystems durch ungesunde Ernährung und den Klimawandel ganz zu schweigen. Zudem sind Agrar- und Ernährungssystem aktuell für ca. 25 % der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Deshalb braucht es, wie bei der Energiewende, auch für den Umbau der Lebensmittelerzeugung und deren Konsums dringend politische Entschlossenheit für die finanziellen Ressourcen, die diesen so dringend nötigen Wandel umsetzen lassen. 

Die Zeichen dafür stehen schlecht, denn aus Angst vor den Protesten radikaler Bauern hat die Politik die ökologischen Kriterien in Sachen Düngemittel/Nitrat und Tierwohl schon wieder aufgeweicht oder zurückgenommen. Boden, Natur, Tiere und Wasser haben keine Lobby. Vor allem die konservativen Kräfte, die in der EU stark an Einfluß gewonnen haben, blockieren rigoros, was mit dem Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen zu tun hat. Sie verweigern aus purem Populismus, sich mit den unbequemen Belastungen zu beschäftigen, die der Landwirtschaft drohen, wenn diese jetzt nicht für die Zukunft vorsorgt. Dem steht der demoskopisch ermittelte Trend dagegen, daß sich immer mehr Verbraucherinnen und Verbraucher eine nachhaltigere Land- und Ernährungswirtschaft wünschen ... 

... doch wenn diesem Wunsch keine Taten folgen, bleibt der Wandel aus. Solange wir Deutschen nur nach dem Preis kaufen und uns um geschmackliche Qualität und ernährungsphysiologischen Wert unserer Lebensmittel nicht scheren, wird sich nichts ändern. Die Kultur der Lebensmittel, ihre Warenkunde, scheint uns nicht zu interessieren. Uns reichen Nahrungsmittel, die satt machen. Daß hochwertige Mittel zum Leben existentiellen Einfluß auf unsere geistige und körperliche Gesundheit haben (siehe: Darm-Mikrobiom), scheint uns keinen Gedanken wert.

Entlarvt die Winzer-Bio-Lüge

Es gibt immer wieder Winzer, die behaupten, sie wären »in Umstellung« oder ohnehin »praktisch« Bio. Im Internet, vor allem auf Instagram und vielen Winzer-Homepages, stoße ich immer wieder auf solche verbrauchertäuschenden Behauptungen. Klar, der Druck auf die Winzer ist groß. Die kundige Verbraucherin, der kundige Verbraucher, sie wollen heute Transparenz, Bio, Nachhaltigkeit.

Also gehe ich in die Weinberge. Wenn ich dort dann die üblichen Glyphosatspuren sehe (siehe oben im Bild: links Bio, rechts unter der Stockreihe typisch abgespritzt), weiß ich, daß mal wieder gelogen wurde. Ist ja niemand da, der es kontrolliert. Wer geht schon in die Reben und schaut sich deren Böden an. Greenwashing und Winzerlügen haben unverfrorene Ausmaße angenommen ...  

Es gibt in Franken z. B. einen bekannten Betrieb, der seine Reben auf inzwischen über 30 ha von einer einschlägigen Firma fremdbewirtschaften läßt, was keiner seiner Kunden ahnt und weiß, denn sein Besitzer tritt nach außen als handwerklich arbeitender Winzer auf. Er geht dabei sogar so weit, daß er im Internet verlautbart, er sei »in Umstellung« - was der Blick in seine Reben (Bild oben) als Lüge entlarvt.  

Abhilfe zumindest gegen solche Bio-Täuschungsmanöver schafft die rechts genannte Webseite: BioC gibt Ihnen Auskunft nicht nur über alle Betriebe, die zertifiziert sind, sondern auch über jene, die eine Umstellung beantragt haben. Fakten, statt Täuschung. Lassen Sie sich nicht mit ärgerlichen Winzer-Bio-Lügen abspeisen.

Juli 2024

Betriebe mit überlagerten Weinen im Keller?

Die Industrie weiß Abhilfe ...

Der Weinabsatz in Deutschland stockt. Der Verbrauch pro Kopf sinkt, während der Wert steigt. Das nützt aber jenen deutschen Winzern nichts, die auf großen Lagerbeständen aus den letzten beiden Jahrgängen sitzen, die sie nicht loskriegen. Viele dieser Weine sind noch nicht mal gefüllt, weil es vielen Winzern an Lagerkapazität und auch am Geld dafür fehlt. Das Angebot ist so groß, daß die Faßwein-Kommissionäre den Ankauf vielfach ablehnen. 

Vor allem konventionell produzierte Weine, die mittels Enzymen und Reinzuchthefe vergoren werden, leben von einer »Frucht«, der man gemeinhin so etwas wie »Frische« nachsagt. Genau diese Weine sind es, die in vielen Weingütern und Kellereien in großer Menge in Tanks und Fässern liegen und dort auf ihre Füllung warten. So mancher dieser Weine präsentiert sich bereits hochfarbig und beginnt, seine »Frische« zu verlieren. Da kann es auch schnell zu Bittertönen kommen, die diese Weine unharmonisch machen ... 

