Herzens-Winzer • Herzens-Weine

Wir WeinhändlerInnen haben keine Lieblingsweine und auch keine LieblingswinzerInnen. Was wir aber haben sind Weine, die uns besonders im Gedächtnis geblieben sind, weil sie mehr konnten, als nur gut zu schmecken. Weil sie mutig anders waren. Weil sie uns die Geschichte ihrer besonderen Herkunft erzählen konnten und so ihren Preis mit mehr Wert zu füllen verstanden.

Ohne die Menschen hinter den Etiketten bleiben Flaschen nur Flaschen. Ohne sie sind Weine - zumindest für uns - nicht lebendig, so technisch brillant sie auch realisiert sein mögen. In über 40 Jahren Weinhandel haben wir eines gelernt: Sind die Menschen hinter einem Wein nicht interessant, ist es ihr Wein auch nicht. Anders gesagt: Ein Wein ist stets das Abbild der Menschen, die ihn produzieren. Insofern stehen unsere Herzensweine für Lebensmodelle, die auf Überzeugungen und Leidenschaft basieren und für eine Freiheit im Denken stehen, die ihnen besondere Ausstrahlung verleiht. Persönlichkeit im Glas von Menschen mit Herz und Verstand. 
Weine, die uns berühren.                    

Darjas Lieblingsweingut

Mein aktuelles Herzensweingut mutet auf den ersten Blick fast märchenhaft an. Schon die Vielfalt an Pflanzen, die hier außer Reben kultiviert werden oder einfach wachsen dürfen, überrascht. Und dann gibt es da auch noch vielerlei Tiere, die die Domaine de Lorient wie einen Paradiesgarten erscheinen lassen. Doch Laure Colombo, die Chefin des Hauses, ist keine romantische Träumerin, sondern eine topausgebildete, mit allen Finessen des Weinbaus und der Önologie vertraute Winzerin. 

Domaine de Lorient

Die Tochter eines der avantgardistischsten Winzer- und Önologen-Paares der nördlichen Rhône versucht sich gerade einmal 17jährig als Sommelier-Praktikantin im New Yorker Restaurant »Essex House« des französischen Sternekochs Alain Ducasse. Weil sie gemäß amerikanischer Gesetzgebung zu jung ist, um Wein zu servieren, fungiert sie als »Water-Girl«, verantwortlich für die internationale Auswahl an Mineralwässern. Anschließend absolviert Laure eine Winzerausbildung, arbeitet ein Jahr in einem der großen Champagner-Güter, studiert Önologie und heuert dann als Weinmacherin erst in Indien, dann in Neu Seeland an.

Laure Colombo

Zurück in Frankreich arbeitet Laure Colombo in Châteauneuf-du-Pape unter dem Motto »Girl-Power« bei einer der wenigen Winzerinnen der renommierten Appellation, um zu guter Letzt ihre eigene Domaine zu gründen, die sie dezidiert als »ferme vigneronne« (»Winzerinnen-Hof«) bezeichnet. Sie liegt in der kleinen Appellation »Saint-Péray«, der südlichsten der nördlichen Rhône, oberhalb der Stadt Valence in 500 Metern Höhe mit atemberaubendem Blick ins Rhône-Tal und auf die gegenüber liegenden Berge des Vercors.

Rund um ihren Hof haben Laure und ihr Lebensgefährte Dimitri in den höchsten Lagen (550m) auf vier Hektar granitischer Böden für ihre Weißweine die beiden in der Appellation zugelassenen Rebsorten Roussanne (Laures Lieblings-Rebsorte) und Marsanne gepflanzt. Die Rebflächen sind nach Süden und Südosten ausgerichtet und durch Hecken und Wald vor dem Nordwind geschützt. Das mit gerade einmal 140 Hektar winzige Saint-Péray stellt als reine Weißwein-Appellation ein absolutes Unikum in der für Ihre tiefdunklen Rotweine weltberühmten nördlichen Rhône dar.

2020 Saint-Péray AOC weiß, Domaine de Lorient   28,90 €

Die Trauben für ihren roten Cornas, der zu den besten der gleichnamigen Appellation zählt, kommen von einer knapp einen Hektar großen Parzelle in Südostlage. Die Syrah-Stöcke sind etwa 30 Jahre alt und stammen aus einer sogenannten Massen-Selektion, die eine möglichst große genetische Vielfalt der Reben gewährleistet. Die Reihen zwischen den Reben werden gezielt begrünt, um das Bodenleben zu fördern. Die Weiß- und Rotweine der Domaine Lorient zählen zur absoluten Spitze an der nördlichen Rhône und kündigen eine große Zukunft an.

