Italiens neue Wein-Szene

Eine Geschmacks-Reise zu Winzern, die ihr Handwerk mit Leidenschaft und Kompetenz betreiben 

Bald ist Ostern. Dann fahren sie wieder in ihren geliebten Süden, die Deutschen. An den Garda-See, nach Südtirol, ins Piemont und in die Toskana. Hoffentlich kriegen sie dort was anderes ins Glas als nur Lugana und Primitivo ...

... denn die faszinierende Vielfalt seiner über 600 verschiedenen lokalen autochthonen Rebsorten macht Italien zu einem der spannendsten Weinländer Europas.

Dort hat jede Region nicht nur ihr eigenes Nudel-Format, sondern auch ihre eigene Rebsorte und den eigenen Weinstil, der sich an der typischen lokalen Küche vor Ort orientiert. Essen und Trinken sind dort Teil der nationalen Identität.

Lassen Sie sich also auf das Land, seine regionalen Küchen, seine Menschen, ihre Gebräuche und seine vielen unbekannten Weine ein.

Seit die auch in Italien inzwischen omnipräsente Naturweinbewegung professionell geworden ist und nicht mehr nur fehlerhafte Fuß-Pilz-Weine produziert, sollte dies leicht fallen. Die Weinszene des Landes boomt derzeit so bunt und aufregend wie damals in den achtziger Jahren, als wir zu den ersten Importeuren seiner Weine hierzulande gehörten und jeden Monat das Land bereisten, um nach neuen, spannenden Weinen in Regionen zu suchen, die wir noch nicht kannten.  

So an- und aufregend wie derzeit war Italiens Eß- und Trink-Szene lange nicht mehr! Das muß man nicht in den berühmten (und teuren) Restaurants des Landes erkunden. In seinen vielen kleinen Osterien und Locanden kann man hinreißend Gutes genießen. Machen Sie's wie wir: Fragen sie einfach Einheimische auf der Strasse, wo sie zum essen gehen! Oder - unsere Empfehlung - gehen Sie in eine der vielen kleinen Weinbars, die derzeit wie Pilze aus dem Boden schießen. Dort wird frische lokale Kost aus regionalen Zutaten geboten, die oft horizonterweiternd gut und zudem stets bezahlbar sind - und Sie zudem auf die kulinarische Reise in ihre jeweilige Region mitnehmen (siehe hier die RAISIN-Empfehlungen.

Wozu gehen wir denn auf Reisen? Doch nicht, um Klischees für Instagram-Bilder abzuklappern oder Erinnerungen aus grauer Vorzeit aufzuwärmen. Wir reisen, um unseren Horizont zu erweitern, um Neues zu erleben und Unbekanntes zu meistern, um zu neuen Gedanken angeregt zu werden, weil wir Dinge essen, die wir nicht kennen, weil wir Weine trinken, die uns im Gedächtnis bleiben, weil sie unsere Grenzen der Wahrnehmung erweitert haben ...

Begleiten Sie uns auf einer Geschmacks-Reise quer durch Italien


Wir präsentieren Ihnen hier, regelmäßig ergänzt bzw. noch zu beschreiben, weil gerade erst ins Programm genommen, kleine regional verwurzelte Familienbetriebe, deren wunderbare Weine den Reiz ihrer Herkunft, ihrer Region, ihrer Geschichte unverfälscht und ungeschminkt ins Glas bringen. 

Sie sind nicht immer bequem für uns Deutsche, weil sie der Küche ihrer Herkunft maximal authentisch verpflichtet sind. Man denke nur an den trockenen Lambrusco neuer Generation zu den wunderbaren Wurstwaren und Käse der Region ... Bologna, eine Stadt, in der man die Kunst des guten Essens und Trinkens lustvoll zelebriert (wie die ganze Emilia-Romagna!).

Uns geht es mit unserem neuen alternativen Italien-Programm um die Aura der besonderen Herkunft, um Charakter und das Erleben ursprünglich handgemachter Weine von Winzerinnen und Winzern, die mit Leidenschaft und Kompetenz bei der Sache sind. Lassen Sie uns doch einfach vorstellen, wir säßen in einem kleinen Ristorante irgendwo auf dem Land und würden der Dinge harren, die da kommen ...