... doch die moderne Önologie weiß Abhilfe: Lesen Sie hier, wie man in solch traurige Weine wieder »Frische« zaubert....   und Informationen zu PVPP finden Sie hier

Seriöser Journalismus. Fakten und Fragen statt Ideologie und Meinung


Die von den sogenannten »Alternativ-Medien« immer wieder als »Mainstream-Medien« verunglimpften arrivierten Publikationen wie die Wochenzeitung »Die Zeit«, die »Süddeutsche Zeitung«, die »Frankfurter Allgemeine« oder der »Spiegel« (als den wesentlichen Print-Medien hierzulande) reagieren auf den oft fragwürdigen Meinungs-»Journalismus« vieler Alternativ-Medien mit dem, was seriösen Journalismus ausmacht: Mit fundierter Recherche, mit Fakten, mit kompetenter Analyse und mit der Aufforderung zum Diskurs auf der Basis fachlicher Kompetenz.

Was die Politik aus Mangel an Kompetenz und ideologischer Verblendung nicht angeht, obwohl sie, per Amtseid geschworen, uns Bürgern zu dienen hätte, wird hier benannt, angemahnt und uns aufs Tablett gelegt, damit wir erfahren können, was aus den Wahlversprechen geworden ist und was mit unseren Steuergeldern geschieht. Seriöser Fakten-Journalismus als wichtiges Kontrollorgan staatlicher Institutionen und der Politik. 

Aus unserem Bereich, dem Wein, geht es dabei vor allem um Böden und um Wasser. Der Boden findet in seiner Bedeutung für die Zukunft der Menschheit vor allem in der sogenannten »konservativen« Politik keinerlei Resonanz, in Presse, Funk (hörenswerter Beitrag!) und Fernsehen leider nur am Rand. Unser wertvolles Wasser überläßt die Politik weitgehend unkontrolliert der Ausbeutung durch Industrie und Mineralbrunnen (Söder und die CSU!), die sich an dessen fast kostenlosem Bezug bereichern können, während die ökologischen Folgen dieser katastrophalen Ausbeutung auf Kosten der Allgemeinheit und zukünftiger Generationen gehen.

Weil uns Boden, Wasser, Klima und Natur so wichtig sind, veröffentlichen wir hier Artikel, die uns lesenswert erscheinen außerhalb ihrer ursprünglichen Bezahlschranke, um damit zum Nachdenken über sie anzuregen.

Uwe Ritzer und Vera Schröder von der Süddeutschen Zeitung sind zwei besonders kompetente und engagierte Streiter für Klima und Wasser hierzulande. Uwe Ritzer hat ein überaus erfolgreiches Sachbuch geschrieben und Vera Schröder war in der SZ für den inzwischen leider eingestellten Newsletter »Klimafreitag« mitverantwortlich, sie arbeitet im Ressort Wissen zu den Schwerpunkten Klima, Psychologie und geschlechtersensible Medizin.

Wassermanagement muss höchste Priorität haben

20. Mai 2024 

Die Politik verspricht Hochwasseropfern schnelle Hilfe. Doch das reicht nicht. Politik und Gesellschaft müssen endlich mehr in den Schutz investieren.  

Von Uwe Ritzer  

Seit Tagen spielt sich im großen Maßstab ab, was der Würzburger Klimaforscher Heiko Paeth den "Blumentopf-Effekt" nennt. Wer einmal eine ausgetrocknete Zimmerpflanze vor dem Verdursten retten wollte, kennt das: Man gießt Wasser auf das staubtrockene Erdreich, doch das sickert nicht sofort ein, sondern fließt oberflächlich ab. Erst nach einiger Zeit durchfeuchtet das Wasser die Erde. Wer weiter gießt, erlebt, dass die getränkte Blumenerde die Aufnahme irgendwann verweigert. Wieder läuft das Wasser oberflächlich ab.  

Was für den kleinen Blumentopf gilt, gilt im Großen für ganze Regionen wie aktuell im Saarland, in Rheinland-Pfalz und vereinzelt auch in Baden-Württemberg und Bayern. Gewaltige Regenmengen fallen in kürzester Zeit auf die Erde, die nicht in der Lage ist, das Wasser aufzunehmen und es versickern zu lassen. Es kommt zu Hochwasser. Das gab es früher auch schon, sagen die Abwiegler. Das stimmt. Doch der Unterschied ist: Extremwetter samt daraus resultierenden Fluten gibt es immer häufiger. Was einst als 100-jähriges Hochwasser deklariert war, tritt in immer kürzeren Abständen auf. 

Und das ist eine Folge des Klimawandels

Vor diesem Hintergrund ist geradezu absurd, wie sich viele Politiker, aber auch weite Teile unserer Gesellschaft heillos im Klein-Klein verzetteln: Man diskutiert ausschweifend über die grundsätzliche Sinnhaftigkeit von Elektromobilität, über Heizungsgesetze und Verbrennerverbote, ja, sogar über einzelne Windräder. Diese Debatten ziehen sich hin, als bräuchte es Lösungen erst in ferner Zukunft. Dabei steht der Klimawandel nicht irgendwann bevor, sondern er hat bereits begonnen. Er löst häufigere und heftigere Fluten aus wie auch längere Hitze- und Dürreperioden. Es ist eine diabolische Dualität, auf die Wissenschaftler seit Jahren hinweisen. Trotzdem ist das Land miserabel darauf vorbereitet, politisch, technisch und mental.   