2021 Cornas AOC rouge, Domaine de Lorient    51,90 €

Er hat sich in Dunjas Herz geschlichen

Etienne Bodet, 2020 Saumur »Clos Durandière«    51,90 €

Als ich Etienne kennenlernte, war er noch Kellermeister beim weltberühmten Loire-Weingut „Clos Rougeard“. 

Auf einer Party mit großartigen Weinen vieler alter Jahrgänge erwartete ich von ihm Erleuchtung im Sinne technischer Erklärungen. Was war das Geheimnis dieser im besten Wortsinn bemerkenswerten Tropfen? Und da erklärte mir dieser junge Mann zu meiner Überraschung, dass für ihn Wein wie Kunst sei, die nur außerhalb von Normen entstehen könne. Seine Herangehensweise an Wein sei philosophisch und „romantisch“. Zwei Jahre später konnte ich den ersten Jahrgang von seinem eigenen Weinberg probieren und war geflasht. Cabernet Franc, dicht, tief, lang, die Aromatik so eindrücklich wie die Optik eines späten Van Gogh. 

Jetzt verstand ich endlich Etiennes „romantisch“: unabhängig von Rezepten, empfindsam in der Beobachtung seines Weinbergs, des Bodens, der Flora und Fauna, jedes einzelnen Rebstocks in diesem uralten von einer hohen Mauer geschützten »Clos Durandière« und dann gleichermaßen umsichtig bei allem Tun im Keller, wo der gärende Most und der reifende Wein ihrem eigenen, von der Natur diktierten Rhythmus folgen dürfen. Der 2020er lag zwei Jahre in gebrauchten Fässern von Clos Rougard, wurde lediglich bei der Füllung minimal geschwefelt und zeigt schon heute in der Eleganz seiner durchaus präsenten, langen Tannine die Handschrift eines großen Talents.

Dana. Neu bei uns und schon mittendrin 


Ich will ehrlich sein: Mein Herzenswein, der »Trafalgar« von Naturwein-Winzer Marc Castan, ist keiner, der mein Herz im Sturm erobert hat. Mögen seine urwüchsig natürlichen Facetten im ersten Moment eher überfordernd wirken, entfaltet er seine herzergreifende Ausstrahlung aber, wenn man ihm Zeit und Raum dafür lässt.

Mich jedenfalls hat seine aromatische Finesse dazu eingeladen, mich bisher Unbekanntem im Wein zu öffnen. Er wird aus der expressiv würzigen Rebsorte »Muscat a petit grain« gekeltert und hat mir als Neuling in Sachen Wein geschmackliche Wege aufgezeigt, die ich zuvor weder kannte, noch für möglich gehalten hätte.

»Trafalgar« schafft es, geschmacklich trocken aber mild zu wirken, kommt aber aromatisch aufregend »laut« daher und hat meine Neugier mit dem Duft nach Gewürzen, Wiesenkräutern und Orangenaromen geweckt. Angenehmer Nebeneffekt: Er löst damit bei mir wohlige Erinnerungen an warme Sommernächte aus, was in den anstehenden langen kalten Wintermonaten nicht schaden kann. 

Mein Tipp: Am besten ein paar Stunden vor Genuß dekantieren und dann zu exotisch würziger veganer oder vegetarischer Küche kombinieren. Da zeigt er, was in ihm steckt.

Philip sucht sein Glück im wilden Osten

Csókaszőlő. Klingt wie Ungarn, ist Ungarn. Ich habe mich dieses Jahr im wilden Wein-Osten umgeschaut. War dort auf Tour. Von der Tschechei über Ungarn nach Slowenien. Total spannend, was da abgeht. Tolle Weinbars, richtig kompetente Leute, echte Weinbegeisterung. Vor allem die Naturwein-Szene dort hat es mir angetan. Die ist quirlig, frei, offen und neugierig, irgendwie auch unbekümmert, aber doch so professionell, daß nicht fehlerhafte Weine die Szene dominieren wie bei uns. So spannend viele Weine dort waren, so interessant waren auch deren Winzerinnen und Winzer. Ich muß da im neuen Jahr unbedingt wieder hin.