Veneto: Garganega und der Soave

Italiens neuer Wein ist so aufregend anders, so selbstbewußt individuell und so berührend lebendig und natürlich in Charakter, Machart und Stil, daß wir beschlossen haben, der faszinierenden Vielfalt seiner archaischen Rebsorten und der Rückbesinnung so vieler junger Winzerinnen und Winzer auf die uralte Vitikultur des Landes unter dem Vorzeichen des unmanipuliert natürlichen Weines in unserem Programm weit mehr Raum einzuräumen als bisher.

Filippo Filippi aus Castelcerino hoch über dem Tal von Soave ist einer der Wegbereiter dieser Entwicklung. Seine Soave gehören zu den aufregenden Weißweinen Italiens, in Duft und Mundgefühl spür- und fühlbar geprägt vom Einfluß der vulkanischen Böden, auf denen hier die Reben stehen. Er reift sie lange im Edelstahltank auf der Hefe und vermittelt ihnen so den unverwechselbaren Charakter ihrer besonderen Herkunft. Sie stehen für die Zukunft des Soave. 

                                                               Soave Visco & Filiipi

Emilia-Romagna: Lambrusco

Der neue Lambrusco ist kompromißlos ursprünglich, meist trocken und aufgrund seiner ungewöhnlichen lokalen Rebsorten geschmacklich eigenwillig. Man könnte ihn mager, sauer und dünn nennen, doch wird man ihm damit nicht gerecht, denn wenn man ihn zur Küche der Emilia-Romagna genießt, fliegt man auf Wolke Sieben, weil er so grandios dazu paßt. Er wird dort ausschließlich zum Essen getrunken und wird ausschließlich dafür produziert. Zu Bolognas wunderbaren Piadinas, zu seinen Wurstwaren und weltberühmten Käse. Sie schreien förmlich nach den verschiedenen Arten von Lambrusco und so können auch wir nur empfehlen, Max Brondolos (links) extravagante »Sottoilnocce«-Naturweine, schäumend wie still, zu entsprechenden Gerichten und Viktualien zu reichen und zu genießen. Sie lassen uns erleben, daß zusammengehört, was so wunderbar zusammen paßt. 

Sottoilnocce | Cantina della Volta | Corte Manzini

Emilia-Romagna: Sangiovese & Albana

Sangiovese verbindet man mit dem Chianti und Montalcino, nach der weißen Albana di Romagna kräht kein Hahn. Die beiden vinologischen Urgesteine der Emilia-Romagna gelten bis heute als billiger Füllstoff für die Supermarktregale der Welt. Schlechter Ruf hält sich lange in der Weinwelt.

Im Hochapennin, mitten auf der Grenze zwischen der Emilia und der Toskana, liegt die Villa Papiano in stiller Einsamkeit. Dort produziert Francesco Bordini mit seinem Bruder und seinen zwei Schwestern Weine, die Kultstatus besitzen, nicht nur in der Naturweinszene, sondern auch im offiziellen Wein-Italien. Ultrafeine, noble Sangiovese von verschiedenen Lagen und eine Albana di Romagna, die es als »Terra« auf die Karten besternter Restaurants in ganz Europa geschafft hat. 

Nach den Unwettern des letzten Jahres ist die Villa Papiano noch immer kaum zu erreichen. Ihre Weine finden Sie aber auf den Karten vieler Bio- und Naturwein-Bars und Restaurants in ganz Italien. Es sind sinnliche feine Rot- und charaktervolle Weißweine, deren kühle Höhenlage in den Bergen des Apennin sie stilistisch eigensinnig prägt. Sie harmonieren eindrucksvoll und sinnlich berührend zur aus dem Vollen schöpfenden Küche der Emilia. Wie sollte es auch anders sein ...

Villa Papiano

Veneto: Valpolicella

Die Winzer des Veneto leben maßgeblich von den Touristen-Strömen rund um den Gardasee. So hat es der alkoholschwangere Amarone als Prestige-Getränk ins deutsche Wohnzimmer geschafft. Sein trinkfröhlicher kleiner Bruder Valpolicella, stets trockener und durch seine Kalkböden magerer und kantiger in der Statur, wird für den Export traditionell aufgehübscht, sprich weich gemacht, damit auch er es über die Grenze schafft.