Wenn Politiker, vor allem solche in den Kommunen, sich Wahlen stellen müssen, versprechen sie den Bürgerinnen und Bürgern tunlichst neue Schulen oder Kindergärten, Radwege oder Wohngebiete. Niemand gewann bislang eine Wahl damit, dass er eine neue Reinigungsstufe für die Kläranlage versprach, die Modernisierung von Wasser- und Abwasserleitungen oder den Bau von Regenrückhaltebecken. Und beim jährlichen Tag der offenen Tür kommen garantiert mehr Besucher in die neue Schule als in das modernisierte Klärwerk.  

In den Schutz vor Überflutungen wird zu wenig investiert 

Genau diese Sicht auf die Dinge muss sich ändern. Hochwasserschutz, aber auch die Sicherung der Trinkwasserversorgung und ein untrennbar damit verbundenes, modernes Abwassersystem sind Zukunftsthemen. Das lehren die aktuellen Überflutungen, das hätte bereits die Quintessenz aus der Ahrtal-Katastrophe 2021 und vielen anderen Extremwetterereignissen der vergangenen Jahre sein müssen. Waren sie aber nicht. 

Stets versprachen Politiker den Opfern schnelle und unbürokratische Hilfe, die in vielen Fällen kam, in einigen auch nicht. Diese Reflexpolitik ist richtig, es dabei zu belassen jedoch fatal. Auch, weil sie komplexe Zusammenhänge außer Acht lässt. Deutschland verliert seit Jahren rasant an Grundwasser, aus dem zwei Drittel des Trinkwassers hierzulande gewonnen werden. Ein durchwachsener Sommer wie 2023 und ein nasser Winter wie der vergangene stoppen diesen Trend noch lange nicht. Hochwasser aufzufangen und anschließend dosiert in der Landschaft versickern zu lassen, schützt nicht nur Menschen samt ihrem Hab und Gut. Es ist auch ein Beitrag zur Grundwasserregeneration.  

Die Realität ist bislang eine andere

Mit dem Abzug der Wassermassen verschwindet das Thema peu à peu vom Wahrnehmungs- und Dringlichkeitsradar. Wenn es Monate oder Jahre später um den Bau aufwendiger und dementsprechend teurer Hochwasser-Rückhaltesysteme geht, ist selbst vor Ort häufig die Einsicht in deren Notwendigkeit längst der Bequemlichkeit gewichen. Das Ahrtal ist dafür das beste Beispiel. Nach mehreren Flutkatastrophen entwarf man dort in den 1920er-Jahren Pläne für große Regenrückhaltebecken. Sie wurden allerdings nie gebaut. Lieber investierte man damals das Geld in den Nürburgring. Es ist eben alles eine Frage der Prioritäten.

Extreme Trockenheit und extreme Regenfälle nehmen zu. Und doch scheint Deutschland das zu verdrängen. Das aber liegt nicht nur an der Politik  

Kommentar von Uwe Ritzer  

Von den Betroffenen abgesehen, haben die chronisch aufgeregten Deutschen die jüngsten Unwetter mit stoischer Gleichgültigkeit hingenommen. Genauso wie den zurückliegenden, nassen und warmen Winter. Und den vergangenen Herbst, als mancherorts ungewöhnlich laue Spätoktoberabende zum Verbleib im Freien einluden, im T-Shirt, wie sonst um diese Zeit nur in Südeuropa. Das fühlte sich angenehm an, und der viele Regen, die Fluten seither - na ja, Wetter ist eben unberechenbar.  

Dieses Gefühl meteorologischer Normalität ist eine kollektive und fatale Selbsttäuschung. Denn genauso wie die Hitzesommer 2018, 2019, 2020 und 2022 war der nasse Winter und sind die anhaltenden Extremwetter mit Starkregen und Hochwasser Folgen des Klimawandels. Im allgemeinen Bewusstsein wird er ignoriert oder als abstrakte Bedrohung in ferner Zukunft verdrängt, dabei hat er bereits begonnen. 

Die Erde erwärmt sich, und das hat Auswirkungen auf die Verfügbarkeit des Überlebensmittels Wasser und den Umgang damit. Ein Umstand, auf den Politik und Gesellschaft zu wenig und zu zaghaft reagieren. Die Deutschen sind einfach zu verwöhnt. Sie können im Gegensatz zu Milliarden Menschen auf diesem Globus pausenlos und zuverlässig über sauberes und günstiges Wasser im Überfluss verfügen. Niemand muss selbst beim nächsten oder übernächsten Hitzesommer Angst vor dem Verdursten haben. Was auch mit funktionierenden Abwassersystemen zu tun hat, denn das eine hängt mit dem anderen untrennbar zusammen.  

Auf immer häufigeres Extremwetter ist man jedoch nicht gut vorbereitet. Es fehlt vielerorts an Rückhaltesystemen, um möglichst viel von den gewaltigen Regenmengen in kurzer Zeit, die der Boden nicht aufnehmen kann, aufzufangen und so zu verhindern, dass eine Flut entsteht und Schaden anrichtet. Aber auch, um das Wasser für Mensch und Natur zu nutzen und nicht über die Flüsse in die Meere abfließen zu lassen, wo es für die Trinkwasserversorgung erst einmal verloren ist.