Ein Rotwein hat mich auf meinen Reisen tief beeindruckt. Er hat mich irgendwie gepackt, berührt mich, wenn ich ihn trinke. Ich frage mich, was mich an ihm so reizt. Vermutlich ist es seine Freiheit in Stil und Charakter, die ihn so »entrückt« vom Ernst dieser Weinwelt. Ich empfinde ihn als von Klischees befreit und frei davon, jemand sein zu müssen, der er gar nicht ist. Er stammt aus Zala, einem kleinen, kaum bekannten Anbaugebiet im äußersten Westen Ungarns, nicht weit von den Grenzen zu Slowenien und Kroatien. Seinen Namen muß man üben: Tscho-Ka-Schölö. Na also, geht doch: Csókaszőlő ...

So heißt seine Rebsorte, über die man nicht viel weiß. Zumindest ich nicht. Sie gilt als sehr alt, wird aber kaum noch angebaut und steht nur noch auf wenigen Hektar Rebfläche. Hinter diesem Wein steht eine resolute, dynamische, junge Ärztin, die auch seine Weinmacherin ist: Dr. Dori Bussay. Von ihr wird man noch hören, denn die Frau hat Power! Sie weiß, was sie will und setzt voll und ganz auf die alte Rebsorte. Auch wenn der Markt im Augenblick überhaupt nicht offen ist dafür. Mich erinnert ihr Csókaszőlő an guten Point Noir. Er ist ähnlich transparent in Farbe, Duft und Struktur, greift aber fester zu im Mundgefühl, hat dichtere Substanz, wirkt deftiger und konzentrierter, zugleich aber auch raffiniert frisch und kühl im Trunk. Traut euch, Leute!

2022 Csókaszőlő (rot), Bussay Winery           18.90 €

Martin findet im Einfachen das Gute

2019 »Pré« Romagna DOC Sangiovese Predappio, Villa Papiano    33,90 €

Ich habe im Laufe meines Weinhändler-Lebens alles getrunken, was man getrunken haben muß. Dabei mußte ich oft auch trinken, was ich aus Überzeugung zu vermeiden suchte. Die Diskrepanz zwischen dem, was auf dem Markt gefeiert wird, und dem, was ich im Wein suche, ist groß. Ich finde viele Weine langweilig und banal, weil sie sich dem Mainstream anbiedern und über Klischees nicht hinauskommen. Das trifft auch und gerade auf viele angeblich »gesuchte« Flaschen zu, deren Preise ich für überzogen halte. 

Ich schätze Weine, die Eigenart und Charakter wagen, unverstellt nach der Natur schmecken, aus der sie kommen, und die »einfach« sind im besten Sinne: ungeschminkt, ohne modische Attitüden, ohne zeitgeistige Schminke, ehrlich »gut« und berührend direkt. Weine, wie sie Francesco Bordini auf seiner Villa Papiano produziert. Sangiovese aus der Emilia Romagna. Duftig und feingliedrig, fast zart, aber mit griffigem Biß und weitem Raum im Mundgefühl. Natürlich in der Farbintensität, raffiniert in der Wirkung der Gerbstoffe. 

PRE stammt von einem alten Weinberg in Predappio, dem Geburtsort Mussolinis (weshalb Francesco den Ort auf dem Etikett nur abkürzt). Unbekannte Genetik. Relativ leicht in der Wirkung, burgundisch in der Anmutung. Im Mund dann aber so präzise spröde und duftig morbid, wie ich das von authentischer Sangiovese erwarte. Schwebend, aber zupackend. Leicht wirkend, aber wohldosiert rustikal agierend. Irgendwie einfach, weil so ungeschminkt ehrlich, zugleich aber raffiniert »schön«. 

Ein beeindruckend unauffälliger Wein, der leise spricht, freundlich wirkt und unaufdringlich agiert. Er braucht zur Würdigung den zweiten Schluck. Dann öffnet er sich zu kühlem Understatement, das Staunen macht und die Freude auf den Rest der Flasche schürt.

Ramons Leidenschaft für Spanien

Vor einigen Jahren lernte ich diesen Top-Wein von Sajazarra bei einem geselligen Novemberabend mit ein paar Freundinnen und Freunden kennen. Die Flasche stand schon einige Monate unscheinbar in der Küche herum, wir aßen Salzmandeln aus Frankreich, unterhielten uns angeregt und hatten meinen Wein-Vorrat nach und nach geschmälert, als wir, eher aus Ermangelung an Alternativen, diesen großen Graciano öffneten.