Camilla Rossi-Chauvenet, die junge Dame links im Bild, hat es mit ihrem Bio-Weingut Massimago gewagt, ihre Weine so ursprünglich zu belassen, wie die Natur sie gemacht hat. Sie sorgte damit für einen Eklat in der Region, für Aufregung und Gegnerschaft, weil ihre Weine zarter und filigraner waren, was man als untypisch brandmarkte. Ihre trockene, beschwingte Fröhlichkeit in Säure und Struktur machte sie aber so trinkfreudig, daß sie der jungen Weinmacherin dann eben doch irgendwann den ersehnten Erfolg bescherte. Der Weg dahin war schwer und lange, doch inzwischen folgen einige Kollegen ihrem ungeschminkten Vorbild und Valpolicella ist dabei, seinen schlechten Ruf abzulegen und zu neuer Identität aufzubrechen. Auf Massimago kann man sehr schön wohnen und nicht nur ausgezeichnet essen, sondern auch trinken. Die Zukunft des Valpolicella.

Massimago

Lombardei: Gropello

Blöd, wenn man auf der falschen Seite des Garda-Sees Wein macht, an der Riviera del Garda Bresciano. Während zumindest dem Namen nach jeder Bardolino und Valpolicella von der Ost-Seite des berühmten Sees kennt, verbindet man mit dem Namen Gropello kaum den besten Rotwein des Westufers des Gardasees, das in der Lombardei liegt und vom hektischen Touristenrummel am See nicht so viel abzukriegen scheint. 

Dort produziert die quirlige Cristina Inganni zusammen mit ihrem Partner Diego nicht nur wunderbare Weißweine und Rosés, sondern auch besagten roten Gropello, einen hinreißend süffigen, etwas herben, zugleich aber auch geschmeidig weich wirkenden Rotwein, der zur Küche der Region eine so herzhafte wie dunkelwürzige Begleitung liefert, die man anschließend nicht mehr missen möchte. Schon gar nicht zur Brotzeit zu Hause in Deutschland. Cristinas Weine sind eine Reise wert, vor allem aber hat es uns ihr Gropello angetan.

Cantrina

Lombardei: Franciacorta

Aus Franciacorta, eine Autostunde westlich des Gardasee, kommen Italiens beste Schaumweine. In jedem anständigen Restaurant dort, zu jedem Aperitivo in der Bar wird Franciacorta gereicht. Die technisch absolut hochwertigen Schaumweine aus dem kleinen DOCG-Weinanbaugebiet in der Lombardei sind Italiens Antwort auf die Champagne. Dabei lieben die Italiener gute Champagner, sie trinken aber auch den Großteil der 17,5 Millionen Flaschen, die jedes Jahr in der Franciacorta produziert werden, weshalb die Schaumweine der Region außerhalb Italiens kaum bekannt sind.

1701 ist ein noch junger Betrieb, der auf nur 10 Hektar die ersten biodynamisch zertifizierten Franciacorta produziert. Große, reife Schaumweine mit Charakter und feinster Peilung, die zur absoluten Spitze zählen. Die Region ist touristisch bestens organisiert (https://franciacorta.wine/de/) und lohnt einen Besuch allemal. Franciacorta ist übrigens Italiens Weinbaugebiet mit dem höchsten Anteil an Biobetrieben.

Franciacorta 1701

Gardasee: der andere Bardolino

Bardolino ist nicht gleich Bardolino. Was Daniele Delaini mit seiner Frau auf deren Villa Calicantus in Calmasino am Gardasee auf Flasche bringt, sucht seinesgleichen. Doch zunächst stossen sie mit ihren so anderen Weinen auf heftige Ablehnung. Die Offiziellen des lokalen Weinbauverbandes verweigern ihnen die Zustimmung zur Appellation, die Gastronomen rund um den See und die Touristen verstehen sie nicht, tun sie als zu teuer ab. Doch Delainis bleiben stur. Sie verkaufen ihre Weine erfolgreich im Export, wo zunehmend über sie berichtet wird. So kehrt ihr Ruf nach Hause zurück, der Wind dreht und auf einmal gelten ihre Weine als angesagt. Die Gastronomen stehen Schlange, das Consorzio erkennt sie, obwohl unfiltriert und kaum geschwefelt, als Bardolino an und plötzlich kommen auch Touristen wegen der Weine. 