Die Grundwasser-Reserven schrumpfen

Regenwasser-, überhaupt Wassermanagement ist eine der ganz großen Herausforderungen. Die Grundwasserreserven, aus denen hierzulande mehr als zwei Drittel des Trinkwassers gewonnen werden, schrumpfen rapide. Manche Experten beziffern den Verlust seit der Jahrtausendwende auf das Volumen des Bodensees, andere sprechen von 20 Prozent Minus. Gleichzeitig steigt aber der Bedarf. 

Je länger und heißer die Sommer werden, desto mehr Wasser brauchen Mensch und Natur und desto mehr verdunstet. Zudem steht das Land vor gewaltigen Eingriffen in seinen Wasserhaushalt. Wenn in von Haus aus trockenen Regionen wie Magdeburg und Dresden riesige Chipfabriken gebaut werden, die per se große Schlucker sind, bleibt das nicht ohne Folgen. Allein in Dresden wird sich der Wasserbedarf bis 2030 verdoppeln. Der zunehmende Protest gegen das Tesla-Werk in Grünheide hat viel damit zu tun, dass die Region schon vor dem Bau der Fabrik unter Wassermangel litt, den Tesla objektiv verschärft. Oder der Ausstieg aus der Braunkohle in der Lausitz. Klimapolitisch gewollt, doch führt er dazu, dass auf Berlin Wasserprobleme zukommen. Denn die Hauptstadt verdankt einen großen Teil ihres Trinkwassers der Spree. Weil in der Lausitz kein beim Kohleabbau störendes Grundwasser mehr in die Spree abgepumpt werden muss, wird der Fluss bis zu 70 Prozent weniger Wasser führen.

Die Wasserrahmenrichtlinie der EU ist ein wichtiger Punkt 

Man kann der Politik nicht pauschal vorwerfen, dass sie das Thema nicht auf dem Schirm hätte. Die EU hat mit ihrer Wasserrahmenrichtlinie einen wichtigen Markstein gesetzt, und die Bundesregierung verabschiedete 2023 eine Nationale Wasserstrategie mit 78 konkreten Vorschlägen. Sie reichen von der technischen Ertüchtigung der Versorgungssysteme und der Renaturierung von Mooren und Flüssen über sparsamere Beregnungssysteme für die Landwirtschaft bis hin zu Schwammstädten und dem Stopp des Flächenfraßes. Vieles davon muss heute getan werden, um morgen positive Wirkung zu entfalten.  

Man weiß also genau, was getan werden muss. Doch die Nationale Wasserstrategie ist bislang nicht mehr als ein Wunschkatalog, umgesetzt wurde so gut wie nichts. Das große Problem: Es gibt nicht die eine allein zuständige politische Ebene, beim Wassermanagement müssen EU und Bund, Länder und Kommunen ineinandergreifend arbeiten. Man kann das auch zynisch bewerten: Offenbar braucht es noch mehr Hitzesommer mit Wasserknappheit und noch mehr Überschwemmungen, damit endlich etwas geschieht. Es fehlt an Entschlossenheit bei Politik und Behörden, aber auch am Druck der Bürgerinnen und Bürger. Viele Menschen erliegen nach wie vor dem Trugschluss, Wasser sei grenzenlos verfügbar. Das Problem wird verdrängt. 

2023 war dafür ein gutes Beispiel. Nachbarländer litten unter Dürren und Fluten, nicht aber Deutschland. Alles doch nicht so schlimm? Doch. Deutschland hatte 2023 einfach nur Glück. Darauf aber darf man sich nicht verlassen.

Vernünftige Lösungen, um die Erderwärmung zu stoppen und sich ihr gleichzeitig anzupassen, sind seit Langem bekannt. Warum die Umsetzung schwierig bleibt

Von Vera Schroeder 

»Das Land muss trocken sein« ist so ein Glaubenssatz, der über Jahrhunderte in der Landwirtschaft in Europa galt. Schließlich war der Feind einer guten Ernte in diesen Breiten stets eher zu viel feuchte und damit schlecht nutzbare Fläche. Deshalb wurden Flüsse begradigt und in enge Deiche gepackt, Moore und Feuchtgebiete entwässert. 

Doch heute braucht es einen neuen Glaubenssatz. »Das Land muss das Wasser in der Fläche halten« wäre ein guter. Auch wenn es in diesen Tagen erstmal kontraintuitiv klingt: Das viele Wasser, dass nun unter verzweifelter Anstrengung allerorts abgepumpt und über die großen begradigten Flusssysteme möglichst schnell einfach nur weg, Richtung Meer gewünscht wird, könnte in ein paar Monaten fehlen.