Wie tiefdunkel die Farbe, so expressiv, tiefgründig, intensiv und doch zart, frisch und elegant der Duft nach Pfeffer, dunklen Beeren, Gewürzen, Tabak und feinem Holz. Schonend extrahierter Gerbstoff und die, für Graciano typische, prägnante Säure, sorgen für ein harmonisches Bild aus Texturen und Aromen und hohes Reifepotenzial. Eindrucksvoll und im besten Sinne nostalgisch, spiegelt dieser Wein die ursprüngliche Tradition einer stolzen, im Wandel befindlichen Region wieder, die dem ganzen Land und seinen Weinen einst zu internationalem Ruhm verhalf.
Für mich ein Herzenswein, weil er, unabhängig von Situation, individuellem Geschmack, Erfahrungsspektrum und Vorlieben, zuverlässig für Staunen und in aller Regel auch für Begeisterung sorgt.

Christoph trinkt, was andere nicht suchen

Chardonnay, wie man ihn aus Kalifornien weder kennt, noch erwartet. Ein neuer, anderer Stil Kaliforniens. Rasant frisch in der Säure, die hier natürlich ist, der Wein wurde also nicht aufgesäuert. Erinnert im Mundgefühl verblüffend an erstklassigen Meursault, der mit der aromatischen Reife Kaliforniens gewürzt wurde. Macht Lust auf mehr. Den Ausbau im Holzfaß spürt man, doch Weinmacherin Joanna Wells, oben im Bild Mitte, steht für sensible, maximal natürliche Weinbereitung, die das Holzfaß vor allem für das Hefemanagement braucht, also zur natürlichen Konservierung, weil sie während der Weinbereitung vollständig auf Schwefel verzichtet. Der Wein lag 18 Monate auf der Hefe, ungeschönt und unberührt, und wurde auch unfiltriert und nur minimal geschwefelt gefüllt. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen, wenn ich an diesen Wein nur denke. Es gibt in Europa nicht viele Chardonnays, die auf mich ähnlich animierend und mundwässernd wirken. Schon sein Duft macht Lust. Ananas, Vanille, Zitrus - aber nicht amerikanisch kitschig, sondern kühl, schlank, frisch, potent mineralisch, salzig und würzig verwoben. Im Mund, auf der Zunge, am Gaumen, da legt dieser Stoff dann so richtig los, klingt lange nach. Salzig reizt er die Zungenränder. Je länger man ihn dekantiert, je mehr kommt er in Form - und hält dann bis zu 2 Wochen in der Karaffe, ohne zu oxidieren, obwohl er kaum geschwefelt wurde. Der beste Beweis für lebendigen Boden aus biodynamischer Bewirtschaftung. 

Kein Wein, den man gezielt sucht, aber einer, den man mit Genuß trinkt. Model Farm ist schließlich kaum bekannt. Dazu ist das Weingut zu jung und zu klein. Von diesem speziellen Wein z. B. gibt es gerade mal 170 Kisten, wovon 50 zu uns nach Deutschland kamen. Drüben aber feiert die Presse Joanna Wells und ihre Weine inzwischen so, daß sie meist schon vor Abfüllung ausreserviert sind. 

»Wildcat Mountain« ist eine isolierte Lage auf einem windgepeitschten Bergrücken, der das Sonoma Valley von Petaluma trennt. Alte Reben, die auf reinem Vulkangestein stehen. Der ständige Wind vom nahen kalten Pazifik, die kalten Nebel aus der San Pablo Bay nördlich von San Francisco und die extrem kargen, felsigen Böden mit nur minimaler Erdauflage sorgen nicht nur für niedrige Erträge und ungewöhnliche lange Reife- und Hängezeit am Rebstock, sie sind zusammen mit dem Pflanzmaterial, einer Klonenselektion aus der Champagne, verantwortlich für die raffiniert kühle Frische im vornehm reifen Charakter dieses karg aber wirkmächtig aus dem Glas strahlenden Ausnahme-Chardonnays. Mein Wein für Herz und Seele in grauen, kalten Winternächten.

2020 Chardonnay »Wildcat Mountain Vineyard«, Model Farm              49.- €