Heute füllen sie Delainis als Landweine ab, die Anerkennung des Consorzios brauchen sie nicht mehr, und in Italiens boomender Naturwein-Szene genießen sie Kultstatus als provozierender Weckruf für eine Region ohne Ambition, der es an Identität und Perspektive für die Zukunft fehlt. Die Villa Calicantus aber hat es als wegweisender Betrieb am Gardasee geschafft. Die Zukunft gehört Delainis.

Villa Calicantus

Maremma: Ciliegolo

Die Maremma ist, abseits der Orte ihrer berühmt berüchtigten Reichen-Weine, die auf -nello und -aia enden, eine stille, bäuerlich strukturierte Hügellandschaft toskanischer Prägung. Rustikaler als die Touristen-Toskana, weit weniger touristisch aufgebrezelt und insofern ursprünglicher und authentischer.

Dort produzieren in einsamer Abgeschiedenheit Emilio Falcioni und Elisabetta Funghi auf ihrem Weingut La Busattina Weine, die berühren. Nicht weil sie so »schön« zurechtgemacht sind, sondern weil sie so unberührt, so ehrlich, so ungeschminkt wirken, daß man sich der Ausstrahlung ihrer natürlichen Schönheit kaum entziehen kann. Dabei spielt die lokale rote Rebsorte Ciliegolo hier eine tragende Rolle. Sie hat ihren Namen von jener prägnanten Kirschfrucht, die ihre Weine auf charakteristische Weise in Duft und Geschmack durchzieht. Die Weine von La Busattina sind ungewöhnlich persönlich und lebendig, erfüllen den blöden Begriff »Naturwein« mit Leben und Sinn, machen den besonderen Reiz der wilden Maremma mit jedem Schluck mehr erlebbar. Weinerlebnisse besonderer Art.

La Busattina  

Latium: Cesanese

Marco Falcone und seine Frau sind hauptberuflich Immunologen an den Universitäten von Rom und Pisa. Doch den Herrn Professor hat vor vielen Jahren schon, wie seine Frau auch, der Weinvirus gepackt. Erst wollten sie Weinberge in einer der berühmten Appellationen Italiens kaufen, doch dann beschlossen sie, sich einer der großen alten roten Rebsorten Italiens zu widmen, die heute weitgehend vergessen ist: Cesanese. Eine gute Autostunde östlich von Rom fanden sie, was sie suchten: Einen alten Weingarten in bester Lage, den sie um zwei Hektar Neupflanzungen erweiterten.

Die beiden bauen ihre drei Rotweine Weine konsequent in Amphoren aus, die sie vor ihrem kleinen Kellereigebäude in die Erde eingelassen haben. Ihre Weine sind einmalig, ungewöhnlich, erstaunlich und  beweisen, warum die uralte Lieblings-Rebsorte des römischen Adels einst zu den edelsten des Landes gezählt wurde. Durch die Reblauskatastrophe verschwand die anspruchsvolle Cesanese fast gänzlich aus den Rebgärten im Latium, heute sieht sie hier wieder einer vielversprechenden Zukunft entgegen. Naturweine naturwissenschaftlicher Präzision.

Falcone Natural Wines   

Latium: alte Reben in heiler Natur

Als Danilo Scenna 2012 sein Weingut anmelden will, fragt ihn die Dame, wie es denn heißen solle. Ihm kamen, völlig überrascht, nur seine Initialen in den Sinn, sagt »D.S. Bio« - und so schmückt heute ein merkwürdig technisch wirkender Name ein Weingut, das zu den wegweisenden Naturwein-Betrieben des Latium gehört. Danilo kehrte damals, wie viele seiner Freunde, aus dem erlernten Beruf zurück in den landwirtschaftlichen Betrieb seiner Familie, um diesen vor dem Aus zu bewahren. Er bewirtschaftet heute knapp vier Hektar Reben.