Höhere Temperaturen bedeuten eben nicht nur mehr Feuchtigkeit in der Luft, die sich dann mit mehr Energie kräftig entlädt. Warum genau derlei Wetterlagen in ihrer Stärke und Häufigkeit durch den Klimawandel zunehmen, beschreibt Christoph von Eichhorn in dieser Geschichte. Gleichzeitig kommt es auch in Deutschland immer öfter zu langen Dürreperioden, in denen das Wasser im Boden fehlt. Die Sache ist aus dem altbekannten Gleichgewicht geraten, aus dem leider nicht nur viele Glaubenssätze, sondern auch unsere blaue Infrastruktur stammt. 

Was sich ändern müsste, ist seit Jahren bekannt, zum Teil sogar gesetzlich verankert. Flüsse und Auen müssen renaturiert werden, entwässerte Feuchtgebiete gehören wiedervernässt. Nicht nur, weil naturnahe Auenlandschaften oder nasse Moore große Retentionsflächen sind, also im Falle eines drohenden Hochwassers viel Wasser schadlos aufnehmen und die Pegelstände damit insgesamt niedriger halten können. Sondern auch, um dieses Wasser länger im Land zu behalten und anschließend über neu gedachtes Wassermanagement schlau dorthin zu verteilen, wo es gebraucht wird. Uwe Ritzer erklärt die aktuelle Situation des Wassermanagements in Deutschland in einem seiner lesenswerten Texte oben. 

Solche naturnahen Lösungen werden aber selten umgesetzt. Von wenigen Einzelprojekten abgesehen kommen die Renaturierungspläne derzeit nicht in die Fläche. Zu viele Fragen sind offen: Die Verwaltungsstrukturen fehlen, die Förderrichtlinien für Landwirte, die auf Flächen verzichten oder sie anders nutzen müssten, sind unklar, das EU-Renaturierungsgesetz steht seit Monaten auf der Kippe und schrumpft dabei auf ein Gerippe zusammen. 

Das groß verkaufte Aktionsprogramm »Natürlicher Klimaschutz« wird wegen dieser strukturellen Herausforderungen wenig abgerufen. Und so bleibt das letzte Fünkchen Hoffnung, dass die schrecklichen, zerstörerischen Fluten der vergangenen Tage wenigstens in manchen Köpfen doch ein Umdenken anregen und die Klimakrise noch ernster genommen wird. 

Aus vergangenen Flutkatastrophen wie dem Ahrtal ist jedoch auch bekannt, wie schnell Menschen wieder in ihre alten Bedürfnismuster verfallen und dann doch hoffen, dass sie so ein Unglück ja schließlich nicht noch einmal treffen kann. Viele Häuser wurden dort just an dem Ort wieder aufgebaut, an dem sie geflutet wurden. In Umlauf ist der Begriff »Hochwasserdemenz«

Andererseits: Auch in Bezug auf psychologische Mechanismen wie Verdrängung und Wunschdenken müsste man dazulernen. Um so die oft kontraproduktiven inneren Reflexe reflektieren und dann überlisten zu können. Hoffentlich bleibt dafür genug Zeit. 

Die Sonne knallt auf den Kopf, die Menschen stecken selbigen in den Sand. Denn Gefahren zu verdrängen, verschafft Entlastung. Wie schafft man trotzdem, dass etwas gegen den Klimawandel getan wird?  

Essay von Vera Schroeder  

Lange Zeit wurde die Tatsache, dass der Klimawandel so weit weg erscheint, für einen der entscheidenden Gründe gehalten, weshalb die Menschen in Deutschland nur so träge in die Gänge kommen. Sind halt nur Eisbären, Pazifik-Atolle, Korallenriffe. Viele Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen glaubten fest daran, dass der Umbau des Landes im Sinne des Planetenschutzes mitsamt der unverrückbaren Netto-Null schon viel schneller werden würde, wenn die Auswirkungen erst einmal auch hier für alle spürbar wären. In den Kommunikationswissenschaften spricht man vom Nachrichtenfaktor »Nähe und eigene Betroffenheit«, der Interesse für ein Thema wecken soll – und in der Folge auch das Gefühl der Handlungsdringlichkeit.  

Jetzt wird zweimal in acht Tagen Zermatt geflutet, Starkregen fegt die EM-Spieler vom Platz, und die Hitze drückt zwischen vielen nassen Phasen so unerbittlich schnell von null auf hundert in die Schlafzimmer, aber auch Krankenhäuser und Altenheime hinein, dass es nicht schwerfällt, sich vorzustellen, wo die mehrere Tausend Hitzetoten im Jahr auch in Deutschland mittlerweile herkommen. Während Mekka immer noch weit weg erscheint, sterben deutsche Touristen beim Mittagsausflug in Griechenland, weil sie vergessen haben, sich was über den Kopf zu ziehen. Kaum einem Autofahrenden, auch in Deutschland, ist der Gedanke mehr fremd, wie man denn wohl reagieren würde, wenn das Fahrzeug in einer Sturzflut plötzlich zu schwimmen anfinge. Und welche App braucht man jetzt noch mal als Frühwarnsystem?