Der Anblick seiner historischen Rebgärten berührt. Sie liegen in wilder Natur in fast alpiner Umgebung auf 600 bis 800 m Höhe. Uralte wurzelechte Rebstöcke ranken dort über hunderte von Metern auf schmalen Terrassen an Obstbäumen, Oliven und Eichen entlang. Archaischer Weinbau, wie man ihn längst für ausgestorben hielt. Überlieferte Biodiversität, die »Pflanzenschutz« überflüssig macht. Die Rebsorten lokal und uralt, zum Teil längst vergessen, von Danilo wieder zum Leben erweckt. Die Weine expressiv, eigenwillig und begeisternd eigenständig; Demeter® zertifiziert; minimal geschwefelt, frei von Zusätzen; hinreißend eigensinnig im Charakter und so souverän wie berührend in Qualität und Persönlichkeit. Das Latium erwacht!

D.S. Bio

Abruzzen: der Pecorino- und Trebbiano-Hotspot

Luca Paolo und Alfonso Morelli, zwei Jugendfreunde, wollen ihrem Leben eine Wendung geben. Sie machen sich 2012 auf die Suche nach einem Stück Land und bereisen die Abruzzen. Ihr Weg führt sie auch nach Pietranico, einem winzigen Weiler am Fuß des 2800 m hohen Majella-Bergmassivs. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Sie können dort 22 ha Land kaufen mit Oliven und Getreide, beginnen 4 ha mit Reben zu bepflanzen.  Das kleine Weingut Caprera erblickt das Licht der Welt. 

Sie lernen ihre neue Profession von der Pike auf. Der Anfang ist hart. Doch binnen weniger Jahre gelingt es ihnen, ihre Weine bekannt zu machen. Sie sind eine feste Größe in der auch in Italien boomenden Naturwein-Szene. Ihre beiden Weißweine aus den mysteriösen lokalen Rebsorten Pecorino und Trebbiano d´Abruzzo genießen großen Ruf und ihr Cerasuolo, eine eigenwillige lokale Rosé-Spezialität und eine der schönsten ihrer Art, genießt begeisterten Zuspruch zwischen Rom und Pescara. Capreras vibrierend lebendige Weine folgen selbstbewußt eigensinniger Stilistik: Ihr saftiges Mundgefühl, ihre profunde Strahlkraft, ihre mundwässernde Frische und ihre würzige Mineralität verdanken sie ihrer exponierten Höhenlage in den Abruzzen, die dabei sind, zum Hotspot in Italiens junger Weinszene zu werden. 

Caprera

Marken: Sangiovese, Pecorino & Co

Die mittelitalienischen Marken sind eine der weniger bekannten Regionen Italiens. Während sich vorne am Meer die Touristen an den Stränden tummeln, geht es im Hinterland eher bescheiden zu. Doch die Marken sind auch eine Fundgrube für phantastisch gute Olivenöle aus lokalen Sorten und einige der besten Nudelhersteller des Landes haben in den Marken ihren Sitz. 

Hier bewirtschaften Paola und Paolo Beretta ihren 16 Hektar großen Bio-Betrieb auf Hügeln, von denen der Blick bis zur Adria im Osten und den Monti Sibillini im Westen reicht. Sie gehören zu den Bio-Pionieren der Region und widmen sich mit Leidenschaft und Überzeugung der regenerativen Landwirtschaft, um Leben und Natur um sie herum zu bewahren. Ihre Weine sind bodenständig und ehrlich, bescheiden im Anspruch, aber überzeugend in Machart und Qualität. Solch »leise« auftretende Betriebe übersieht man gerne im lauten Rauschen des Marktes. Dabei liefern Paola und Paolo so beliebte wie zuverlässige Weiß- und Rotweine einer Qualität, die man inzwischen mit der Lupe suchen muß. Eine stille Größe im Programm. Ein sympathischer Glücksfall, der uns echt ans Herz gewachsen ist. 

Az. Biologica Fiorano 

Marken: Vino cotto - gekochter Wein

Sie lesen richtig: Gekochter Wein. Emmanuela Tiberi, eine hochenergetische Dame, pflegt die alte lokale Tradition der ostitalienischen Region Marche zusammen mit ihrem Sohn in rarer Meisterschaft. Klingt merkwürdig, ist merkwürdig, zeitigt aber grandiose Süßweine einzigartiger Geschmacksintensität. Dazu wird frisch gepreßter Most aus weißen und roten Trauben unmittelbar nach der Ernte im großen Kupferkessel so lange gekocht, bis sein Volumen um 30-70% reduziert ist. Während des Kochens wird der Most dunkel und konzentriert sich. Dabei erreicht er enorm hohe Zuckerkonzentration. Weil der Kochvorgang die natürlichen Hefen tötet, fügt Emmanuela dem sterilen Mostkonzentrat frischen Most zu, der dann, zusammen mit den im Keller vorhandenen Umgebungshefen, die spontane Gärung einleitet, die viele Jahre dauern kann. 

Emmanuela Tiberis »Vino cotto« ist eine Sensation. Dunkelbraun in der Farbe, die angeblich dem Auge eines Hahnes gleicht (»Occhio di gallo«). Im Duft exotisch würzig, aromatisch an Muskatnuß, Zimt, Datteln und reife Feige erinnernd, die auf Karamell und frischen Espresso treffen. Natürlich süß, aber auch anregend herb, im Finish ein belebender Hauch Bitterkeit. Gekochter Wein. Einer der großen unbekannten Süßweine der Welt. Auf seine Art einmalig.

David Tiberi

Kampanien: Aglianico, Greco & Fiano

Der reiche Norden Italiens, dem man gemeinhin die Ländereien nördlich von Rom zuschlägt, bestimmt das Bild der Weine des Landes. Dabei hat der Stiefel auch südlich von Rom enorm viel zu bieten. Nicht nur famose landwirtschaftliche Produkte, sondern auch einen Reichtum an Rebsorten, Böden, Mentalitäten und kulinarischer Kultur, der zumindest uns über die Maßen interessiert und fasziniert. 

Italiens rund 600 autochthone Rebsorten sind der wohl größte Weinschatz des Landes. In Kampanien, einer hügeligen, zum Teil fast schon alpinen Region östlich von Neapel, begegnet man derer gleich drei. Fiano und Greco fristen zwar noch immer ein Schattendasein, doch zählen wir die beiden uralten lokalen weißen Rebsorten, die hier auf vulkanischen Böden entstehen, zu den interessantesten Italiens. Luigi Sarnos große Natur-Fianos suchen ihresgleichen in Komplexität, Eigenart und Klasse. Angelo Mutos raffinierte Greco di Tufo entstehen auf einer alten Schwefelmine und zeigen dies auch in atemberaubend ungeschminkter Natürlichkeit und Expressivität. Große Weine, die im Gedächtnis bleiben. Und der rote Aglianico aus Taurasi steht für einen in seiner Gerbstoffkonsistenz fast schockierend trocken und rustikal wirkenden, dunkelfarbigen Rotwein, dessen Weinberge auf einer Höhe zwischen 400 und 700 Metern liegen. Irpinia heißt die Gegend. Uraltes Weinbauland. Hier wurde schon in vorchristlicher Zeit Wein angebaut. Die Region wirkt bäuerlich rückständig und hat genau deshalb etwas Visionäres an sich, denn an ihr scheint der »Fortschritt« der Önologen- und Industrialisierungs-Epoche Italiens weitgehend vorübergegangen zu sein. Wie wohltuend, wenn auch geschmacklich unbequem. Testen Sie selbst.    

Cantina del Barone Cantine del Angelo  Il Cancelliere 

Kampanien: bäuerliche Zukunft

Da sitzt er, der junge Fabio de Beaumont, und schaut in seine alte Barbera-Pergola, die er von seiner Großmutter übernahm, um sie der Nachwelt zu bewahren. Zwischen 150 und 200 Jahre sind ihre Reben alt, die ältesten Barbera-Reben Italiens. Sie stehen in Kampanien in der Provinz Avellino. 