Die »Klima-Müdigkeit« macht die Runde  

Der Klimawandel ist da, auch bei uns. Allein: Die Beschleunigung der großen Transformation durch diese Nähe bleibt bisher aus. Man könnte meinen, es sei sogar das Gegenteil der Fall: Immer öfter hört man derzeit Stimmen aus Politik, Wirtschaft, aber auch aus der Nachbarschaft, die dem Umbau so etwas wie eine Zwangspause oder mindestens eine Dringlichkeitstoleranz verordnen wollen. Das Verbrenner-Aus wird wieder aufgerollt, im Europäischen Parlament wurden klimaprogressive Kräfte im großen Stil abgewählt, die ersten Fluglinien kippen ihre Klimaziele und bei einer Befragung im Auftrag der SZ kam kürzlich heraus, dass die Gruppe der Menschen, die für das Klima auf Lebenskomfort verzichten würde, gerade kontinuierlich schrumpft – was sich zum Beispiel in ansteigenden Flugzahlen direkt niederschlägt. Das Wort »Klima-Müdigkeit« macht die Runde.  

Es scheint also in kontraintuitiver Weise gerade andersherum zu sein, als man lange dachte: Je näher der Klimawandel rückt, je unmittelbarer die Auswirkungen spürbar sind, je stärker die Hitze den Kopf schwitzen lässt oder über den erwärmten Meeren angesammeltes Wasser auf uns herunterdonnert – umso heftiger versucht der Mensch, jenen Kopf in den Sand zu stecken. Es gibt Forschung, die diesen Mechanismus belegt, etwa eine Arbeit, die nach der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal die Zustimmung zu grüner Politik untersuchte und herausfand, dass dieser Effekt nur kurzfristig war. Dass im Ahrtal viele Häuser allen Warnungen zum Trotz genau an der Stelle wieder aufgebaut werden, an der sie überflutet wurden, bestätigt die Sehnsucht nach Altbekanntem – und wohl auch die Fähigkeit zur optimistischen Verdrängung. »Mich wird es schon nicht noch mal treffen“« scheint der Glaubenssatz zu sein, an dem sich viele Menschen in solchen Situationen festhalten. Insgesamt ist die Studienlage über den Zusammenhang zwischen der Nähe von Klimaereignissen und klimafreundlicheren Verhaltensweisen und Einstellungen wenig eindeutig. Für eine 2022 veröffentlichte Übersichtsarbeit wurden 84 Studien zu diesem Thema untersucht, in denen zum Teil Belege für schwache Zusammenhänge gefunden wurden, zum Teil aber auch nicht. Allerdings sind die Studiendesigns schwer vergleichbar, weshalb die Autoren der Übersichtsstudie sich verfeinerte Forschungsmethoden für die Zukunft wünschen.  

Es sind die Gefühle, Dummkopf!  

Konzentriert man sich auf die Frage, wie das sein kann, dass näherkommende Risiken die Wahrnehmungsschärfe vieler Menschen womöglich eher verschleiern, als sie zu aktivieren, landet man schnell bei psychologischen Zusammenhängen, die fast banal klingen, was sie aber nicht weniger richtig macht: Angst lähmt. Der Reflex, Gefahren zu verdrängen, verschafft schnelle und kurzfristige Entlastung. Belastend hingegen fühlen sich all die Krisen um einen herum an, auf die man als Individuum wenig Einfluss zu haben scheint und die einem inhaltlich ständig über den Kopf wachsen, so kompliziert wie sie sind.  

Verdrängung als Reaktion auf diese Überforderung ist dabei entgegen ihrem freudschen Ruf nicht immer und nicht zwangsläufig schädlich. Wer Gefühle wie Flugscham oder andere kognitive Dissonanzen empfindet, bei dem funktioniert die Verdrängung nicht mehr so gut. Absichtsvolle, trainierte Verdrängung aber kann, darauf weisen verschiedene neuere Studien hin, für den eigenen mentalen Zustand tatsächlich hilfreich sein. In diesen Fällen besteht also ein klassischer Zielkonflikt zwischen der zumindest kurzfristigen Verbesserung des eigenen mentalen Zustands, indem man einfach so tut, als ginge einen das alles nichts an – und der aktiven Verbesserung des Planeten durch klimaschutzrelevantes Verhalten.  

Dazu kommt das, was Soziologen »kollektive Identität« nennen, also das starke Bedürfnis von Menschen in modernen Gesellschaften, sich ganz besonders in Krisenzeiten dadurch zu orientieren, dass man sich als Teil einer bestimmten Gruppe versteht. Diese Suche nach Zugehörigkeit und Sicherheit ist ebenfalls vor allem emotional gesteuert. Sie funktioniert bei den allermeisten Menschen unbewusst und oft, vor allem wenn Verlustängste im Spiel sind, über Abgrenzung. „Triggerpunkte“ nennt etwa der Soziologe Steffen Mau bestimmte Schlüsselreize, die starke Abwehrreflexe auslösen können. Man gehört eben zum Beispiel genau nicht zu einem bestimmten vermeintlich grünen privilegiert-urbanen Milieu (und möchte da auch explizit nicht dazugehören) – mit dessen Klischee klimarelevantes Verhalten aber für viele eng gekoppelt ist. Die sich in der Vorstellung der anderen moralisch überlegen fühlenden Vegetarier auf ihren Lastenfahrrädern nerven so sehr, dass man ihrer blöden Doppelmoral zum Trotz weiter fleißig Billigfleisch verteidigt. Jetzt erst recht.  