Familie De Beaumont bewirtschaftet hier nachweislich seit dem 16. Jahrhundert Land. Fabio kam nach dem Jura-Studium in Rom nach Hause zurück, um die Landwirtschaft von Großmutter Sandra und Vater Francesco zu übernehmen. Das war 2013. Seitdem hat er die Kirschgärten und Nussbaumplantagen seiner Familie, sowie seine 2 ha Reben auf biologische Bewirtschaftung umgestellt. Sein wichtigstes Produkt, das ihn in Italien bekannt gemacht hat, ist Don Fa. Ein aus der Wiederbelebung eines uralten Familienrezeptes aus dem 16. Jahrhundert stammender Wein-Likör auf der Basis von Aglianico und Barbera, der auf natürliche Weise mit Sauerkirschblättern aromatisiert wird. Ein grandios duftendes und schmeckendes Elixier, das Freunde schafft und Freude macht. Von seinen Barbera-Methusalems keltert Fabio zudem einen eindrucksvoll konzentrierten Rotwein und mit seinen Naturschaumweinen auf der Basis der weißen Rebsorte Fiano hat er Riesenerfolg in der Gastronomie. Die Zukunft des italienischen Südens liegt in der Hand solch engagierter junger Menschen wie Fabio de Beaumont, die derzeit zuhauf in die Betriebe ihrer Familie zurückkehren, um sie kreativ und ambitioniert nachhaltig zu neuem Leben zu erwecken.

Fabio de Beaumont

Costa d´Amalfi: Teinturier und historische Pergola

Auf unserer Suche nach Weinen von vulkanischen Böden stießen wir auf eine der ältesten Pergola-Anlagen Italiens. Sie liegt im Hinterland der weltberühmten Costa d´Amalfi, wenige Kilometer von den Touristenströmen der Küste entfernt.

In den alten terrassierten Rebgärten von Familie Reale, die auf rund 500 m Höhe liegen, fällt sofort der weiche, noch nie mit Maschinen in Berührung gekommene Boden auf, er federt unter dem Tritt. Dafür sind Mykorrhiza-Pilznetzwerke verantwortlich, die hier die tiefgründigen Vulkanasche-Böden besiedeln und dafür sorgen, daß die über viele Meter rankenden Pergola-Reben trotz sommerlicher Hitze weder Wasser- noch Trockenstress erleiden. Es sind zum Teil noch alte Teinturier-Rebsorten, sogenannte Färbesorten. Deren Fruchtfleisch ist rot statt weiß und liefert ungewöhnlich dunkelfarbige Rotweine, ohne daß diese aber die ihrer Farbe entsprechenden Gerbstoffladungen auf die Zunge spülen. Luigi Reales alte Reben sind durchweg wurzelecht, ihre Genetik ursprünglich und unverzüchtet, der einmalige Reiz autochthoner Rebsorten. Deren Weine duften wohltuend kühl, sind aufregend würzig und fühlen sich im Mund unerwartet frisch an, geprägt von der griffigen Mineralität ihres vulkanischen Bodens. Obwohl Reales ihre Trauben relativ technisch verarbeiten, besitzen ihre Weiß- und Rotweine selbstbewußte Persönlichkeit und eine Strahlkraft, der man sich kaum entziehen kann. 

Azienda Agricola Reale

Basilikata: Aglianico del Vulture

Die Basilikata im tiefen Süden Italiens ist eine Welt für sich. Bäuerlich geprägte Landwirtschaft, mit viel Getreide, vielen Wäldern, unerwartet viel Wasser, aber auch Zerstörungen der Natur aus Römischen Zeiten. Die Küche schöpft dort selbstbewußt aus dem, was man hat. So einfach und bescheiden, so unglaublich gut. Man verweigert sich hier den kulinarischen Verbrechen globaler Nahrungsmittelkonzerne.

Die große Rebsorte der Basilikata ist der tiefdunkle, gerbstoffreiche, balsamisch würzige rote Aglianico del Vulture. Benannt nach einem weithin sichtbaren erloschenen Vulkan. Wieder Vulkanwein also. Ripanero ist ein kleines Weingut, das dort als Platzhirsch gehandelt wird. Es bewirtschaftet knapp vier Hektar Reben, verteilt auf viele kleine Parzellen, die in noch intakter Natur ausschließlich auf gen Nordosten ausgerichteten Hängen wie biologische Nischen wirken. Die drei Freunde von Ripanero produzieren bemerkenswerte Rotweine voller Kraft und Potenz, beladen mit Gerbstoffen, die sie aber gekonnt in Amphoren und im Holzfaß zu zähmen verstehen. Ihre Aglianicos sollte man ein paar Jahre im Keller vergessen, um dann ihre faszinierende Tiefgründigkeit zu entdecken, die uns unweigerlich an Bordeaux aus der Vor-Parker-Ära erinnert in diesem mystischen Duft von frisch gespitztem Bleistift, edlem Holz, frischer Erde und feinstem Havanna-Tabak. Ripaneros Aglianicos sind eine der großen Entdeckungen des italienischen Südens.

Ripanero 

Apulien: Primitivo mal echt und ehrlich

Diese nette Dame kennen Sie schon. Camilla Rossi-Chauvenet von Massimago im norditalienischen Veneto gehört auch das Weingut Cuturi im Süden Apuliens. Auch dort folgt sie ihrem störrischen Geist und produziert provozierend ehrliche, nämlich natürlich trockene, biologisch zertifizierte Weine, die so anders ausfallen als der mit viel Zucker gedopte Billigschrott, den man dort für den Export produziert, daß sie sich prompt, wie mit ihren Valpolicellas auch, zunächst große Probleme im Vertrieb einhandelte. Man wollte ihre Weine nicht als »typisch« akzeptieren. 

Dieses Blatt hat sich gedreht. Heute gelten ihre Weine als Referenz in der Region, als Weg in die Zukunft - obwohl noch immer riesige Mengen angeblichen Primitivos mit bis zu 18 Gramm Restzucker (ein Zuckerwürfel wiegt 3 Gramm!) in den Export gehen, wo sie von deutschen Supermarktkäufern als Inbegriff italienischen Rotweines gefeiert werden. Inzwischen sind die Preise für die anonymen Faßweine auf historisch niedriges Niveau gefallen und auch hier scheint der Wind zu drehen ...  

Camilla fühlt sich gerüstet. Ihre drei Primitivos, die sie stilistisch gekonnt drei verschiedenen Reifestadien der zickigen Rebsorte widmet, verkaufen sich wie geschnitten Brot. Ihren duftigen weißen Fiano und ihren hinreißend netten Rosé aus Negroamaro müssen wir inzwischen vorbestellen, um nicht leer auszugehen. Die Zeichen der Zeit stehen gut für die quirlige Camilla. Ihr weiblicher Wagemut, gegen den Strom des Marktes zu schwimmen, zahlt sich jetzt aus.

Masseria Cuturi

Kalabrien: Gaglioppo und verdammt viel Charakter

Kalabrien. Weinbau zwischen Absatz und Sohle im tiefen Süden des italienischen Stiefels. Trockenheit und Hitze dominieren hier die Arbeit in den Reben, die hier in der traditionell mediterranen Erziehung als Buschrebe stehen.

Cataldo Calabretta ist der große Pionier des Ciró. So heißt hier die Appellation, die kraftvoll tanninbeladene Rotweine aus der höchst eigenwilligen Rebsorte Gaglioppo ebenso hervorbringt, wie den berühmten Ciró Rosé, der zu den besten Italiens gehört. Die salzig würzigen Weißweine des Ciró werden aus lokalen, autochthonen Rebsorten gekeltert. Weinbau in archaisch wirkender Kulturlandschaft. Cataldo Calabretta bewirtschaftet seine Reben zertifiziert regenerativ und fühlt sich der Naturweinbewegung zugehörig. 

Die lokale rote Rebsorte Gaglioppo fordert ihn, denn ihre dicke Beerenschale setzt ungewohnt spröde wirkende Gerbstoffe frei, die an die sizilianische Nerello Mascalese oder den Nebbiolo des Piemont erinnern. Sie wollen gezähmt werden, verlangen äußerst sensible Extraktion. Dabei enthält die Beerenschale kaum Farbe. Gaglioppo ist eine der Ausnahmen, bei der man aus der hellen Farbe des Weines nicht auf die physische Wirkung der Gerbstoffe schließen kann. Cataldos Cirós sind unbedingte Speisenbegleiter, keine Solotänzer. Wer sich auf sie einläßt, wird mit dem fordernden Charakter der lokalen Rebsorten, des dortigen Klimas und der geschmacklichen Tradition der lokalen Küche belohnt. Nur wer wagt, gewinnt!

Cataldo Calabretta

Ligurien: Pigato und Rossese

Piemont: Timorasso


Der Karst bei Triest: Vitovska


Sizilien: Cataratto & Nerello Mascalese


Unsere Hausmesse 2024
am 19. und 20. April 2024

Einladung zur K&U-Hausmesse 2024: »Geschmacks-Reisen«