Und dann wäre da noch die Idee von Klimaschutzverhalten als konjunkturbedingtem Zeitgeist-Phänomen, das jetzt seit ein paar Jahren zumindest in einigen Milieus recht hoch im Kurs steht, ein gutes Marketingtool ist – und dann im Sinne der inneren Logik von Lifestyle-Trends im Moment der Allgegenwärtigkeit auch wieder in sich zusammenfallen muss. Auch das hat im Kern vor allem mit Gefühlen zu tun.  

Weite Teile einer Gesellschaft orientieren sich nun mal in ihrem individuellen Verhalten, ganz besonders im Konsumverhalten, daran, was gerade die anderen, die man toll findet, auch machen. Adidas Originals funktionieren da ähnlich wie Biohotels in der Uckermark, die, wenn man nicht aufpasst und es bezahlbar ist, auch schnell wieder durch Mallorca-Trips ersetzt werden. Das heißt nicht, dass all jene, die in den vergangenen Jahren ein paar entscheidende Verhaltensweisen klimafreundlich angepasst haben, das alles sofort leichtfertig wieder über Bord werfen. Aber wer sich dazu weniger aus rationalen Überlegungen zur Klimaphysik durchgerungen hat, sondern vor allem auch weil es jetzt halt dazugehört und sich nach vornedran anfühlt, ist auch leicht verführbar, wenn der Zeitgeist weiterzieht.  

Alle diese Gefühlszustände, die das klimafreundliche Verhalten des Einzelnen beeinflussen, setzen sich bei jedem unterschiedlich zusammen. Sie finden auf verschiedenen Wahrnehmungsebenen statt und können sich natürlich auch widersprechen. Und von Gewohnheit und Bequemlichkeit war hier noch nicht einmal die Rede. Eine einfache rationale Schlussfolgerung wie die, dass Menschen sich schon klimafreundlich verhalten, wenn sie nur spüren, dass der Klimawandel real ist, unterschätzt die Vielschichtigkeit der Lage. Und die vielen Zielkonflikte und unterschiedlichen Kapazitäten, mit denen jeder Mensch sein Leben tagtäglich hin- und herbewegt.  

Und jetzt?

Gesetzt den Fall, dass man nun aus diesem Verständnis für unser in Anblick der physikalischen Tatsachen irrationales Verhalten, das angesichts der dahinterstehenden Bedürfniswelten gar nicht mehr so irrational ist, nicht den Schluss ziehen möchte, das Klima einfach immer weiter eskalieren und die Erde schlicht abbrennen zu lassen: Wie lässt sich Transformation dennoch weiter vorantreiben?  

Es hilft sicherlich, sich einzugestehen, dass die kommenden Jahre und Jahrzehnte nicht gemütlich werden, dass es also keine einfachen Lösungen gibt. Noch viel schwieriger als die sogenannten „Zumutungen des Klimaschutzes“ wird es allerdings für alle Menschen, wenn man die Erhitzung nicht abbremst.  

Dabei ist die Klimawende kein Ereignis, sondern ein Prozess. Die Idee von einem erträumten sozialen Kipppunkt, ab dem irgendwann alles von alleine passiert, was jahrzehntelang versäumt wurde, könnte Wunschdenken sein. Die Transformation setzt sich aus unendlich vielen Einzelschritten zusammen, inklusive Rückschritten. Dass das dauert, ist klimaphysikalisch gesehen eine Katastrophe. Und gleichzeitig unvermeidbar.  

Die vielen verschiedenen Gefühlszustände, die sowohl Klimawandel als auch Klimawende bei den Menschen auslösen und aus denen sich gesellschaftliche Stimmungen bilden, die dann wiederum Politik, Unternehmen und Märkte beeinflussen, brauchen Anerkennung. An grundsätzlichem gesellschaftlichem Willen mangelt es nicht, worauf die Zustimmungszahlen zur abstrakten Idee Klimaschutz immer wieder hinweisen. Aber der Zusammenhang zwischen der einzelnen klimafreundlichen Handlung und der viel zu heißen Nacht im eigenen Schlafzimmer bleibt im wahrsten Sinne des Wortes unglaublich. Anerkennung hieße zuallererst einmal, das Sprechen darüber zu üben, dass wir alle in diesen Wahrnehmungskreisläufen festhängen.  

»Hoffnung entsteht, ohne dass man nach ihr gesucht hat, wenn man alle Illusionen und Überlegenheitsfantasien ablegt und lernt, unsere Wirklichkeit mit einem neuen Blick zu betrachten«, schreibt die Philosophin Corine Pelluchon. Dabei, so Pelluchon, sei Hoffnung nicht mit Optimismus gleichzusetzen, also dem Verschleiern des Ernsts der Lage. Sondern Hoffnung bedeutet, beklemmende Tatsachen sehen zu können und dennoch den Mut zu finden, sich eine lebenswerte Zukunft vorzustellen.


»L'espérance, ou la traversée de l'impossible«, Corine Pelluchon, Rivages 2023, ISBN 978-2-7436-5847-2 | dt. Übersetzung von Grit Fröhlich: »Die Durchquerung des Unmöglichen. Hoffnung in Zeiten der Klimakatastrophe«, C. H. Beck, München 2023, ISBN 978-3-406-80753-4

Ab dem Wein-Jahrgang 2024: 

Weinetiketten müssen endlich Liste der Zusatzstoffe ausweisen!


Zusatzstoffe im Wein? Nicht doch! Wein ist doch ein Naturprodukt! Da braucht es doch keine Zusatzstoffe! 

Schön wär's. Ein Märchen, das zu jener skandalösen Intransparenz gehört, die wir unserer Branche vorwerfen. Wein kann weit mehr Zusatzstoffe enthalten als Cola oder Bier. Wein ist tatsächlich das einzige Lebensmittel, dem zahlreiche geschmacksverändernden Zusatzstoffe zugesetzt werden dürfen, was sie je nach »Qualität« (und Preis) auch werden, ohne daß sie bisher deklariert werden mußten.

Nach langem Ringen hat die EU im Dezember 2023 endlich ein Auszeichnungsgesetz für Wein verabschiedet. Es wird sich auf den Etiketten aber erst ab dem Jahrgang 2024 bemerkbar machen. Demnach müssen auf jedem Etikett in Zukunft entweder per Druck oder per QR-Code, der zu einer entsprechenden Homepage mit den gesetzlich vorgeschriebenen Angaben führt, einige der möglichen Zusatzstoffe deklariert werden. Damit kann dann der Supermarkt-Käufer z. B. sehen, wieviel Zucker man ihm in seinem Wein zumutet ( z. B. Doppiopasso = 16,9 g/l, das entspricht über 4 Zuckerwürfeln pro Flasche). 

Die Frage ist freilich, was ihm und ihr der Wert sagt. Wer erklärt die Pflicht-Angaben der Zusatzstoffe den Weintrinkerinnen und Weintrinkern so, daß diese verstehen, warum sie angegeben werden? Und - noch wichtiger - wer erklärt ihnen, warum das Zeug zugesetzt wird bzw. zugesetzt werden muß? 

Das Interesse am Wein und seiner Herstellung ist hierzulande leider so gering wie das Interesse an Kriterien für seine Qualität. Deshalb droht das gutgemeinte Gesetz sinnlos zu verpuffen, bevor es in Kraft tritt. Einfach schon deshalb, weil es vermutlich kaum jemand interessiert, was sich hinter dem QR-Code verbirgt, auf den sich wohl die meisten Winzer und Kellereien der Welt einlassen werden. Trotzdem - für alle, die es interessiert, hier schon mal die Ankündigung des neuen Auszeichnungsgesetzes für Wein, das übrigens auch für alle Importweine gilt.

Handwerklich engagiert produzierten Weinen wie den unseren wird außer dem schon bisher deklarationspflichtigen Schwefel/Sulfit/SO2 nichts hinzugesetzt. Ihre Liste der Zusatzstoffe wird also so klein sein, wie die der Naturweine. Die Naturweinbewegung, die wir für existentiell wichtig halten, hat leider bis heute nicht deutlich gemacht, was die Natur in ihren Weinen von der sorgfältig produzierten hochwertigen Kultur im Wein unterscheidet. Dazu fehlt ihr offensichtlich das Wissen. Stattdessen verläßt sie sich auf nette Funky-Etiketten, vertraut windigen Gurus und erklärt den Schwefel pauschal zum Feind. 

Wir von K&U werden das neue Auszeichnungsgesetz offensiv nutzen! Wir werden auf den grundlegenden Unterschied zwischen unseren Weinen, die ohne Zusatzstoffe auskommen, und den Weinen, die sie brauchen, um überhaupt verkäuflich zu sein, laut und deutlich hinzuweisen. Wir werden die einzelnen Zusatzstoffe in ihrer Wirkung auf den Wein vorstellen und erläutern, warum sie zugesetzt werden müssen. Hier eine Datenbank, aus der Sie alle gesetzlich erlaubten Zusatzstoffe (E-Nummern) samt Wirkung und Auswirkung auf unseren Körper entnehmen können. Und zur desillusionierenden Einstimmung auf das, was dem Wein alles zugesetzt werden darf, hier der aktuelle Katalog jener Firma, die unsere deutschen Winzer mit den legal möglichen Zusatzstoffen (die weit über die im neuen Gesetz zu deklarierenden hinausgehen) beliefert. Wir wünschen fröhliches Staunen ...

Fragen dazu gerne jederzeit an mich: martin@weinhalle.de

ZDF-Info: »Wein mit Beigeschmack« 

mit Martin Kössler von K&U


Im Dezember 2021 drehte Erik Hane eine Sendung über Wein und seine Zusatzstoffe für das ZDF WISO-Magazin, an der wir konzeptionell und inhaltlich beteiligt waren

Sie ist jetzt als »ZDF info Doku« in verändertem Schnitt und etwas gekürzt unter neuem Titel wieder in der Mediathek verfügbar (bis zum 13.6.2026). Weil wir immer wieder darauf angesprochen werden, hier der Link zu der Sendung

https://www.zdf.de/dokumentation/zdfinfo-doku/wein-mit-beigeschmack--die-tricks-der-wein-industrie-100.html